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Buchveröffentlichung: Wie Sozialunternehmen Innovationen auf das Land bringen
Vor wenigen Tagen berichtete die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ von erheblichen regionalen Unterschieden. Vor allem ländliche Regionen leiden demnach unter vergleichsweise schlechten Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, geringeren Einkommen und einer schlechten Versorgung mit öffentlichen und privaten Dienstleistungen. Dieser Befund lässt sich auf ländliche Regionen vieler europäischer Länder übertragen. In vielen Regionen ist der Wegfall von Arztpraxen, Dorfläden, Schulen und öffentlichen Ansprechpartnern und Angeboten zu beobachten. In dieser Situation ruhen Erwartungen auf einem relativ neuen Akteurstyp, den sogenannten Sozialunternehmen. In einem neu erschienenen Buch werden Sozialunternehmen und ihre Rolle in ländlichen Räumen beleuchtet.
Sozialunternehmen verfolgen soziale Ziele mit unternehmerischen Mitteln und werden vor allem dort aktiv, wo sich Staat und Markt zurückziehen. Die „Social Business Initiative“ der Europäischen Union (2011) sieht in Sozialunternehmen die Chance zur Entwicklung innovativer Lösungen für ökonomische und soziale Herausforderungen durch verbesserte soziale Angebote vor Ort und Bemühungen um territorialen Zusammenhalt.
IRS-Mitarbeiter Ralph Richter, seine Mit-Autorin Daniela Maresch von der University of Southern Denmark und seine Mitautoren Matthias Fink und Richard Lang von der Johannes Kepler Universität Linz/Österreich untersuchen in ihrem gerade im Routledge Verlag erschienen Buch „Social Entrepreneurship and Innovation in Rural Europe“, was Sozialunternehmen im ländlichen Raum bewirken können und vor allem wie sie das tun. „Sozialunternehmen beziehen ihre Legitimation unter anderem aus der Erwartung, dass sie mit innovativeren Mitteln auf soziale Problemlagen reagieren können, als es beispielsweise Gemeindeverwaltungen können“, so Richter. „Ob und wie sie innovative Lösungsansätze entwickeln und etablieren ist aber bislang weitgehend unerforscht. Diese Lücke wollen wir mit unserem Buch schließen“, beschreibt Richter ein weiteres Anliegen der Publikation. Die Ergebnisse beruhen auf einer vergleichenden Längsschnittuntersuchung von ländlichen Sozialunternehmen in Irland, Polen, Österreich und Griechenland. Mit qualitativ-ethnografischen Methoden untersuchte das Autorenteam vor Ort für jeweils zwei Monate die Fallunternehmen und ihre Einbettung in das ländliche Umfeld.
Das Buch zeigt auf 222 Seiten, dass ländliche Sozialunternehmen typische Problemlagen des ländlichen Raumes adressieren, dabei aber sehr unterschiedliche Ansätze verfolgen. Während das österreichische Sozialunternehmen mit dem Betreiben offener Technologielabore den ländlichen Raum für die junge und kreative Bevölkerung wieder attraktiver machen will, unterstützt das griechische Sozialunternehmen kleine Familienlandwirtschaften durch die Kultivierung, Verarbeitung und Vertrieb einer in Europa erstmalig angebauten Feldfrucht. Die Sozialunternehmen gewinnen ihre Innovationskraft aus der Neu-Einbettung von Ideen und dem Mobilisieren unterschiedlicher Ressourcen. Das polnische Sozialunternehmen hat beispielsweise die Idee thematischer Museumsdörfer aus Westeuropa nach Polen übertragen und für die Ausbildung von Menschen mit Beeinträchtigungen und schlechten Arbeitsmarktchancen nutzbar gemacht. Es ermöglicht den Betrieb eines Museumsdorfes durch Einnahmen aus dem Tourismus, aus öffentlichen Mitteln zur Arbeitsmarktintegration und nicht zuletzt durch freiwillige Arbeit.
Anhand ihres vertikalen Netzwerkmodells und des „Strategic Action Field“-Ansatz zeigen Richter, Fink, Lang und Maresch, was Sozialunternehmen von vielen anderen Akteuren im ländlichen Raum unterscheidet. Sozialunternehmen agieren demnach als Intermediäre zwischen Staat, Markt und Zivilgesellschaft und zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Ideen und Ressourcenausstattungen. Diese Zwischenposition ermöglicht es ihnen, Ideen jenseits ausgetretener Pfade zu entwickeln, macht ihre Existenz aufgrund vielfältiger Abhängigkeiten aber zugleich prekär. „Sozialunternehmen bringen neue Ideen in den Raum, können das Ziel der Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse aber nur im Zusammenspiel mit staatlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Akteuren verfolgen. Als Deckmantel zum Rückzug des Staates, wie wir es teilweise beobachtet haben, eignen sich Sozialunternehmen nicht“, konstatiert Richter.
Die Publikation geht zurück auf das von der EU geförderte Forschungs- und Trainingsprojekt RurInno („Social Innovations in Structurally Weak Rural Regions: How Social Entrepreneurs Foster Innovative Solutions to Social Problems“), in welchem das IRS zwischen 2016 und 2018 Lead Partner war. Das Projekt diente gleichermaßen der Erforschung ländlicher Sozialunternehmen wie auch der Weiterbildung der Sozialunternehmer in den beteiligten Forschungsinstituten IRS und IFI (Institut für Innovationsmanagement an der Johannes Kepler Universität Linz/Österreich).