Brexit und Corona: Die doppelte Krise der Hochschulen

Britische Universitäten werden zurzeit von einer doppelten Krise getroffen: Der Brexit gefährdet ihren Zugang zum europäischen Forschungsraum und damit zur EU-Forschungsförderung. Zugleich gefährdet die COVID19-Pandemie ein wichtiges Standbein der besonders von Großbritannien aus forcierten Hochschulglobalisierung: Auslandscampusse, die zahlungskräftige, hochmobile Studierende anlocken. Die Hochschulen antworten mit angepassten Strategien und nutzen sogar die neuen Gelegenheiten, welche die Krise bietet.

Der Brexit stellt zurzeit gerade britische Universitäten in mehrfacher Hinsicht vor Finanzierungsprobleme. Noch immer ist unklar, inwiefern Hochschulen in Großbritannien in Zukunft am EU-Studierendenaustauschprogramm Erasmus oder an gemeinsamer europäischer For­schungs­förderung teilhaben werden. Was wird mit wissenschaftlichem Personal aus EU-Ländern geschehen, wenn Visaregelungen strenger werden? Werden britische Universitäten für europäische Studierende attraktiv bleiben? Bislang mussten sie, genau wie britische Studierende, eine reduzierte Studiengebühr entrichten. Nun werden für sie die weitaus höheren Sätze für „internationale“ Studierende gelten. Und was wird mit der Forschungsfinanzierung geschehen, wenn die attraktiven Finanzierungsprogramme der Europäischen Union für in Großbritannien ansässige Forscher nicht mehr zugänglich sind? Die Leibniz Junior Research Group TRANSEDU untersucht am IRS Internationalisierungsstrategien von Hochschulen, speziell die Errichtung von Auslandscampussen. Im Rahmen der Feldforschung gewann sie auch Erkenntnisse über die Auswirkungen des Brexits.

Brexit: Strategien gegen die Abkopplung

Der Verlust des Zugangs zum Europäischen Hochschulraum und zum Europäischen Forschungsraum betrifft demnach nicht alle britischen Hochschulen in gleicher Weise. Einige Universitäten sind gegenüber Kontinentaleuropa stärker exponiert als andere. Diejenigen mit einem hohen Anteil an EU-Studierenden in ihrer derzei­tigen Kohorte machen sich Sorgen um die Einnahmen aus Studienge­bühren. Elite-Universitäten mit ho­­her Forschungsintensität und traditionell hohen Erfolgsquoten bei der Finanzierung durch den Europäischen Forschungsrat haben eher zu befürchten, dass diese Quellen versiegen könnten.

Während die wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexits auf die Hochschulen also unterschiedlich sein werden, sorgt vor allem die Unklarheit, welche Spielregeln in Zukunft gelten werden, für fehlende Planungssicherheit. Die Verantwortlichen an den Universitäten verfolgen unterschiedliche Strategien, um die potenziellen Einkommensverluste zu mindern.

Eine Strategie besteht darin, physische Präsenzen im Ausland einzurichten. Die britischen Universitäten haben eine lange Geschichte im Export von Hochschulbildung. Eine Form, ins Ausland zu gehen, sind internationale Zweigstellen, die heute hauptsächlich in Ländern wie Malaysia, Singapur, China oder den Vereinigten Arabischen Emiraten angesiedelt sind. Einige Universitäten folgen dem „Global Britain“-Mantra der Regierung: Sie verstärken ihre Aktivitäten im Ausland und leisten so, durch die internationale Kommerzialisierung von Hochschulbildung, einen Beitrag zur weiteren Profilierung der britischen Wirtschaft als Dienstleistungsexporteur.  Einige streben auch eine engere Zusammenarbeit mit dem Commonwealth an. Indem man sich auf stärkere Verbindungen außerhalb Europas konzentriert, könnte der potenzielle Verlust von EU-Verbindungen kompensiert werden.

Andere Universitäten haben beschlossen, Zweigstandorte in der EU einzurichten. Diese Investitionen sind als „Versicherungspolice“ gegen die Auswirkungen des Brexits gedacht. Die Universität Lancaster beispielsweise hat die Entwicklung eines internationalen Campus in Leipzig angekündigt und sieht einen Campus in Deutschland als „natürliche Erweiterung“ nach früheren Zweigcampus-Investitionen in China und Ghana. Die Universität Coventry plant einen Campus in der polnischen Stadt Wrocław (Breslau).

Neben den britischen Campussen, die auf dem Gebiet der EU eingerichtet wurden, um EU- und internationale Studenten zu unterrichten, haben mehrere forschungsintensive Universitäten Kooperationen aufgebaut, darunter auch physische Präsenzen in der EU. Die Universität Oxford hat ihre Kontakte mit in Berlin ansässigen Einrichtungen intensiviert. Die Oxford-Berlin-Forschungspartnerschaft wurde als strategische Antwort auf den Brexit gegründet und soll eine rechtliche Struktur schaffen, die den Briten auch weiterhin Zugang zur EU-Forschungsförderung ermöglicht. Der neue physische Standort der Universität Oxford in Berlin soll „die intensive, unmittelbare Zusammenarbeit unterstützen, die notwendig sein wird, damit die Partner gemeinsame Forschungsanträge für EU-Förderprogramme einreichen können“, wie es in einer Mitteilung der Berlin University Alliance heißt.

Ähnliche Forschungskooperationen werden von forschungsintensiven Universitäten vorangetrieben, die versuchen, Zugang zu Forschungsmitteln aus den EU-Fördermitteln zu erhalten. Die Universitäten, die in den vergangenen Jahren beim Zugang zu Geldern besonders erfolgreich waren, sind diejenigen, die ihre engen Beziehungen zu anderen EU-Ländern am aktivsten gestalten. Dabei ist Deutschland zum Partner der Wahl geworden. Die Universität Cambridge ging eine strategische Partnerschaft mit der Ludwig-Maximilians-Universität in München ein. Das King's College London und die Technische Universität Dresden entwickelten eine „transCampus“-Initiative, die Universität Glasgow initiierte eine Zusammenarbeit mit der Leuphana Universität Lüneburg.

Die Idee hinter einigen dieser Initiativen könnte auch darin bestehen, „kontinentale Außenstellen“ zu schaffen, in denen die Fördermittel des Europäischen Forschungsrats weiterhin von britischen Forschern in Anspruch genommen werden können. Der Erfolg dieser Projekte bei der Vermeidung von Einkommensverlusten ist noch ungewiss. Frühere Beispiele von Auslandscampussen haben sich als schwierig zu verwalten und teuer zu betreiben erwiesen. So könnte sich ausgerechnet das, was als Lösung für Finanzierungsprobleme gedacht ist, am Ende als sehr kostspielig erweisen. Sind entsprechende Strategien der Hochschulen also eine solide Reaktion auf die Herausforderungen durch den Brexit?

COVID-19: Gefahr für die Hochschulglobalisierung?

Gerade die Coronapandemie könnte nun die von Großbritannien, aber auch von anderen, überwiegend westlichen Ländern wie Frankreich und den USA ausgehende Hochschulglobalisierung durch Auslandscampusse gefährden. Internationale Mobilität wurde im Rahmen der Pandemiebekämpfung wiederholt eingeschränkt. Wie wird sich dies auf die Mobilität der Studierenden an den Zweigstellen auswirken? Wie reagieren die Hochschulen? Das neue Drittmittelprojekt „Interna­tional Higher Education in Crisis: COVID-19 Impacts and Strategies”, das über das Small Grant Scheme on Pandemics, Cities, Regions & Industry der Regional Studies Association finanziert und von Jana Kleibert geleitet wird, widmet sich diesen Fragen. Einige Hinweise gibt es bereits jetzt.

Einerseits könnten Zweigstellen internationaler Universitäten eine Alternative für Studierende darstellen, die internationale Bildungsabschlüsse erlangen möchten, aber auf Grund von Mobilitätseinschränkungen nicht in das Herkunftsland der Universität einreisen können. So könnten Universitäten im Herbst 2020 – und vielleicht sogar Anfang 2021 – ausschließlich einheimische Studierende rekrutieren, die nicht allzu weit vom Zweigstellencampus entfernt wohnen. Ebenso könnten sie für internationale Universitäten die von den Studiengebühren zahlungskräftiger ausländischer Studierenden abhängig geworden sind, eine Möglichkeit bieten, diese Studierenden in ihren Heimatländern zu unterrichten. In Vietnam möchte die VinUniveristy in Kooperation mit der amerikanischen Eliteuniversität Cornell die über 5000 Studierenden erreichen, die im neuen Semester nicht zurück nach Ithaca, New York reisen können. Sie können nun auf dem Campus in Hanoi leben und online die Vorlesungen ihrer Uni in New York folgen. Ebenso sollen zukünftige Studierende, die für ein Studium an renommierten Universitäten in den USA angenommen wurden, stattdessen die Möglichkeit erhalten, hier ihr Studium zu beginnen.

Einige britische Universitäten dürften versuchen, ihre bestehenden Zweigcampusse in dieser Weise zu nutzen. Insgesamt könnte dies auch zukünftig die Entwicklung von Zweigcampussen als Resilienzstrategie noch beschleunigen. Laut einer Zeitungsmeldung ist die Entwicklung von Zweigcampussen aus Sicht der Université Paris Sciences et Lettres beispielsweise eine mögliche zukünftige Strategie, um ausländische Studierende auch im Falle einer zukünftigen (Pandemie-)Krise zu betreuen.

Einige Zweigcampusse haben jedoch ein anderes Modell verfolgt: sie sind von internationalen physischen Mobilitäten der Studierenden und Lehrenden abhängig und somit besonders schwer von der Pandemie getroffen. Einige fungieren als mobilitätsfördernde Knotenpunkte, die in ein größeres internationales Campus-Netzwerk integriert sind. Studierende, die sich an der französischen Wirtschaftshochschule ESCP einschreiben, wechseln beispielsweise jahres- oder semesterweise von Zweigstelle zu Zweigstelle. Andere Angebote folgen einer Logik des Bildungstourismus und zielen auf Studierende im Herkunftsland der Hochschule ab, die Interesse daran haben, zeitweise in einem fremden Land zu studieren, wie bei einigen französischen Campussen in Asien zu beobachten war. In einer globalen Krise, die Bewegungsfreiheit über nationale Grenzen hinweg einschränkt, müssen diese Zweigstellen ihre Geschäftsmodelle überdenken. 

Ein weiterer Trend, der nach COVID-19 in den Hochschulen beobachtet werden könnte, besteht in einer Neudefinition der Mobilitäten unter Einbeziehung von Online-Erfahrungen. Dies zeigt sich zum Beispiel im Erasmus-Programm „Virtual Exchange“, einem europäischen Online-Kursprogramm, das 2018 ins Leben gerufen wurde und an dem 2019 rund 8.000 Studierende teilnahmen. Tatsächlich bleibt abzuwarten, ob sich der Trend zum Online-Lernen nachteilig auf Offshore-Campusse auswirkt, die physische Investitionen in einem fremden Land darstellen, oder ob im Gegenteil das Online-Lernen zu einem integralen Bestandteil der Offshore-Campus-Struktur wird und die Entwicklung transnationaler Universitätscampusse zukünftig verstärkt.

Einschränkungen internationaler Mobi­­li­tät, sei es durch politische Dynamiken wie den Brexit oder durch Gesundheitskrisen wie die Coronapandemie, fordern derzeit besonders die an einem internationalen Branding orientierten Hochschulen heraus. Wie sich gerade in diesem Jahr gezeigt hat, können sich dabei mehrere Krisen gegenseitig verstärken: Strategien in einer Krise können von einer weiteren Krise entwertet werden. Es entstehen aber auch Gelegenheitsfenster für neue Denkansätze. Und große Trends wie die Digitalisierung der Hochschulbildung verstärken sich.

 

Kontakt

Assoziierte Wissenschaftlerin

Alice Bobée arbeitet seit Juni 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt „Constructing Transnational Spaces of Higher Education. International Branch Campus development at the Interface of Network and Territorial Embeddedness (TRANSEDU)“ des Forschungsschwerpunkts „Ökonomie und Zivilgesellschaft“.

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