03. Juni 2024 | Feature

Buenos Aires: Made in Germany?

Im frühen 20. Jahrhundert war Buenos Aires eine boomende Stadt, die Investitionen aus der ganzen Welt anzog. Deutsche Baufirmen leisteten einen wichtigen Beitrag zum Ausbau der Infrastruktur. Sie waren auch sehr erfolgreich darin, sich als Technologiepioniere zu vermarkten. Buenos Aires wurde für sie zu einer wichtigen Drehscheibe. Das Projekt „Conquering (with) Concrete“ untersuchte die Entwicklung der deutschen Unternehmensnetzwerke in Argentinien. Das Team prüfte auch die Behauptung, dass deutsche Bauunternehmen wichtige Innovationen nach Argentinien exportierten.

Eine Fahrt mit der Linie A des Subterráneo, der U-Bahn von Buenos Aires, endet in östlicher Richtung an der Station „Plaza de Mayo“ – ein guter Startpunkt für einen Spaziergang. Wer hier aussteigt, könnte beispielsweise in Richtung Westen über den repräsentativen Platz schlendern, der im Laufe der Geschichte immer wieder Schauplatz wichtiger politischer Ereignisse und auch politischer Gewalt war. Am Ende des Platzes beginnt, halb rechts, die Avenida Roque Sáenz Peña, ein breiter, lebendiger Boulevard. Bereits nach dem ersten Straßenblock kommt rechts der sehr beeindruckende Hauptsitz der Industrial and Commercial Bank of China in Argentinien in den Blick. Das 1924 für die First National Bank of Boston errichtete Gebäude zeigt eine klare, moderne Fassade, die zum Teil mit Ornamenten im spanischen Renaissancestil verziert ist. Weiter auf der Avenida läuft man frontal auf den weithin sichtbaren Obelisken von Buenos Aires zu, der, 67 Meter hoch, in der Mitte der Plaza de la Republica steht.

Was haben all diese Bauten gemeinsam? Sie wurden mit Hilfe deutscher Bauunternehmen errichtet und erinnern an eine Zeit, in der diese Unternehmen in der argentinischen Hauptstadt stark vertreten waren. Bis heute ist die deutsche Bautätigkeit im Stadtbild von Buenos Aires nicht zu übersehen. Sie zeigt sich in Form von Verwaltungsgebäuden, Monumenten, Kraftwerken, U-Bahn- Stationen und vielen anderen Bauwerken.

Die Doktorandin María Ignacia Jeldes Olivares arbeitet daran, die globalen Netzwerke der deutschen Bauunternehmen in Buenos Aires zu rekonstruieren. Dabei experimentiert sie als Soziologin und Wirtschaftgeographin mit historisch orientierter Forschung. Sie möchte verstehen, wie es den deutschen Baufirmen gelang, sich in der Stadt unverzichtbar zu machen; wie sie sich in Wirtschafts- und Planungskreisen etablierten, wie sie Netzwerke untereinander und mit lokalen Partnern aufbauten, aber auch, wie sie es schafften, sich als Technologiepioniere zu vermarkten und zugleich von lokalen Gegebenheiten und lokalem Wissen zu profitieren. María Jeldes ist Mitglied des Projektteams „Conquering (with) Concrete“ am IRS. Ihr Interesse an Buenos Aires wurde durch erste Ergebnisse der quantitativen Datenerhebung der Gruppe geweckt (siehe Seite 12). „Als ich dazukam, war unsere Projektdatenbank bereits zu einem großen Teil erstellt worden. Als ich mir die Daten ansah, wurde mir schnell klar, dass Buenos Aires eine Art Hotspot des Bauens in Südamerika ist, und diese Region ist mein Interessengebiet“, sagt sie. Buenos Aires wurde somit zu einem wichtigen Standort für das Forschungsteam, um die Expansion deutscher Bauunternehmen in Südamerika zu untersuchen.

Buenos Aires wird oft als die „europäischste“ Stadt Lateinamerikas bezeichnet: Mit ihren breiten Boulevards und Alleen, Parks und großzügigen Plätzen sowie ihrer Vielfalt an frühmodernen Architekturstilen wurde ihre Gestaltung sichtlich von der Renovierung von Paris im 19. Jahrhundert inspiriert. Wie Berlin erhielt die Stadt ihr modernes Stadtbild in einer Phase des schnellen Wachstums zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Damals war Argentinien ein Musterbeispiel für marktwirtschaftliche Entwicklung. Als reichstes Land Südamerikas – und eines der reichsten Länder der Welt – verfügte es über eine florierende Exportwirtschaft, die sich hauptsächlich auf Rindfleisch und andere Rohstoffe konzentrierte. So hatte Argentinien ein Interesse an offenen Märkten. Mit seinen liberalen Institutionen galt es als die richtige Adresse für internationale Investoren. Unternehmen errichteten Niederlassungen in Buenos Aires, um von dort aus Zugang zum gesamten südamerikanischen Markt zu erhalten. Die Stadt zog Arbeitskräfte an, zunächst aus Europa und später aus dem argentinischen Umland. Von 40.000 Einwohnern im Jahr 1810 wuchs die Stadt auf knapp 200.000 im Jahr 1870 und stieg von dort auf über 1,5 Millionen im Jahr 1914. Dementsprechend wuchs die bebaute Fläche von Buenos Aires, und die Infrastrukturen der Stadt kamen an ihre Grenzen: Eisenbahnen, Straßen, Elektrizität, Telegrafenleitungen, Kanalisation und U-Bahn mussten gebaut oder erweitert werden. Die lokalen Eliten übernahmen mit Begeisterung die Ideen und Ideale der Moderne, was sich in einer klaren modernistischen Agenda für alle Aspekte der Stadtplanung niederschlug. In dem Bemühen, Buenos Aires als Weltmetropole zu positionieren, veröffentlichten die Behörden offene Ausschreibungen und holten ausländisches Fachwissen ins Land. So spielten internationale Ingenieur-, Bau- und Verkehrsunternehmen eine wichtige Rolle beim Bau der expandierenden Stadt. Buenos Aires erhielt auf diesem Weg unter anderem den ersten Wolkenkratzer und die erste U-Bahn Südamerikas.

Es ist weithin bekannt, dass deutsche Maschinenbauunternehmen wie Siemens und die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) zu dieser Zeit begannen, international zu expandieren. Weniger bekannt ist, dass auch Baufirmen wie Grün & Bilfinger, Julius Berger und Philipp Holzmann ihre Fühler ausstreckten. Besonders einflussreich wurden sie in Buenos Aires. Die Stadt wurde zu ihrer wichtigsten Drehscheibe in Südamerika, der Bedeutung nach nur vergleichbar mit São Paulo. Aber wie kamen die Firmen in diese Position? Wie haben sich ihre Netzwerke im Laufe der Zeit entwickelt und welche Faktoren haben sie geprägt? Und außerdem: Was ist dran an der Behauptung, die in vielen Unternehmenspublikationen jener Zeit zu finden ist, dass die Deutschen wichtiges technologisches Knowhow mitbrachten, das den Einheimischen nicht zur Verfügung stand? Um diese Fragen zu beantworten, zog das Team Sekundärquellen heran und besuchte Archive in Deutschland, wie das Bilfinger+Berger-Archiv in Mannheim. Um jedoch die Entwicklung der Ereignisse wirklich zu verstehen, musste María Jeldes nach Buenos Aires reisen, um die Materialien zu studieren, die nur in den örtlichen Bibliotheken und Archiven verfügbar sind, wie etwa in der Bibliothek der Architektenkammer und der des Wirtschaftsministeriums.

Zu der fraglichen Zeit war Argentinien sehr offen für Investoren. Allerdings waren die Bauunternehmen nicht die ersten deutschen Unternehmen, die in das Land kamen. Zwei Branchen waren bereits vor der Ankunft der deutschen Bauwirtschaft präsent: das Bankwesen und die Elektrotechnik. AEG und Siemens waren an der Modernisierung des argentinischen Energiesystems beteiligt. Und die Banco Alemán Transatlántico, eine argentinische Tochter der Deutschen Bank, finanzierte seit 1887 Überseehandel und Infrastrukturprojekte. Beide Sektoren gaben Bauprojekte in Auftrag – Kraftwerke bzw. Bürogebäude. Wie María Jeldes hervorhebt: „Das Besondere an der Baubranche ist, dass so viele verschiedene Akteure eine Nachfrage danach haben, nicht nur die Regierung. Jeder kann bauen.“ Und da auch jeder bauen wollte, insbesondere andere deutsche Unternehmen, gab es eine Einstiegsgelegenheit für deutsche Baufirmen.

Philipp Holzmann war wohl das produktivste deutsche Bauunternehmen in Buenos Aires. Im Jahr 1906 begann das Unternehmen mit dem Bau von drei riesigen Kraftwerken für AEG im neuen Hafengebiet, von denen zwei heute noch in Betrieb sind. Der Hafen selbst musste erweitert werden, und auch hier wurde Holzmann aktiv. 1909 erteilte die Stadtverwaltung der Anglo-Argentine Tramways Company, die in Buenos Aires bereits eines der größten Straßenbahnnetze der Welt betrieb, eine Konzession für den Bau einer U-Bahn-Linie. Die 10,8 Kilometer lange Linie A zwischen der Plaza de Mayo und der Plaza Once sollte die erste Linie des Subterráneo, kurz Subte, werden. Philipp Holzmann wurde mit dem Bau beauftragt. Die Strecke wurde 1913 eröffnet. Andere frühe Projekte waren Banken, öffentliche Bürogebäude und Geschäftshäuser.

In den ersten Jahren seiner Präsenz war Philipp Holzmann direkt von Deutschland aus tätig, lediglich mit einer Repräsentanz in Buenos Aires. Aber 1913, im selben Jahr, in dem die U-Bahn eröffnet wurde, gründete das Unternehmen offiziell eine argentinische Tochtergesellschaft in deutschem Besitz mit dem Namen Compañía General de Obras Públicas oder GEOPÉ. Nach 25 Jahren, im Jahr 1938, konnte GEOPÉ eine Broschüre veröffentlichen, in der Hunderte von erfolgreichen Bauprojekten vorgestellt wurden. Die Publikation dokumentiert auch, dass sich das Unternehmen auf viele andere Standorte in Südamerika ausgedehnt hatte: Bogotá (Kolumbien), Lima (Peru), Santiago (Chile), Montevideo (Uruguay) und Rio de Janeiro (Brasilien). GEOPÉ, wie auch andere deutsche Bauunternehmen, profitierten stark von ihrem Image als Technologiepioniere, die über einzigartiges Fachwissen, insbesondere beim Bauen mit Stahlbeton verfügten. In Werbematerialien wie der genannten Broschüre wurde diese Botschaft stark betont. Aber solche Behauptungen sind umstritten und die Wahrheit ist komplexer. Lokales Wissen spielte eine viel wichtigere Rolle, als die PR-Materialien vermuten lassen. Der in den 1930er-Jahren begonnene Ausbau der U-Bahn ist in dieser Hinsicht ein sehr aufschlussreicher Fall, weshalb María Jeldes ihm eine ausführliche Fallstudie gewidmet hat.

Der Ausbau des Subterráneo bot die Gelegenheit, eine neue Bauweise für U-Bahn-Tunnel in der Stadt umzusetzen und zu etablieren. Die erste und die zweite U-Bahn- Linie von Buenos Aires, die 1913 bzw. 1930 fertiggestellt wurden, waren in der traditionellen Deckelbauweise gebaut worden. Dabei werden die Straßen aufgeschnitten und die Tunnel im Wesentlichen als Gräben entlang des Straßenverlaufs ausgehoben, bevor sie wieder abgedeckt werden. Diese Methode hat erhebliche Nachteile, da sie während des Baus den Verkehr behindert und am Ende die U-Bahn-Züge in enge Kurven zwingt.

Daher gab die Stadtverwaltung 1929 einen Plan zur Erweiterung des Netzes um drei Linien (C, D und E) in Auftrag. Die Tunnel sollten in größerer Tiefe durch den Untergrund der Stadt gegraben werden, wobei die Oberfläche nur für den Bau neuer Stationen aufgebrochen werden sollte. Die Armierung der Tunnel mit Stahlbeton während des Baus wurde als Schlüsseltechnologie für diese Art von Projekt angesehen. Die Compañía Anónima de Proyectos y Construcciones de Madrid (CAPYC) erhielt die Konzession und vergab die Bauarbeiten an die Siemens-Bauunion, die Grün & Bilfinger AG und teilweise an GEOPÉ. Im Rückblick werden die deutschen Bauunternehmen als Experten für den Stahlbetonbau und als Pioniere des städtischen Tunnelbaus in Buenos Aires angesehen, und sie selbst profilierten sich aktiv und höchst erfolgreich in diesem Sinn. Die Tunnelbaumethode wurde umgangssprachlich sogar als „deutsche Methode“ oder „Berliner Methode“ bezeichnet.

Die Wahrheit ist jedoch weniger eindeutig und beinhaltet mehr Einflussnahme durch lokale Fachleute sowie eine größere Rolle der örtlichen Gegebenheiten, wie María Jeldes herausfand. Tatsächlich hatten die deutschen Bauunternehmen mehr Erfahrung mit der traditionellen Deckelbauweise, die sie bei anderen U-Bahn- Projekten von Berlin bis Athen angewandt hatten und weiterhin nutzten. Nur versuchsweise übernahmen sie das Urban Tunnelling, das sie in erster Linie als Bergbaumethode betrachteten. Der Tunnelbau war ein ständiger Anlass für Auseinandersetzungen zwischen argentinischen Ingenieur*innen und ihren deutschen Pendants. Ein Hauptstreitpunkt war die Qualität des örtlichen Bodens, einer besonders kompakten Art von Löss. Die argentinischen Fachleute lobten die inhärente Stabilität des Bodens, die keine umfangreiche Bewehrung erforderte und eine gewagtere Durchführung des Projekts erlaubte, als die Deutschen aufgrund früherer U-Bahn-Projekte in Europa glaubten. Ein häufig verwendetes deutsches Ingenieurhandbuch wurde besonders kritisiert. Die Argentinier argumentierten, es sei „nicht der Weisheit letzter Schluss“.

Die deutsche Ingenieurszunft in Argentinien war ihrerseits gut organisiert. Der „Verein Deutscher Ingenieure – Freundeskreis Argentinien“ vertrat kontinuierlich die Botschaft von der außergewöhnlichen deutschen Kompetenz und versuchte sogar, Regulierungsprozesse zu beeinflussen – auf der Grundlage deutscher Vorstellungen von Best Practice. Deutsche und argentinische Fachleute stritten offen in Medien wie dem Bulletin des Ministeriums für öffentliche Bauten und der Fachzeitschrift „La Ingeniería“ miteinander. Der Tunnelbau für die U-Bahn war ein beliebtes Thema in diesen Debatten und wurde besonders lebhaft diskutiert.

Während die argentinischen Ingenieur*innen, die an dem Projekt arbeiteten, auf mehr Innovation drängten, überwachten die Behörden das Projekt streng und kritisch. Die Regulierungsbehörden bremsten das, was sie als zu viel Innovation ansahen, und verlangsamten beispielsweise die Untertunnelung von Gebäuden. Mit der Zeit setzten sich aber die Innovatoren durch, und spätere U-Bahn-Linien wurden unabhängiger von anfänglichen Bedenken gebaut. Die deutschen Bauunternehmen hatten dabei zwar durchaus ihre Kompetenz im Stahlbetonbau mitgebracht, aber das Urban Tunnelling im U-Bahn-Bau ging nicht allein auf sie zurück. In der Folgezeit setzten sie ihr neues Wissen bei anderen Projekten in der ganzen Welt ein. Der argentinische Technikhistoriker Dhan Zunino Singh, ein Kooperationspartner unserer Gruppe, konnte bei anderen Akteuren vergleichbare Transferprozesse belegen.

Neben ihrer Lern- und Anpassungsfähigkeit spielten weitere Faktoren eine Rolle für den Erfolg der deutschen Unternehmen. Es scheint, dass sie besonders bereit waren, Mitglieder der lokalen wirtschaftlichen, technischen und politischen Eliten in ihre Vorstände zu berufen. Manchmal waren die Vorstandsmitglieder auch für andere Unternehmen tätig. Selbst die Präsidenten der Unternehmen – und auch hier ist GEOPÉ ein gutes Beispiel – waren manchmal Argentinier, obwohl diese Position in der Regel mit einem deutschen Staatsangehörigen besetzt wurde. Die Präsidenten waren wichtig für den Aufbau von Kontakten zu den relevanten Akteuren. Die gesamte Rekrutierungsstrategie diente dazu, deutschen Unternehmen Zugang zu potenziellen Kunden, Partnern und Entscheidungsverantwortlichen zu verschaffen, aber auch Einblicke in entstehende technische Standards und Vorschriften zu gewähren.

Ein weiterer Faktor, der sowohl den Erfolg der deutschen Unternehmen als auch ihr Image als Technologiepioniere unterstützte, war ihre oligopolistische Geschäftspraxis. Deutsche Bauunternehmen bezogen typischerweise andere deutsche Zulieferer in Bauprojekte ein. Wenn ein Kraftwerk gebaut wurde, kamen die Generatoren und Turbinen natürlich von Siemens. Maschinen für Bauprojekte wurden aus Deutschland importiert. Beim Ausbau der U-Bahn lieferte Siemens die Signalanlagen für das Netz und für die Wagen. Die ersten Waggons wurden sogar komplett aus Hamburg verschifft. Apropos Verschiffung: Früh im 20. Jahrhundert wurden sogar die Rohstoffe für Zement aus Europa verschifft. Solche schweren und relativ geringwertigen Materialien konnten nur deshalb effizient verschifft werden, weil Argentinien auch große Mengen an Rohstoffen nach Europa exportierte. Statt die Frachtschiffe leer nach Hause fahren zu lassen, wurden sie mit Zement beladen. Schon bald begann Argentinien, seine Rohstoffe vor Ort zu beschaffen und eine eigene Zementindustrie aufzubauen, die bis heute äußerst wettbewerbsfähig ist. Allerdings war die Industrie noch sehr lange auf importierte Maschinen angewiesen, die zu einem Großteil aus Deutschland kamen.

Die Ausbauphase der U-Bahn wurde 1944 abgeschlossen. Dieser Zeitrahmen zeigt, dass Unternehmen in deutschem Besitz bis weit in den Zweiten Weltkrieg hinein in Argentinien tätig sein konnten. Die außergewöhnliche Offenheit des Landes für deutsche Unternehmen war ein weiterer Faktor, der den Erfolg von Bauunternehmen wie GEOPÉ begünstigte. Nach dem Ersten Weltkrieg untersagten viele Länder deutschen Unternehmen und ihren Tochtergesellschaften die Tätigkeit. Argentinien tat dies nicht – wiederum höchstwahrscheinlich aus Interesse am Export und an offenen Märkten. So wurde Argentinien für deutsche Baufirmen noch wichtiger, und sie konzentrierten sich noch stärker auf diesen Markt. Die Zwischenkriegszeit wurde zur produktivsten Zeit für deutsche Bauunternehmen in Argentinien. Daran änderte auch die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 nichts. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs geriet Argentinien, das ursprünglich eine neutrale Haltung eingenommen hatte, jedoch zunehmend unter Druck der US-Regierung, deutsche Unternehmenstätigkeit zu verbieten. Einige Unternehmen evakuierten vorsorglich ihre Vermögenswerte. Ende 1944 wurden schließlich die Büros der deutschen Unternehmen, die sich noch im Land befanden, beschlagnahmt und ihre Vermögenswerte verstaatlicht. Dazu gehörte auch GEOPÉ. Das Unternehmen arbeitete noch eine Zeit lang als rein argentinisches Unternehmen weiter, bevor es verschwand.

Schon in den 1950er-Jahren öffnete sich Argentinien wieder, und die Regierung bot den ehemaligen deutschen Muttergesellschaften sogar an, ihre Vermögenswerte zurückzukaufen. Philipp Holzmann nahm das Angebot nicht an, aber andere Unternehmen schon. Heute ist zum Beispiel Siemens in Argentinien recht stark vertreten, allerdings nur im Maschinenbau und nicht im Bauwesen. Viele Jahre nach der Schließung von GEOPÉ, im März 2002, schlitterte die Philipp Holzmann AG in den Konkurs. Mehrere Tochtergesellschaften wurden an andere Unternehmen verkauft. Holzmann existierte als Mantelgesellschaft weiter und ihre Aktien blieben an der Börse notiert. 22 Jahre später, während Deutschland Anfang 2024 durch die größte Baukrise seit Jahrzehnten geht, ist absehbar, dass die Börsennotierung von Philipp Holzmann verschwinden wird. Aber die Auslandsaktivitäten und Netzwerke des Unternehmens bleiben ein spannendes und weiterhin wenig erforschtes Thema.

Text: Dr. Felix Müller


02. April 2024 | Feature
Neue Ausgabe von IRS aktuell zur Geschichte des Auslandsbaus

Geschmückt mit dem Gütesiegel „Made in Germany“ haben Bauunternehmen während des gesamten 20. Jahrhunderts die Globalisierung des Bauens vorangetrieben und davon profitiert. Die neue Ausgabe des Magazins IRS aktuell widmet sich der Geschichte des Auslandsbaus. In ihrem Eingangsbeitrag reflektiert IRS-Nachwuchsgruppenleiterin Monika Motylińska die Aktivitäten der Freigeist-Nachwuchsgruppe „Conquering (with) Concrete“, auf der die Ausgabe zum Großteil basiert. mehr Info

Beitrag aus IRS aktuell 101 / April 2024

Im Lauf des 20. Jahrhunderts bemühten sich Baufirmen aus Deutschland darum, außerhalb Europas Bauprojekte zu realisieren. Die Firmen profilierten sich als technologische Pioniere, besonders in der Verwendung von (Stahl-)Beton. Diese Ausgabe beleuchtet die Arbeit der Forschungsgruppe „Geschichte der gebauten Umwelt“, die den „Auslandsbau“ - einschließlich seiner Schattenseiten als mitunter postkolonial motivierte Unternehmung - kritisch und methodisch vielfältig untersucht hat. mehr Info