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Die Reorganisation der kommunalen Integrationsarbeit am Beispiel von Schwerin, Halle und Cottbus
Ostdeutsche Städte werden seit 2015 zunehmend zu neuen Zielorten internationaler Migration. Die Zuwanderung erfolgte mehrheitlich in die Großwohnsiedlungen, die noch über größere Leerstände im Wohnungsbereich verfügten. Hier stieg der Anteil zugewanderter Bevölkerung stark an, was die Kommunen und städtischen Zivilgesellschaften vor große Herausforderungen stellte. Im Rahmen des „StadtumMig“-Projekts hat das IRS die Neuausrichtung der kommunalen Integrationsarbeit ab 2015 untersucht. Die Forschenden konnten zeigen, dass die Kommunen schnell eigene Strukturen und Kooperationsnetzwerke etablieren konnten, deren Stabilisierung jedoch weiterhin schwierig ist.
Ostdeutsche Städte haben sich spätestens seit dem starken Zuzug Geflüchteter ab 2015 als Ankunftsorte etabliert. Besonders deutlich war die Veränderung in Städten mit Großwohnsiedlungen, die bis dato stark von Abwanderung und damit Leerstand betroffen waren. Solche Städte nahmen oftmals mehr Geflüchtete auf, als es der Königsteiner Schlüssel – der bundesweite Verteilungsschlüssel u. a. für Geflüchtete – vorgesehen hätte. Daher stieg in manchen Großwohnsiedlungen, wie etwa Halle-Neustadt und Schwerin-Mueßer Holz, der Anteil migrantischer Bevölkerung in kurzer Zeit von einem sehr niedrigen Ausgangsniveau auf bis zu 30 %. Infolgedessen haben diese Kommunen große Integrationsaufgaben zu bewältigen. Für die Städte hatte diese Entwicklung positive und negative Effekte. Einerseits konnten sie ihre Bevölkerungszahlen insbesondere in den Großwohnsiedlungen stabilisieren; die neuen Bewohner*innen trugen zu einer Verjüngung in den Quartieren und auch zu einer Verringerung des Wohnungsleerstands bei. Der demografische Wandel verstärkte jedoch andererseits auch die Defizite in den Quartieren, u. a. die infrastrukturelle Unterversorgung. Die jüngste Zuwanderung Geflüchteter aus der Ukraine legt nahe, dass 2015 kein Einzelfall war, und Kommunen sich insgesamt darauf vorbereiten müssen, schnell auf Zuwanderungen reagieren zu können. Was kann also für die Zukunft von der Zuwanderungssituation 2015 gelernt werden? Wie müssen Kommunen dafür aufgestellt sein?
Mit diesen Fragen haben sich Wissenschaftler*innen im Verbundprojekt „StadtumMig – Vom Stadtumbauschwerpunkt zum Einwanderungsquartier? Neue Perspektiven für periphere Großwohnsiedlungen“ in drei Großwohnsiedlungen in den ostdeutschen Verbund-Partnerstädten Schwerin, Halle und Cottbus beschäftigt.
Forschende des IRS haben dabei speziell die Transformation kommunaler Verwaltungsstrukturen und Handlungsansätze, insbesondere in den Integrations- und Stadtplanungsämtern in den drei Kommunen, untersucht. Um die Tragweite der Veränderungen zu erfassen, verglichen sie kommunale Handlungskonzepte, analysierten Dokumente und führten zahlreiche Experteninterviews mit Mitarbeitenden der Verwaltungen, der Regeldienste, in den Projekten sozialer Träger sowie mit Ehrenamtlichen verschiedener Initiativen und Selbstorganisationen von Migrant*innen.
Drei zentrale Ergebnisse können auf der Grundlage dieser Untersuchungen formuliert werden:
- Eine Angleichung der Wertvorstellungen und Orientierungen in der kommunalen Integrationsarbeit hat weitestgehend bereits in den Jahren vor 2015 stattgefunden, und zwar hin zu einem Verständnis von Integration als einem gesamtgesellschaftlichen Veränderungsprozess.
- Unabhängig davon sind die drei Projektkommunen bei der Entwicklung neuer Verwaltungsstrukturen seit 2015 und 2016 jedoch sehr unterschiedliche Wege gegangen.
- Die Einbindung des Ehrenamts spielt bei der Umsetzung der Integrationsaufgaben eine große Rolle.
Von Improvisation zu strategischer Koordination
Die Reorganisation der kommunalen Integrationsarbeit nach 2015 vollzog sich in mehreren Phasen und lokal unterschiedlich. Zu Beginn wurde deutlich, dass existierende Strukturen an ihre Grenzen kamen. So zeigte sich in Schwerin und Halle, dass die bereits vorhandene Stelle der oder des Integrationsbeauftragten nicht mehr ausreichte, um die Situation adäquat anzugehen. In der ersten Phase, in der es um die Koordination der Erstaufnahme und Unterbringung der steigenden Zahl Geflüchteter in den Jahren 2015 und 2016 ging, etablierten sich neue Schlüsselfiguren in den Verwaltungen. In Schwerin war es der neu ernannte Sozialdezernent, in Cottbus die neue Koordinatorin für Asyl im Sozialdezernat. Dabei konnten sie auf verwaltungsinterne, ressortübergreifende Arbeitsgruppen in den Kommunen zurückgreifen. Nach etwa einem Jahr führten die Erfahrungen mit dem Ankunftsprozess zu einer zweiten Phase, in der sich sichtbare, aber in den untersuchten Städten sehr unterschiedliche Reorganisationen der kommunalen Strukturen im Integrationsbereich vollzogen.
In Schwerin wurden die vorhandenen Strukturen reorganisiert, indem das Büro des Integrationsbeauftragten um zwei Lotsenstellen erweitert dem Sozialdezernat zugeordnet wurde. Der neue Dezernent verfolgte eine umfassende konzeptionelle Verschränkung der Integrationsarbeit mit den kommunalen Pflichtaufgaben im sozialen Bereich, z. B. mit der Jugendsozialarbeit oder der Kitabedarfsplanung. Die Umstrukturierung machte es möglich, einen Teil die Integrationsaufgaben mit den laufenden Aufgaben in diesen Bereichen zu verknüpfen und teilweise auch darüber zu finanzieren.
In Halle wurde zur Verbesserung der Steuerung eine neue Struktur etabliert – das Dienstleistungszentrum Integration, welches dem Büro des Oberbürgermeisters unterstellt wurde. Das neue Zentrum verlieh der Integrationsarbeit eine große Sichtbarkeit und kann als Bekenntnis der Stadt zur Übernahme der Aufgaben gelesen werden. Neben der Leitungsstelle wurden hier die Integrationsbeauftragte und ein Team, welches die dezentrale Unterbringung der Geflüchteten managte, angesiedelt. Die spätere Einbindung weiterer kommunaler Beauftragter und der Demokratieförderung in das Zentrum ermöglichte nicht nur eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Beauftragten, sondern auch eine Festigung der neuen Struktur.
Im Unterschied zu Schwerin und Halle wurde die Steuerung in Cottbus bottom-up angegangen. Die Koordinatorin für Asyl organsierte in allen vom Zuzug betroffenen Stadtteilen Konferenzen mit Engagierten und Mitarbeiter*innen sozialer Träger und Projekte. Dabei ging es um die Herausforderungen in der Arbeit mit Geflüchteten, um Unterstützungsbedarfe durch die Verwaltung sowie die Vernetzung zwischen den Akteur*innen. Ergebnis dieser Konferenzen war ein Forderungskatalog, der die Grundlage für die Verhandlungen mit der brandenburgischen Landesregierung zur Ausgestaltung und Finanzierung der Migrationssozialarbeit in Cottbus bildete. Des Weiteren wurden externe Fördermittel bei der Koordinationsstelle angesiedelt, so dass auch in Cottbus eine neue Struktur entstand – der Bereich für Bildung und Integration mit sechzehn Mitarbeiter*innen, der nachträglich in das Büro des Oberbürgermeisters integriert und zum Fachdienst aufgewertet wurde.
Die sehr verschiedenen Formen der Neuaufstellung der Integrationsarbeit in den Städten hängen von verschiedenen Faktoren ab, erstens von den im Prozess etablierten Schlüsselfiguren und zweitens von ihren Möglichkeiten, die neuen Strukturen finanziell abzusichern. Denn Integrationsarbeit stellt nach wie vor eine freiwillige kommunale Aufgabe dar und Städte müssen die Mittelausstattung dafür mit den Landesregierungen immer wieder neu verhandeln. Das macht es den Kommunen oftmals sehr schwer, langfristige, neue Stellen oder Strukturen zur Steuerung der Integrationsaufgaben in den Verwaltungen zu etablieren.
Integrationsarbeit im Quartier – asymmetrische Kooperationen
Auch bei der Umsetzung der Integrationsaufgaben sind die Kommunen auf Zuwendungen und Projektausschreibungen der Länder, des Bundes und der Europäischen Union angewiesen, daraus resultiert eine temporärere und projektbasierte Finanzierung der kommunalen Integrationsarbeit. Ein Weg, um diese sich regelmäßig verändernde Ausfinanzierung auszugleichen, ist der Einbezug des Ehrenamts in die Integrationsarbeit. Dies bringt natürlich auch einen großen Vorteil mit sich, nämlich die Beteiligung und Mitgestaltung des Integrationsprozesses durch die Büger*innen, wodurch auch eine Öffnung und Transformation der Gesellschaft insgesamt stärker unterstützt wird. In den Forschungen im StadtumMig-Projekt wurde deutlich, dass in den Stadtverwaltungen unterschiedliche Formen der Kooperation mit dem Ehrenamt etabliert wurden. Schwerin und Halle, die bereits vor 2015 eine sehr gut aufgestellte Integrationsarbeit aufwiesen, verfügen über langjährige horizontale Strukturen zur Kooperation: die Integrationsnetzwerke, die von den Integrationsbeauftragten angeleitet werden. Die Fragen der Integrationsarbeit werden hier in verschiedenen thematisch organisierten Arbeitskreisen diskutiert. Cottbus stand 2016 diesbezüglich am Anfang, konnte aber aufgrund zahlreicher aktiver Initiativen schnell eine horizontale Arbeitsweise etablieren, die jedoch bislang nicht in dieser Form institutionalisiert wurde. Die Zusammenarbeit findet hier in Stadtteil- oder Fachkonferenzen statt.
Am Beispiel der drei Städte konnte beobachtet werden, dass sowohl Integrationsnetzwerke als auch die anlassbezogene Zusammenarbeit in Konferenzen geeignete Formen zur gemeinsamen Auseinandersetzung mit den Aufgaben in den Zuwanderungsquartieren sind. Allerdings zeigten sich deutliche Unterschiede bei der Art, wie Verwaltungen Ehrenamtliche an-sprechen und einbinden. In Schwerin wird ein Augenmerk darauf gelegt, die wahrgenommenen Defizite des Ehrenamts auszugleichen, etwa – aus Sicht der Verwaltung – fehlende Effizienz und parallel laufende Aktivitäten. In Cottbus werden ehrenamtlich Engagierte dagegen in die gemeinsame Vorbereitung von Verhandlungen mit der Landes- oder Stadtregierung um Finanzen und neue Strategien eingebunden. Das Cottbuser Modell basiert somit stärker auf der Idee einer Allianz mit den Akteur*innen im Quartier, während die Kooperation in Schwerin in der Vergangenheit durchaus dirigistische Züge aufwies.
Der britische Ökonom, Soziologe und Politikwissenschaftler Bob Jessop, der sich mit den Herausforderungen des Regierens in vertikalen und horizontalen Netzwerken beschäftigt hat, weist auf die Schwierigkeiten hin, unterschiedliche Akteurstypen in horizontalen Netzwerken zu koordinieren. Diese zeichnen sich durch unterschiedliche Arbeitsweisen, Motive und Ressourcen aus, wodurch auch immer eine Machtasymmetrie die Netzwerke charakterisiert. Stehen beim Hauptamt (in diesem Fall also Verwaltungsmitarbeiter*innen) Zielsetzungen, Effektivität und Synergien im Vordergrund, so geht es beim Ehrenamt um gegenseitige Unterstützung und Empowerment. Die Erkenntnisse des StadtumMig-Projekts legen nahe, dass stärker top-down organisierte Koordinationsmodelle zwar sehr effizient sein können, aber die Gefahr bergen, die Freiwilligkeit des Ehrenamts zu wenig zu respektieren und dessen Entscheidungs- sowie Gestaltungsmöglichkeiten einzuschränken. Dadurch können die Asymmetrien in horizontalen Netzwerken aufbrechen, was die Kooperation beeinträchtigen würde.
Zusammenfassend betrachtet legt der interkommunale Vergleich im „StadtumMig”-Projekt nahe, dass kommunale Verwaltungsstrukturen im Integrationsbereich ganz unterschiedlich organisiert sein können. Wichtig ist jedoch eine verlässliche Ausfinanzierung, um eine endlose Schleife zwischen situationsbedingtem Auf- und Abbau von Strukturen, Stellen und Projekten zu verhindern. Integrationsarbeit, die horizontal, als Kooperation mit Bürger*innen angelegt ist, kann in der Stadtgesellschaft einen nachhaltigen Öffnungs- und Transformationsprozess befördern.