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„Trotz Unsicherheit hoffnungsvoll“
Interview mit den IRS-Nachwuchsgruppenleiterinnen Jana Kleibert und Monika Motylinska
Das IRS beherbergt derzeit zwei Nachwuchsgruppen, die aus prestigeträchtigen Programmen gefördert werden. Die Stadt- und Wirtschaftsgeographin Jana Kleibert erforscht mit ihrer Leibniz Junior Research Group „Constructing Transnational Spaces of Higher Education“ (TRANSEDU) seit 2018, wie in internationalen „Branch Campuses“ Hochschulbildung vermarktet wird. Die Architekturhistorikerin Monika Motylinska untersucht mit ihrer im Freigeist-Programm der VolkswagenStiftung geförderten Nachwuchsgruppe „Conquering (with) Concrete“ seit Anfang 2020, was deutsche Bauunternehmen im 20. Jahrhundert zur Globalisierung der Architektur beigetragen haben. Im Interview reflektieren die beiden Wissenschaftlerinnen den derzeitigen Arbeitsstand ihrer Forschungsgruppen und erklären, wie sie mit den Herausforderungen der Corona-Pandemie umgehen.
Frau Kleibert, Frau Motylinska, Sie haben beide in sehr wettbewerbsintensiven Programmen Drittmittelförderung für je eine Nachwuchsgruppe mit drei Promovierenden eingeworben. Was heißt das für Sie als Postdocs und für Ihre wissenschaftliche Karriere?
Kleibert: Das bedeutet einen großen Sprung: die Möglichkeit über fünf Jahre ein umfangreicheres Projekt durchzuführen und ein größeres Forschungsthema anzugehen, das auch vergleichende Forschung erlaubt. Ich habe mehr Freiheit und mehr Verantwortung, auch Personalverantwortung. Außerdem macht das selbstständige Leiten einer Gruppe einen auch sichtbarer.
Motylinska: Ein Freigeist-Fellow zu werden war mein Ziel und Traum, seitdem ich während meiner Promotion von diesem Programm erfahren habe. Für die aktuelle Phase in meiner wissenschaftlichen Laufbahn ist es wirklich das beste Szenario, das ich mir ausmalen könnte.
Woran haben Sie in dieser Funktion Freude und was ist schwierig?
Kleibert: Mir macht die Arbeit im Team großen Spaß. Mir fällt spontan nichts ein, was keine Freude bereitet. Schwierigkeiten bringt allerdings die Corona-Pandemie mit sich, die unsere Pläne über den Haufen geworfen hat, und durch die unsere Feldforschungsaufenthalte abgebrochen werden mussten.
Motylinska: Für mich ist es sehr spannend und erfreulich zu beobachten, wie die Ideen aus dem Projektantrag umgesetzt und im Team ausgearbeitet werden. Der ständige Austausch mit allen Teammitgliedern – nicht nur mit den drei Promovierenden, sondern auch mit unseren wissenschaftlichen Hilfskräften und den engen Kooperationspartnern von der Universität Gent (Prof. Johan Lagae und sein Team) – ist sicherlich etwas, was mich auch in den schwierigsten Monaten der Unsicherheit motiviert. Denn die Schwierigkeiten sind tatsächlich durch die globale Pandemie bedingt, dazu zählt auch für uns die generelle Unplanbarkeit und Unmöglichkeit der Feldforschung, die für unser Projekt von zentraler Bedeutung ist.
Welche Rolle spielt das IRS – für die Einwerbung und als der Ort, wo Ihre Gruppen angesiedelt sind?
Kleibert: Das IRS bietet ein gutes Umfeld und Unterstützung. Die Gruppe ist hier vielfältig eingebunden. Den PhDs im Projekt bieten sich viele Austauschmöglichkeiten, etwa durch die IRS Doktorandengruppe oder auch die Spring Academy. Sehr gut ist auch die Bereitschaft zur Strukturveränderung: Das IRS hat die Eigenständigkeit der Nachwuchsgruppen in seine Arbeitsabläufe integriert. Ich freue mich, wenn Monika Motylinskas Gruppe komplett ist und anfängt!
Motylinska: Das IRS spielte sowohl für die Einwerbung als auch für die Durchführung des Projektes eine entscheidende Rolle, denn es gibt nicht viele Orte, an denen eine wirklich interdisziplinäre Forschung zwischen diversen raumbezogenen, historischen und sozialwissenschaftlichen Bereichen überhaupt möglich wäre. Des Weiteren profitieren wir von den Erfahrungen von Jana Kleiberts Nachwuchsgruppe – organisatorisch, aber auch inhaltlich.
Frau Kleibert, was zeichnet das Format der Leibniz Junior Research Group aus?
Kleibert: Es ist eine klassische Nachwuchsgruppe ähnlich dem Emmy-Noether-Programm der DFG. Es ist allerdings eine große Neuerung ein solches Format in der Leibniz-Gemeinschaft zu haben. Die erste Kohorte startete 2018 mit acht Gruppen, einschließlich unserer, über ganz Deutschland verteilt. Sie hat Pilotprojektcharakter.
Frau Motylinska, was ist das Besondere am Freigeist-Programm der VolkswagenStiftung?
Motylinska: Das Freigeist-Programm zeichnet sich durch die Förderung risikobehafteter und innovativer Projekte, die sonst durch das Raster der üblichen disziplinären Grenzen fallen würden, aus. Außerdem legt es einen großen Wert auf die Wissenschaftskommunikation, etwa durch Fortbildungen in diesem Bereich.
Wo stehen Ihre Forschungsgruppen gerade?
Motylinska: Im Januar haben zwei neue Doktorandinnen, Sadia Amin und María Jeldes, das Team vervollständigt. Somit konnten wir mit der spannendsten Phase beginnen: der Ausgestaltung der Einzelprojekte aber auch der gemeinsamen Vorhaben. Wir haben im Rahmen unseres Quartalstreffens am 4. und 5. Februar unsere disziplinären Ansätze und Perspektiven aus der Architektur- und Stadtgeschichte sowie Globalgeschichte, Wirtschaftsgeographie, Sozialanthropologie und Urban Studies intensiv diskutiert. Dies war auch eine gute Gelegenheit, um die Ergebnisse der ersten, historisch orientierten Phase des Projektes zusammenzufassen.
Kleibert: Unsere Forschungsgruppe besteht nun seit zweieinhalb Jahren. Wir haben die Datenerhebung abgeschlossen und bereits eine Anzahl von Artikeln in Fachzeitschriften veröffentlicht, sowie Daten in einem Report für Stakeholder aufbereitet. Dieses Jahr schreiben die drei Doktorand*innen, Alice Bobée, Tim Rottleb und Marc Schulze, sind fleißig an ihren Dissertationen und wir diskutieren unsere Ergebnisse auf (digitalen) Konferenzen und in Webinars.
Was hat Sie im bisherigen Verlauf Ihrer Projekte überrascht?
Kleibert: Auf was für eine spannende Forschungslücke wir da gestoßen sind. Wir sind die einzige Gruppe, die sich aus wirtschafts- und stadtgeographischer Perspektive mit internationaler Hochschulbildung auseinandersetzt. Das überrascht mich immer noch. Mir fallen immer noch mehr Ideen für weitere Fragestellungen ein. Auch dass Europa so ein wichtiger Standort für Bildungsinvestitionen ist, insbesondere auch Berlin, hat mich ebenfalls überrascht. Das war in bisherigen Datenerhebungen nicht so sichtbar. Der Brexit erweist sich als Triebkraft für vermehrte Investitionen innerhalb der EU. Ich bin gestartet mit Beobachtungen aus Malaysia, Singapur und den Golfstaaten und wollte verstehen, warum dort ganze „Education Cities“ für internationale Hochschulbildung gebaut werden.
Mich überrascht auch immer wieder die Selbstverständlichkeit, mit der Hochschulbildung zu einer Handelsware gemacht wird. Bildung wird an vielen Stellen als eine Ware, als Dienstleistungssektor mit Exportgewinnen wahrgenommen. Universitäten treffen als transnationale Unternehmen Investitionsentscheidungen, um neue Märkte zu „erobern“.
Motylinska: Aus historischer Sicht besonders überraschend ist die mannigfaltige Aktivität der deutschen Baufirmen in Lateinamerika während der Zwischenkriegszeit. Ich habe es auch nicht erwartet, dass so viele Architekten und Ingenieure in den 1930er Jahren sich für das Thema Tropenbau interessierten – und ihre Pläne tatsächlich umgesetzt haben. Dennoch bin ich mir sicher, dass die größten Überraschungen uns erst während der Feldforschung erwarten.
In Ihren Forschungsprojekten sollen zahlreiche Forschungsreisen unternommen werden – nach Nord- und Westafrika, die Golfregion, Lateinamerika, Süd- und Südostasien. Wie hat sich die Coronapandemie auf Ihre Forschung ausgewirkt?
Motylinska: Der erste Lockdown (im März 2020) begann im dritten Projektmonat, insofern ist es keine Übertreibung zu sagen, dass die Folgen der Pandemie verheerend sind, denn nicht alle Forschungsreisen kann man beliebig verschieben. Und ohne eine solide empirische Grundlage können wir auch keine wichtigen Forschungsergebnisse liefern. Daher haben wir uns bisher vor allem auf die Archivforschung in Deutschland konzentriert, zumindest in den Monaten zwischen den Schließungen der Archive. Also auch in dieser Hinsicht stellt die Pandemie einen riesigen Einschnitt dar.
Kleibert: Zwei aus dem Team waren gerade unterwegs (Tim Rottleb in den Golfstaaten und Alice Bobée in Frankreich) und mussten zurückgeflogen werden. Das war bitter, die Interviews waren alle nach wochenlanger Kommunikationsanbahnung geplant, die Reisen organisiert, wir vor Ort. Weitere geplante Reisen mussten abgesagt werden. Wir hatten insofern Glück, dass wir bereits seit 2018 Daten erhoben hatten und schon eine erste Feldforschungsphase absolviert hatten. Wir haben uns dann neu sortiert, einige geplante Interviews noch digital durchgeführt und die bereits erhobenen Daten aufbereitet. Wir kamen insgesamt auf 135 Interviews mit Entscheidungsträger*innen. Und haben uns dann entschieden, dass das in dieser Situation ausreichen muss.
Und wir haben uns gefragt, wie Corona unser Forschungsfeld verändert, die Globalisierung von Hochschulbildung ist ja massiv betroffen von den Reiserestriktionen. Wir haben bei der Regional Studies Association ein neues Forschungsprojekt zur Auswirkung der Corona-Pandemie eingeworben und gehen der Frage nun auf den Grund.
Wie schauen Sie in die Zukunft? Was wünschen Sie sich?
Motylinska: Trotz der Unsicherheit – hoffnungsvoll, denn selbst in den schwierigsten Monaten des Lockdowns waren wir in der Lage weiterhin intensiv zu forschen. Mein größter Wunsch ist jedoch – sobald es nur möglich sein wird – mit der Feldforschung in den Zielregionen des Projektes zu beginnen.
Kleibert: Positiv. Ich freue mich einfach darauf, wieder mit meinem Team persönlich zusammenkommen zu können und nicht nur über kleine Bildschirmkacheln - und darauf, längerfristig weiter an dem Thema arbeiten zu können.
Was empfehlen Sie Postdocs, die ihre wissenschaftliche Karriere vorantreiben wollen?
Motylinska: Es ist schwierig einen allgemeinen Rat zu geben. Ich würde gerne betonen, dass es viele Wege in der Wissenschaft gibt – und auch viele Ziele, es gibt keinen idealen Karriereverlauf (selbst wenn dies von außen manchmal so scheint). Und wer Spaß an Teamarbeit und Forschung außerhalb der Komfortzone hat, ist sicherlich in der Rolle einer Nachwuchsgruppenleitung gut aufgehoben.
Kleibert: Be passionately curious and unreasonably persistent! Intrinsische Motivation und Durchhaltevermögen sind meiner Erfahrung nach wichtig. Alles andere wird überbewertet.