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„Wie viel Aufarbeitung brauchen wir?“
Projekt untersucht Geschichte des Statistischen Bundesamtes
Im Projekt „GeStat – wie die Vergangenheit zählt“ erforscht das IRS ab Juli 2024 gemeinsam mit dem Statistischen Bundesamt die Geschichte der Behörde. Besonders im Fokus steht dabei die Zeit ab den 1980er-Jahren: Der Volkszählungsboykott, das Aufleben eines breiteren gesellschaftlichen Interesses am Nationalsozialismus sowie das beginnende Ende der DDR und der Beitritt zur Bundesrepublik stellen zentrale gesellschaftliche Bedingungen für die Geschichte des statistischen Bundesamtes dar. Am 8. Juli fand in Wiesbaden der Projektauftakt statt.
Im Statistischen Bundesamt gibt es seit längerem Bemühungen, die eigene Geschichte aufzuarbeiten. Auf Initiative der Behörde wurde nun das Projekt „GeStat“ ins Leben gerufen. Darin kooperiert das Statistische Bundesamt mit dem Forschungsschwerpunkt „Zeigeschichte und Archiv“ sowie dem Kompetenzbereich „Wissenschaftsunterstützung und Kommunikation" des IRS. Unter Leitung von Forschungsschwerpunktleiterin Kerstin Brückweh erforscht das IRS in engem Dialog mit Mitarbeiter*innen der Behörde die Geschichte des Amtes.
Den Ausgangpunkt für die Analyse bilden dabei die 1980er-Jahre: Der Volkszählungsboykott, dessen Protagonistinnen und Protagonisten sich nicht zuletzt auf den Umgang mit statistischen Daten im Nationalsozialismus bezogen, und die anschließende grundlegende Rechtsprechung zum Datenschutz fielen in diese Zeit. Auch entwickelte sich in Westdeutschland ein breiteres, gesellschaftliches Interesse an der Geschichte des Nationalsozialismus und ihren Auswirkungen auf die Bundesrepublik mit personellen Kontinuitäten und politischen Vorbelastungen. Zeitlich fiel dies mit dem beginnenden Ende der DDR zusammen. Die teilweise Integration des Personals aus der DDR in den Bundesdienst in den 1990er-Jahren überschnitt sich somit mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Aufarbeitung wurde vor allem ab 2005 vermehrt auch von Behörden für ihre je eigene Geschichte betrieben, wobei das Statistische Bundesamt schon in den 1990ern die Rolle der Bevölkerungsstatistik im Nationalsozialismus von der Historikerin Jutta Wietog erforschen ließ. Auch hier zeigte sich die Bedeutung der parallelen zeitlichen Entwicklungen von NS-Aufarbeitung und Ende der DDR: Denn der Auftrag an Wietog war mit der Hoffnung verbunden, dass sich in den Archiven der ehemaligen DDR weitere Akten finden würden. Dadurch kam es zur auch für andere Bereiche typischen Verflechtung eigentlich getrennter vergangenheitspolitischer Diskurse, was sich – so eine These des Projektes – auf den Umgang mit der ehemaligen DDR auswirkte.
Anlässlich der Jubiläumsveranstaltungen zum 75-jährigen Bestehen des Statistischen Bundesamts im Juli 2023 wurde Kerstin Brückweh eingeladen, in einem Impulsvortrag das Verhältnis von Geschichte und Statistik zu beleuchten. Ein knappes Jahr später ist nun das gemeinsame Projekt „GeStat – wie die Vergangenheit zählt“ gestartet. Bei der Kick-off-Veranstaltung am 8. Juli 2024 in Wiesbaden wurden die unterschiedlichen Erwartungen der Partner erörtert. Mit Mitarbeitenden der Behörde wurden unter anderem die Fragen diskutiert:
- Was ist für die Geschichte des Statistischen Bundesamtes interessant?
- Was ist für die Beschäftigten interessant und was ist ihre Erwartung an das Projekt?
- Wie viel Aufarbeitung brauchen wir – als Statistisches Bundesamt und als Gesellschaft?
Die Beteiligung der Mitarbeitenden des Statistischen Bundesamtes ist ein wichtiger Baustein des Projekts. Sie werden kontinuierlich über das Projekt informiert und in den Forschungsprozess einbezogen. Die Wissenschaftskommunikation des IRS unterstützt die umfassende interne Kommunikation des Projekts durch das Statistische Bundesamt, die auch Citizen Science-Ansätze einschließt.
Das Projekt „GeStat – wie die Vergangenheit zählt“ wird vom Statistischen Bundesamt finanziert. Es läuft von Juli 2024 bis Juni 2028.