Orte der Ankunft – Großwohnsiedlungen in Ostdeutschland

No 98 | Juni 2022

In dieser Ausgabe, die von Matthias Bernt inhaltlich betreut wurde, widmen wir uns speziell den industriell errichteten Großwohnsiedlungen ostdeutscher Städte und ihrem bemerkenswerten Rollenwandel: von attraktiven, modernen Wohngebieten zu medial stigmatisierten Orten des Wegzugs und von dort zu neuen Ankunftsorten der Migration. Im besagten Verbundprojekt „StadtumMig – Vom Stadtumbauschwerpunkt zum Einwandererquartier? Neue Perspektiven für periphere Großwohnsiedlungen“ hat das IRS gemeinsam mit Partnereinrichtungen in der Region die Hintergründe und praktischen Herausforderungen dieses Wandels erforscht. Beiträge in diesem Heft geben u. a. Auskunft über den Wandel der kommunalen Integrationsarbeit, über die Rolle der Wohnungswirtschaft und Anforderungen an die Freiraumplanung.

 

Großwohnsiedlungen gibt es im Osten wie im Westen Deutschlands. Doch ihre Ausgangslagen, ihre Entwicklungs­linien und die soziale Zusammensetzung ihrer Einwohnerschaft unterscheiden sich in beiden Landesteilen deutlich. Waren Großwohnsiedlungen in Westdeutschland von Anfang an Schwerpunktorte der Zuwanderung und bewohnt von überwiegend einkommensschwachen Haushalten, machten die „Plattenbaugebiete“ in Ostdeutschland einen dramatischen Wandel durch: Von beliebten und sozial weitgehend homogenen Wohnquartieren zu Orten des Wegzugs und schließlich zu Zentren der Zuwanderung. Die sozialräumliche Ungleichheit in ostdeutschen Städten überholte in diesem Wandlungsprozess die in westdeutschen Städten. mehr Info

In der wissenschaftlichen Forschung zu Großwohnsiedlungen dominiert eine westliche Sicht. Die vor allem in den 1960er- bis 1980er-Jahre überall in Europa errichteten Stadtteile gelten darin als Sonderfälle auf dem Wohnungsmarkt und potenzielle soziale Brennpunkte. Die osteuropäische Realität ist eine andere, denn hier sind Großwohnsiedlungen ganz normal. Gleichzeitig haben diese Viertel mit völlig anderen Problemen zu kämpfen, als ihre westeuropäischen Pendants. Das Projekt „Estates after Transition“ hat die osteuropäische Perspektive aufgegriffen und die Planungsherausforderungen osteuropäischer Großwohnsiedlungen beleuchtet. mehr Info

Ostdeutsche Städte werden seit 2015 zunehmend zu neuen Zielorten internationaler Migration. Die Zuwanderung erfolgte mehrheitlich in die Großwohnsiedlungen, die noch über größere Leerstände im Wohnungsbereich verfügten. Hier stieg der Anteil zugewanderter Bevölkerung stark an, was die Kommunen und städtischen Zivilgesellschaften vor große Herausforderungen stellte. Im Rahmen des „StadtumMig“-Projekts hat das IRS die Neuausrichtung der kommunalen Integrationsarbeit ab 2015 untersucht. Die Forschenden konnten zeigen, dass die Kommunen schnell eigene Strukturen und Kooperationsnetzwerke etablieren konnten, deren Stabilisierung jedoch weiterhin schwierig ist. mehr Info

Welche Rolle spielen wohnungswirtschaftliche Eigentumsverhältnisse bei der Entwicklung von Großwohnsiedlungen? Wie beeinflussen sie ihre Sozialstrukturen und Entwicklungsperspektiven? Das IRS ging diesen Fragen unter anderem in der südlichen Neustadt in Halle (Saale) und auf dem Dreesch in Schwerin nach. Es zeigte sich: Ostdeutsche Großwohnsiedlungen haben in den letzten Jahren eine Umschichtung der Hauseigentümerstruktur erlebt. Kommerzielle Investoren haben erhebliche Teile der Wohnungsbestände erworben und sind neben kommunalen und genossenschaftlichen Eigentümern zu einer strukturbestimmenden Größe geworden. Die Konsequenzen stellen sich sehr differenziert dar. mehr Info

Großwohnsiedlungen wurden ursprünglich mit eigenen Stadtteilzentren und viel Grün zwischen den Gebäuden geplant. Im Projekt „StadtumMig“ hat das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) in Dresden die städtebaulichen Strukturen, Freiräume und Infrastrukturen ausgewählter ostdeutscher Großwohnsiedlungen daraufhin untersucht, ob sie auch heute noch Orte für Begegnungen, für Austausch und fürs Kennenlernen bieten. Es zeigte sich, dass es an geeigneten Begegnungsorten mangelt. Gerade unter dem Eindruck eines erneuten Einwohnerwachstums durch Migration steht die Freiraumplanung in Großwohnsiedlungen deshalb vor großen Herausforderungen. mehr Info

Der Befund ist eindeutig: In vielen Großwohnsiedlungen kommt es zu Zuzügen einkommensschwacher Haushalte. Weil diese anderswo keinen adäquaten Wohnraum finden, ziehen sie dorthin, wo er noch zu bezahlbaren Preisen zur Verfügung steht. In der Summe steigt dadurch in den Großwohnsiedlungen die Konzentration von Armut. Welcher Handlungsauftrag folgt daraus für die Politik? Nach wie vor herrscht in der öffentlichen Debatte das Bild einer „sozialen Mischung“ vor, die durch eine gezielte Steuerung der Bewohnerstruktur von Großwohnsiedlungen aufrecht zu erhalten oder wiederherzustellen ist. Doch die wissenschaftliche Evidenz dafür ist dünn. Eine andere Größe ist wichtiger und leichter politisch zu beeinflussen: die Infrastrukturausstattung. mehr Info

Schwerin-Mueßer Holz ist eine von drei ostdeutschen Großwohnsiedlungen, die im „StadtumMig“-Projekt unter die Lupe genommen wurden. Der Stadtplaner Reinhard Huß hat seit den frühen 1990er-Jahren die Entwicklung des Quartiers begleitet. Im Interview blickt er zurück und äußert sich zur Diskussion über Großwohnsiedlungen als Ankunftsquartiere. mehr Info