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„Climate Policy Leaders" und „Climate Policy Pioneers"
Zwei neue Artikel zeigen, wie Städte zu Vorreitern der Klimapolitik werden
Zwei neue Fachartikel aus der Forschungsgruppe Urbane Nachhaltigkeitstransformationen beleuchten, wie Städte zu Vorreitern der Klimapolitik werden, sowohl beim Klimaschutz als auch bei der Klimaanpassung. Statt der in dieser Rolle oft genannten Metropolen wie etwa Paris nehmen die Autor*innen kleinere Großstädte in Deutschland in den Blick. Dabei zeigen sie, dass auch Städte mit schwierigen Ausgangsbedingungen den Weg in die Spitzengruppe finden können.
Städte verursachen weltweit etwa 70 % der Treibhausgasemissionen – durch Verkehr, Industrie, Bautätigkeit und die Heizung und Kühlung von Gebäuden. Zugleich sind sie vom Klimawandel besonders betroffen: Hitzewellen, Starkregen und Stürme richten in ihnen schwere Sachschäden an und gefährden die Gesundheit der Stadtbevölkerung bis hin zu Todesfällen. Seit knapp 30 Jahren engagieren sich einige Städte deshalb für den Klimaschutz. Sie verringern Treibhausgasemissionen, indem sie etwa Elektromobilität, Radwege und den öffentlichen Verkehr ausweiten oder Gebäudemodernisierungen fördern. Angesichts immer extremerer Wetterereignisse kamen in jüngerer Zeit Maßnahme für die Anpassung an den Klimawandel hinzu, etwa Flächenentsiegelung, Stadt- und Gebäudebegrünung, um natürliche Kühlung und Versickerung zu fördern.
Städte, die früher und vor allem ambitionierter als andere Städte Klimapolitik betrieben haben werden auch als Vorreiter bezeichnet. Solche Vorreiter lassen sich weiter in „Pioniere“ und „Leader“ untergliedern. „Pioniere“ verfolgen in erster Linie interne Ambitionen, etwa die Ausrufung ambitionierter Klimaziele, die Erstellung umfangreicher Konzepte oder die institutionelle Verankerung von Klimapolitik in die Stadtverwaltungsprozesse. Bei „Leaders“ werden solche internen Ambitionen durch externe Ambitionen ergänzt, die darauf abzielen die Sichtbarkeit der städtischen Arbeit national und international zu erhöhen. Daher sind gerade „Leaders“ oft überaus aktiv in internationalen Netzwerken, erhalten Preise für ihre Klima- und Nachhaltigkeitspolitik und inszenieren sich gewissermaßen als Vorbilder.
Zunächst waren es insbesondere wohlhabende europäische Metropolen wie Amsterdam, Stockholm, Kopenhagen und Paris, die eine ehrgeizige sowie öffentlichkeitswirksame Transformationspolitik verfolgten und als „Leader“ der ersten Stunde bezeichnet werden können. Dadurch erhielten sie viel Sichtbarkeit auf der Weltbühne, etwa als Austragungsorte von Klimagipfeln und als Namensgeber für Verträge wie das Abkommen von Paris. Was ist jedoch mit den Großstädten in der zweiten Reihe, was mit kleineren, ärmeren oder altindustriell geprägten Städten? Welche Optionen bestehen für diese Städte, denen viel weniger Aufmerksamkeit zuteilwird als den großen internationalen Metropolen? Diese Fragen untersuchten Wissenschaftler*innen der Forschungsgruppe Urbane Nachhaltigkeitstransformationen im Rahmen zweier kürzlich erschienener Publikationen.
Im Artikel „From Climate Policy Pioneers to Climate Policy Leaders? The Examples of the Eastern German Cities of Potsdam and Rostock”, der in der Fachzeitschrift Urban Research and Practice erschienen ist, untersuchen Wolfgang Haupt, Janne Irmisch und Kristine Kern, wie es den beiden Städten Potsdam und Rostock gelungen ist, Klimapioniere zu werden und diskutieren, ob beide das Potenzial besitzen zum „Leader“ zu avancieren . Bei den meisten „Pionieren“ und vor allem „Leaders“ handelt es sich in Deutschland und international um größere Großstädte oder Metropolen und eher selten um kleinere Großstädte wie Potsdam und Rostock. Obwohl Potsdam und Rostock in Bundesländern liegen, die im Bereich der Klimapolitik bisher eher zurückhaltend agierten (z.B. was die Förderung kommunaler Klimapolitik betrifft), verfolgen beide seit mehreren Jahrzehnten eine ambitionierte Klimapolitik. Die Analyse der IRS-Forschenden zeigt, dass zahlreiche sozio-ökonomische und sozio-demographische Faktoren innerhalb der Städte den Erfolg beider Städte begünstigt haben. Zu nennen sind hier insbesondere eine wachsende, vergleichsweise junge Bevölkerung, günstige wirtschaftliche Bedingungen, politischer Einfluss grüner Parteien, eine starke Zivilgesellschaft und nicht zuletzt ein unterstützendes lokales Forschungsumfeld.
Trotz zahlreicher Erfolge – etwa die Entwicklung umfangreicher und ambitionierter Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepte sowie die erfolgreiche Institutionalisierung der Klimapolitik innerhalb der Stadtverwaltung – ist es beiden Städten bisher jedoch nicht gelungen den Sprung vom „Pionier“ zum „Leader“ zu schaffen. Gründe hierfür waren insbesondere, dass bisher die (kontinuierliche) Unterstützung seitens der Stadtspitze und hier insbesondere der Oberbürgermeister gefehlt hat. Diese wären aber nötig gewesen, um externe Ambitionen zu formulieren und nach außen zu vertreten. Dennoch verfügen beide Städte über das Potenzial, nationale oder sogar internationale „Leaders“ zu werden. Potsdam hat etwa ausgewiesene Expertise und Erfahrung bei der energetischen Sanierung und Begrünung von DDR-Plattenbausiedlungen und deren perspektivische Umgestaltung zu klimaneutralen Quartieren. Mit diesem Hintergrund könnte die Stadt zum Modell werden für andere postsozialistische Städte, die ebenfalls über einen größeren Bestand an (kommunalen) Plattenbausiedlungen verfügen. In Rostock bestehen seit 2019 weitreichende, von der Stadtspitze formulierte Ambitionen, die Stadt zu einer Fahrradstadt umzubauen. Falls es in den nächsten Jahren gelingen sollte, diese Ambitionen in die Tat umzusetzen könnte sich Rostock in diesem Bereich als „Leader“ positionieren. Die Stadt könnte hierfür die über Jahrzehnte gepflegten internationalen Netzwerke, insbesondere mit Städten im Ostseeraum, nutzen.
Der Artikel „Explaining Climate Policy Pathways of Unlikely City Pioneers: The Case of the German City of Remscheid”, kürzlich erschienen bei Urban Climate, beleuchtet die Klimapolitik der nordrhein-westfälische Pionierstadt Remscheid. Zahlreiche Untersuchungen zur städtischen Klimapolitik legen nahe, dass Vorreiter wie z. B. Potsdam und Rostock typischerweise über zahlreiche günstige sozio-ökonomische und sozio-demographische Bedingungen verfügen. Erstaunlicherweise waren die Ausgangsbedingungen für Remscheid nicht positiv – ganz im Gegenteil. Und dennoch zeigt sich, dass die Industriestadt im Wandel deutlich früher in der Klimapolitik aktiv wurde und dauerhaft aktiv blieb als die meisten anderen deutschen Städte vergleichbarer Größe. Im Rahmen einer explorativen und umfassenden Fallstudie untersuchen Wolfgang Haupt und Kristine Kern den klimapolitischen Entwicklungspfad Remscheids seit den frühen 1990er-Jahren. Trotz beschränkter finanzieller Mittel schneidet Remscheid deutlich besser ab als viele andere deutsche Städte, weil die fehlenden Kapazitäten durch starke Schlüsselakteur*innen kompensiert werden können. So gelang es einigen wenigen Mitarbeitenden der Stadtverwaltung, externe Mittel aus einer Vielzahl von Quellen zu akquirieren. Über diese Mittel wurden etwa die Erstellung von Strategiedokumenten (z. B. Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepte), aber auch die Umsetzung kleinerer Maßnahmen (z. B. Fassadenbegrünungen), sowie die Erarbeitung von wichtigen Wissens- und Entscheidungsgrundlagen (z. B. Starkregengefahrenkarte) finanziert. Allerdings zeigte sich auch, dass sich die Planungsunsicherheit, die sich aus dem eher kurzfristigen Denken von Drittmittelprojekt zu Drittmittelprojekt ergibt, negativ auf die Festlegung langfristiger Klimaziele und die Entwicklung einer ganzheitlicher Zukunftsvisionen auswirkt. Es braucht jedoch noch deutlich mehr Studien zu Städten, die es auch unter ungünstigen Rahmenbedingungen geschafft haben, Klimapioniere zu werden. Modelle von solchen untypischen bzw. unwahrscheinlichen Pionieren – in der englischsprachigen Literatur werden sie auch als „Unlikely Pioneers“ bezeichnet –müssen für Städte, die unter ähnlichen Bedingungen arbeiten, sichtbar und zugänglich gemacht werden.
Die Forschung für diese beiden Publikationen führten Wolfgang Haupt, Kristine Kern, und Janne Irmisch im Rahmen zweier Drittmittelprojekte durch. Zum einen über das BMBF-geförderte transdisziplinäre Projekt „Urbane Resilienz gegenüber extremen Wetterereignissen – Typologien und Transfer von Anpassungsstrategien in kleinen Großstädten und Mittelstädten (ExTrass)“. Zum anderen über das international vergleichende Projekt „Matching Forerunner Cities“ (MaFoCi), welches durch das Turku Urban Research Programme gefördert wurde. Beide Artikel fließen zudem in das kummulative Habilitationsvorhaben von Wolfgang Haupt am Fachgebiet Regionalplanung der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg ein.
Haupt, Wolfgang; Kern, Kristine (2022): Explaining Climate Policy Pathways of Unlikely City Pioneers: The Case of the German City of Remscheid. Urban Climate, [45].
Haupt, Wolfgang; Irmisch, Janne L.; Kern, Kristine (2022): From Climate Policy Pioneers to Climate Policy Leaders? The Examples of the Eastern German Cities of Potsdam and Rostock. Urban Research & Practice, 2022.