Bürgerwissen und Stadtgeschichte

No 99 | November 2022

Diese Ausgabe widmet sich den Aktivitäten des IRS-Forschungsschwerpunkts Zeitgeschichte und Archiv sowie seiner Wissenschaftlichen Sammlungen, die in den vergangenen Jahren große Schritte in beide Richtungen – Citizen Science und proaktive Kommunikation – gegangen sind. Dazu gehören etwa die technisch hoch anspruchsvolle Digitalisierung unserer Sammlungsbestände zur DDR-Baugeschichte und unsere Forschung über Initiativen gegen den Altstadtverfall in der DDR, einschließlich multimedial angelegter Öffentlichkeitsarbeit. Einen Überblick geben Harald Engler und Rita Gudermann. Julia Wigger, Historikerin und Doktorandin im Projekt „Stadtwende“ berichtet, wie sie Zeitzeugeninterviews mit ehemaligen Engagierten in ihre Forschung zu Altstadtinitiativen integrierte. Kunsthistoriker Andreas Butter hat dagegen Online-Communities im Blick. Er zeigt, wie städtebauliche und stadthistorische Diskurse von Enthusiasten auf Facebook organisiert werden. Daniel Hadwiger berichtet über die selektive „Authentisierung“ einzelner Geschichtsepochen in der städtebaulichen Planung. Verschiedene mediale Produkte aus dem Projekt „Urban Authenticity“ lenken die Aufmerksamkeit auf solche geschichtspolitischen Inszenierungen im Stadtraum. Rita Gudermann und Paul Perschke geben schließlich einen Einblick in das bürgerwissenschaftliche Projekt „CitizenArchives“, das nicht nur Bürgerwissen für die Beschreibung von Sammlungs-Archivalien nutzen möchte, sondern auch ein entsprechendes Online-Tool für andere Spezialarchive entwickelt.

 


 

Innovative Formen der Forschung und des Wissenstransfers, die überwiegend auf digitalen Tools und Methoden beruhen, spielen seit einiger Zeit auch im Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte und Archiv des IRS eine wichtige Rolle. Damit greifen die Historiker*innen neue Trends und Methoden der Forschung auf, die in den Geschichtswissenschaften sowie allgemeiner in den Geisteswissenschaften seit einigen Jahren Fahrt aufgenommen haben. Die fachdisziplinären Schlüsselkonzepte heißen dabei „Citizen Science“ auf der Forschungs- und „Public History“ auf der Vermittlungsebene. Sie sollen dazu beitragen, breitere Schichten der Gesellschaft in die Wissensproduktion der historischen Forschung zu integrieren sowie die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Ergebnisse zielgenauer an das interessierte Publikum zurückzugeben. mehr Info

Die Arbeit mit Zeitzeug*innen hat in der geschichtswissenschaftlichen Forschung einen zweifelhaften Ruf. Lange galt sie nur als Mittel der Illustration. Doch die persönliche Erinnerung kann auch als Quelle wichtiger Erkenntnisse dienen – gerade in Verbindung mit und im Kontrast zu schriftlichen Quellen. IRS-Historikerin Julia Wigger nutzte diese Methodenkombination in ihrer Forschung zu Altstadtinitiativen in der DDR. Hier zeigt sie, wie die beiden Quellenarten sich ergänzten. mehr Info

Das soziale Netzwerk Facebook ist seit fast 20 Jahren aus dem Alltag von Millionen von Menschen nicht mehr wegzudenken. Im Vergleich zu Twitter oder Instagram ist die Plattform weniger auf Echtzeit-Nachrichten ausgerichtet und bietet dafür Raum zur Vertiefung. Obwohl Facebook wegen seines Umgangs mit privaten Daten und seines unzureichenden Engagements gegen Hass und Falschinformationen in der Kritik steht, kann die Plattform gerade in der Auseinandersetzung über bauliches und stadtgeschichtliches Erbe wertvolle Beiträge leisten. Facebook-Gruppen zu Architektur und Baugeschichte sind sowohl für die historische Forschung als auch für die öffentliche Debatte nützlich. mehr Info

Welche Teile des Gebäudebestandes einer Stadt als authentisch, aussagekräftig und erhaltenswert gelten, sagt viel über die aktuell geltenden Wertvorstellungen und diskursiven Aushandlungen einer Stadtgesellschaft aus. Das Projekt „Urban Authenticity“ erforscht, wie ab den 1970er-Jahren das Bauerbe europäischer Städte auf diese Weise „authentisiert“ wurde. Durch visuelle und auditive Onlinemedien macht es die Prozesse auch für eine breite Öffentlichkeit erlebbar – beispielsweise mit einem Audiowalk durch Berlin-Prenzlauer Berg. mehr Info

Citizen Science hält Einzug in immer mehr Forschungsbereiche, auch in die Archivarbeit. Die Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS haben in den letzten Jahren nicht nur einen großen Sprung bei der Bereitstellung technischer Infrastrukturen für die Digitalisierung ihrer Bestände gemacht. Sie gehen auch bei der Beteiligung der Öffentlichkeit an der Erschließung von Beständen voran und entwickeln dabei Lösungen für viele andere Spezialarchive. mehr Info