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Flüchtige Arbeitsverhältnisse, konstante Arbeit
Buch zu „Platform Work“ erschienen
Digitale Freelance-Plattformen werben mit Flexibilität, Unabhängigkeit und dem Zugang zu einem weltweiten Arbeitsmarkt. Doch was bedeutet es, sich in diesem Umfeld zu organisieren und zu positionieren? In ihrer Dissertationsschrift „Global Platform Work“ beleuchtet die Kulturwissenschaftlerin Anna Oechslen den Alltag von Grafikdesigner*innen, die von Indien aus über digitale Plattformen weltweit Aufträge erhalten. Sie zeigt, wie wichtig es für Gigworker*innen ist, sich ständig aufs Neue in ein positives Licht zu rücken, Beziehungen zu knüpfen und sich an eine Arbeitsumgebung anzupassen, die im ständigen Wandel begriffen ist. Das Buch erschien als Open Access-Publikation im Campus-Verlag.
Die Designer*innen im Zentrum von „Global Platform Work“ sind Teil einer Entwicklung, die in den letzten Jahren rasant Fahrt aufgenommen hat: In der „Gig Economy“ wird inzwischen eine Vielzahl von Arbeitsaufträgen über digitale Plattformen vermittelt, von Taxifahrten über Essenslieferungen bis hin zu Kinderbetreuung. Designer*innen können auf Freelance-Plattformen auf globaler Ebene mit Auftraggebenden in Verbindung treten, indem sie etwa an Wettbewerben teilnehmen oder sich direkt auf Projekte bewerben.
Wenn sie Freelance-Plattformen für ihre Arbeit nutzen, erhalten Designer*innen Zugang zu einer Fülle von möglichen Aufträgen, treten allerdings gleichzeitig in Konkurrenz zu einer überwältigenden Anzahl von anderen Arbeitenden, die sich ebenfalls für diese Aufträge interessieren. In einem Kontext, in dem Arbeitsbeziehungen auf einzelne „Gigs“ reduziert werden, verbringen Designer*innen viel Zeit damit, Angebote zu sichten, sich zu bewerben und sich auf neue Kundschaft einzustellen.
Zusätzlich sind die Designer*innen zwar technisch global verbunden, doch gleichzeitig in ein System eingebunden, in dem Auftraggebende vorwiegend aus Ländern mit hohem Einkommen, etwa den USA, Großbritannien oder Australien, stammen. Für Designer*innen in Indien bedeutet das, oft über verschiedene Zeitzonen hinweg zu arbeiten und zusätzliche Mühe zu investieren, um nicht nur als billige Arbeitskraft betrachtet zu werden.
Auf der Grundlage von Interviews, Beobachtungen und Fototagebüchern beschreibt Anna Oechslen die Vielzahl an unbezahlten und oft vernachlässigten Aufgaben, die den Alltag von Online-Freelancer*innen in Indien ausmachen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Flüchtigkeit und Komplexität von Arbeitsbeziehungen in einem globalen, über digitale Plattformen vermittelten Arbeitsmarkt.
Auf feministischen Forschungsansätzen aufbauend betrachtet die Autorin Plattform-Arbeit als ein Element in einer Konstellation von bezahlten und unbezahlten Tätigkeiten. Dabei wird auch deutlich: Ob Plattform-Arbeit sich lohnt, hängt sehr davon ab, welche Rolle sie im Leben der Arbeitenden spielt und wie sie in Unterstützungsnetzwerke eingebunden sind.
Dr. Anna Oechslen ist empirische Kulturwissenschaftlerin und arbeitet als Postdoc in der Forschungsgruppe „Kreativität und Arbeit“ des IRS. Bis März 2024 vertritt sie die Juniorprofessur für empirische Kulturwissenschaft an der Universität Hamburg. Das Buch „Global Platform Work. Negotiating Relations in a Translocal Assemblage” basiert auf ihrer Dissertation an der Universität Hamburg, die im Rahmen des IRS-Leitprojekts „Plattform-Ökologie“ (2019-2021) entstand.