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Wer aus dem Raster fällt
Über die Herausforderung, Weltoffenheit in der Wissenschaft zu organisieren
Die Wissenschaft ist auf internationale Kontakte angewiesen. Gute Bedingungen für internationale Fachleute zu organisieren, ist heute unabdingbar für eine erfolgreiche Forschungsregion wie Berlin-Brandenburg. Doch die deutschen Institutionen tun sich schwer mit der Weltoffenheit. Wo es hakt, zeigt sich am Versuch, einen westafrikanischen Experten für Architekturgeschichte für einen Workshop nach Brandenburg einzuladen. Dieser Beitrag erschien erstmals in der Ausgabe 101 des Magazins IRS aktuell. Das Thema wird außerdem auf dem 57. Brandenburger Regionalgespräch am 4. Dezember 2024 in der Wissenschaftsetage Potsdam diskutiert.
Ein Positionsbeitrag von Monika Motylińska
Am 11. Juli 2023 hielt ein westafrikanischer Wissenschaftler einen Gastvortrag im Rahmen des Midterm Workshops unseres Projekts „Conquering (with) Concrete“, gefördert im Freigeist-Programm der VolkswagenStiftung. Der Wissenschaftler möchte nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden, weshalb er von nun an Professor Thomas genannt wird. Unsere Projektgruppe arbeitet intensiv mit Partner*innen in Westafrika und anderen Regionen des „Globalen Südens“ zusammen. Damit entsprechen wir den Zielen führender deutscher forschungspolitischer Institutionen wie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Professor Thomas ist ein renommierter Architekturhistoriker, der zu den wichtigsten Kooperationspartner*innen unserer Forschungsgruppe zählt. Wir hatten ihn zu uns ans IRS eingeladen, um vor Ort in Erkner zu sprechen. Dazu kam es nicht. Der Vortrag wurde schließlich online gehalten. Damit entging uns das, was Begegnungen für die Wissenschaft so wertvoll macht: die Kreativität des Moments, der persönliche Austausch, die unmittelbare Erfahrung, wie Forschende anderswo arbeiten, in welchen Kontexten sie sich bewegen. Warum es nicht geklappt hat, und warum das kein Unfall war, sondern Folge eines tiefsitzenden Strukturproblems nicht nur der deutschen Wissenschaftsförderung, sondern des gesamten deutschen „Apparats“ der internationalen Kooperation, darum geht es hier.
Der Hauptgrund für das Scheitern von Professor Thomas Reise ist schlicht: Er bekam kein Visum. Deutschland verfügt nicht über das Format des Konferenzvisums, das Forschenden kurze Aufenthalte für wissenschaftlichen Austausch ermöglichen würde. Stattdessen muss ein reguläres Kurzzeitvisum für den Schengenraum für 90 Tage beantragt werden. Bei der Antragstellung konkurriert man dann mit allen anderen Reisenden, und diese Konkurrenz ist hart. Professor Thomas bekam noch nicht einmal einen Termin bei der zuständigen Auslandsvertretung. Dabei fehlte es weder an Zeit noch an Engagement. Programm und Einladung waren mehrere Monate im Voraus finalisiert. Unser gesamtes Forschungsteam jagte im offiziellen Onlinesystem des Auswärtigen Amts Tag und Nacht nach einem Termin – vergeblich. Auch Anrufe bei dem zuständigen Konsulat halfen nicht. Wir scheiterten schon am Visumsantrag. Folgerecherchen zeigten, dass sich die Situation über den Sommer 2023 nicht besserte. Und unsere langjährige Forschungserfahrung in Westafrika lehrt uns zudem, dass die Chancen auf ein deutsches Visum für Reisende aus dieser Region schlecht sind. Über die Gründe lässt sich nur mutmaßen. Wie ein Konferenzvisum funktioniert, erfuhren wir allerdings 2021 bei einer Reise nach Pakistan: Sobald von Gastgeberseite alle Auflagen erfüllt sind, dauert das Onlineverfahren zwei Tage.
Wäre Professor Thomas nach Deutschland gekommen, hätte es weitere Probleme gegeben. Der Wissenschaftler hatte zur Vorbereitung auf seinen Vortrag umfangreich in Archiven recherchiert. Er verdiente eine Aufwandsentschädigung. Im Zusammenhang mit seiner Reise hätte er außerdem viele Ausgaben gehabt, angefangen bei Verpflegung. Bei Gästen aus dem „Globalen Süden“ kann nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass sie eine finanziell reich ausgestattete Institution im Rücken haben. Das Bundesreisekostengesetz (BRKG) ist umgekehrt extrem restriktiv bei der Frage, was man alles erstatten darf: Flug bzw. Fahrt und Übernachtung, mehr nicht. Also auch keine Verpflegungspauschale. Ein Honorar – das von den Regelungen des BRKG nicht berührt wird – ist hier die einzige Möglichkeit dafür zu sorgen, dass eine Reise nicht am Geld scheitert. Hinzu kommt noch eine viel grundsätzlichere Überlegung: Bei unseren Forschungen in Westafrika hat Professor Thomas uns sehr geholfen. Ohne seine Gastfreundschaft, Kontakte und Expertise wären wir nicht weit gekommen – immerhin ist die Region, in der wir zusammen geforscht haben, vom Auswärtigen Amt als Risikogebiet kategorisiert. Er ist in Vorleistung gegangen. Kooperation aber erfordert Reziprozität. Es wäre nun an uns gewesen, unserer Wertschätzung Ausdruck zu verleihen. Doch leider ist die Zahlung von Honoraren aus unserer Förderung durch die VolkswagenStiftung nicht möglich.
Dennoch konnten wir den Arbeitsaufwand – theoretisch – entschädigen. Für seinen Onlinevortrag sollte Professor Thomas ein Honorar von 500 € aus dem Internationalisierungsbudget des IRS bekommen. Doch die beauftragte Überweisung kam auch nach mehreren Versuchen nicht durch. Professor Thomas‘ Bank ist an das SWIFT- Zahlungssystem angebunden. Aus uns nicht ersichtlichen Gründen konnte die Bank in Erkner dennoch nicht mit ihr kommunizieren. Die Nutzung von Zahlungsanbietern, die sich auf Märkte im „Globalen Süden“ spezialisieren, wie beispielsweise Western Union, ist bei Überweisungen an Externe für das IRS nicht zulässig. Auch die Zahlung scheiterte übrigens nicht am Engagement. Die Finanzverwaltung des IRS legte große Geduld und Durchhaltevermögen an den Tag. Am Ende gelang eine Scheck-Überweisung an Professor Thomas‘ Bankfiliale, die ihm das Geld auszahlen konnte. Professor Thomas erhielt sein Honorar am 6. Dezember 2023, fünf Monate nach seinem Vortrag.
Die Geschichte von Professor Thomas‘ gescheitertem Besuch in Erkner ist weder besonders extrem noch besonders selten. Viele in der wissenschaftlichen Community, die über den „Globalen Norden“ hinaus kooperieren, erleben Enttäuschung und Dilemmata, die uns schlaflose Nächte bereiten und an den Rand der Verzweiflung bringen. Nichts hat mich in den letzten Jahren so viel Zeit und Kraft gekostet, wie die Auseinandersetzungen mit den formellen Hürden in Deutschland, die größtenteils an den gesetzlichen Rahmenbedingungen hängen; allen voran: dem Bundesreisekostengesetz.
Doch auch die Institutionen der Forschungspolitik und -förderung ziehen Kritik auf sich. Die Frustration unter Wissenschaftler*innen ist so groß, dass eine Gruppe von 27 Institutionen und 49 individuellen Forschenden im April 2022 einen offenen Brief an die Spitzen von BMBF, DFG und DAAD veröffentlichte. Darin beklagen die Unterzeichnenden unter anderem Überregulierung, Benachteiligung von Forschenden aus und Kooperationen mit dem „Globalen Süden“ sowie latentes Misstrauen selbst gegenüber renommierten Forschungseinrichtungen des „Südens“. Was sie fordern, ist nicht neu: Entbürokratisierung, direkte Mittelvergabe an Partner und mehr Vertrauen.
Ein Beispiel der jüngeren Zeit zeigt, wie schwierig das ist, selbst bei einer Maßnahme, die eigentlich einen Hoffnungsschimmer darstellt. Bei der DFG ist ein Modul beantragbar, das es ermöglicht, die Stellen direkt an den Universitäten in den Kooperationsländern zu finanzieren. Dank der organisatorischen Unterstützung im IRS ist es auch möglich geworden, dass Anteile von Projektmittel-Overheads (die „Verwaltungskosten“) an Partnerinstitutionen im „Globalen Süden“ zu übertragen. Doch auch dieses Format ist mit Einschränkungen verknüpft. Es fängt damit an, dass das Modul „Kooperationen mit Entwicklungsländern“ heißt. Gerade in postkolonialen Kontexten ist diese Titulierung brisant, und es ist herausfordernd für eine Kooperation auf Augenhöhe, wenn man seinen Kooperationspartner*innen diese Benennung erläutern muss. Noch mehr Unbehagen erzeugen die Auflagen, laut denen wir in den Kooperationsvereinbarungen festlegen müssen, dass die deutsche Institution über die Mittel verfügt und diese an die Partnerinstitution im Ausland überweist. Wenn auch aus rechtlichen Gründen nachvollziehbar, reproduziert dieses Vorgehen doch alte Ungleichheitsstrukturen – was allen Beteiligten, auch den Mittelgebern, bewusst sein dürfte.
Ob IT-Problem, Verwaltungsvorschrift, Bundesgesetz oder Förderregularium – die einzelnen Bausteine ergeben ein Gesamtbild: In Deutschland gibt es ein äußerst eng gestricktes Raster für internationale Kooperation, und wer aus diesem Raster herausfällt, sieht sich mit massiven Problemen konfrontiert. Die Auseinandersetzung damit sollte sich aber nicht in technisch-administrativen Fragen erschöpfen. Es geht um mehr: um die fundamentale Frage, wie wir unsere Privilegien innerhalb des globalisierten Wissenschaftssystems reflektieren, welche Annahmen wir über „die Anderen“ haben, wie wir uns verhalten, was wir dabei riskieren und was es uns wert ist. Die üblichen Denkmuster müssen wir herausfordern, denn sie hindern uns daran, effektiv und auf Augenhöhe zu kooperieren. Wir als Forschende müssen öfter und lauter darüber sprechen, was es heißt, mit der Welt jenseits unserer nationalen Gewohnheiten in Kontakt zu sein. Und die Akteure der Forschungsförderung und internationalen Kooperation – die sich des Problems bewusst sind – müssen sich ehrlich machen und gesetzliche Reformen einfordern.
Professor Thomas‘ Vortrag im Juli 2023 war übrigens trotz allem ein großer Erfolg. Er brachte bahnbrechende Forschungsergebnisse über die Rolle der deutschen Bauunternehmen in Afrika – dem Kernthema unseres Projekts – sowie spannende neue methodische Ansätze für die Archivforschung mit.