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Facebook-Gruppen zum baulichen Erbe: Virtuelle Räume für bürgerschaftlichen Diskurs
Das soziale Netzwerk Facebook ist seit fast 20 Jahren aus dem Alltag von Millionen von Menschen nicht mehr wegzudenken. Im Vergleich zu Twitter oder Instagram ist die Plattform weniger auf Echtzeit-Nachrichten ausgerichtet und bietet dafür Raum zur Vertiefung. Obwohl Facebook wegen seines Umgangs mit privaten Daten und seines unzureichenden Engagements gegen Hass und Falschinformationen in der Kritik steht, kann die Plattform gerade in der Auseinandersetzung über bauliches und stadtgeschichtliches Erbe wertvolle Beiträge leisten. Facebook-Gruppen zu Architektur und Baugeschichte sind sowohl für die historische Forschung als auch für die öffentliche Debatte nützlich.
Im Frühjahr 2023, nach vier Jahren Forschung, wird das Verbundprojekt „Stadtwende“ seinen Abschluss finden. Darin nahm die bürgerschaftliche Mobilisierung gegen den Verfall eine Schlüsselrolle ein, eine Selbstermächtigung, die dem Umbruch von 1989 vorausging und ihn in vielen Orten, etwa durch Hausübernahmen, lebenspraktisch konkretisierte. In jener Zeit wären viele Menschen froh gewesen, über eine Plattform für den Austausch von Informationen und Meinungen zu verfügen, wie sie die Onlineforen heute bieten. Allerdings zeigen die Erfahrungen aus Diktaturen der Gegenwart, dass es damals, selbst wenn die Technologie prinzipiell zur Verfügung gestanden hätte, schwierig und riskant gewesen wäre, kritische Beiträge in Umlauf zu bringen.
Heute artikulieren sich in Facebook-Gruppen verschiedene Sichtweisen zur Denkmalpflege, Stadtgeschichte und Stadtgestaltung. Sie bereichern einerseits den politischen Diskurs und können andererseits auch einen Ausgangspunkt für das Konzept der Citizen Science („Bürgerwissenschaft“) bilden. Neben Foren, die sich auf sehr breiter Ebene mit Fragen des Stadtbildes und seiner Ästhetik befassen, gibt es solche mit thematisch schärfer gefasstem Fokus. In den hier vorgestellten ist der Autor des Artikels lesend und manchmal auch kommentierend unterwegs.
DDR-Architektur als erhaltenswertes Bauerbe
Unter den Gruppen, die sich freundlich den baulichen Zeugnissen des Sozialismus in Ostdeutschland nähern, sind drei lose zusammenhängende Foren hervorzuheben. Sie teilen den Anspruch, die Mitte der Gesellschaft und die Fachwelt zusammenzubringen, wobei die Schwerpunkte variieren, die Themen und Akteure sich aber überschneiden. In allen geht es um das Sichtbarmachen von Gestaltqualitäten und Potenzialen der DDR-Architektur sowie um mögliche Interventionen bei drohenden Abrissen. Angekündigt werden zudem aktuelle Publikationen und Veranstaltungen.
„Ostmodern.org, das Netzwerk für nachkriegsmoderne Baukunst“ hat über 2.600 Follower. Das Forum erwuchs aus einem 2006 in Dresden gebildeten Zusammenschluss für den Erhalt „bedeutsamer Bauwerke, baubezogener Kunstwerke, Freiflächengestaltungen und städtebaulicher Ensembles“ der DDR-Zeit. Angestrebt ist die Gründung möglichst vieler Regionalgruppen, um lokal im Sinne der Erhaltung tätig zu werden.
Inhaltlich etwas weiter gefasst, doch mit knapp 1.400 Mitgliedern zahlenmäßig kleiner, ist die „FG OSTMODERN“ (Forschungsgruppe OSTMODERN). Sie sieht sich als „eine Plattform zur Vernetzung jeglicher Aktivist*innen, die sich mit den Themen rund um den Städtebau, die Architektur und die architekturbezogene Kunst in der DDR“ beschäftigen. Die Bandbreite reicht dabei von Beiträgen aus Forschungskontexten über das ambitionierte Laieninteresse bis hin zur Nostalgie. Starke Resonanz erhielt hier die Serie „Philokartie“ von Ben Kaden und Louis Volkmann, eine kommentierte Präsentation von Architekturpostkarten. Es waren nicht nur die auf ihnen verewigten DDR-Bauten, Ensembles und Kunstwerke im öffentlichen Raum, die fesselten, sondern die prägnanten Erläuterungen zu Motiven, Autorenschaften und zur Nutzungsgeschichte.
Mit diesem Genre eines massenhaft verbreiteten visuellen Dokuments deutete sich eine Perspektive an, die Kaden als Bibliothekswissenschaftler auf den Gedanken brachte, das Feld der Laienforschung in der Online-Öffentlichkeit mit dem Erfassen von Bildzeugnissen durch Fachleute in den Archiven zu verschränken. Dazu entwickelte er in Abstimmung mit den Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS eine konzeptionelle Studie zur Erschließung des Wissensschatzes der Bewohnerinnen und Bewohner – eine künftige Praxis, die der differenzierten Bewertung des Bauerbes zugutekommen soll (siehe auch S. 22). Um ein solches Zusammenwirken fruchtbar zu machen, werden noch länger anhaltende Anstrengungen nötig sein.
Zum Schluss sei auf die Gruppe „Magistrale und Komplex – Städtebau, Kunst, Architektur im (Post)Sozialismus“ verwiesen, die mit nur knapp 190 Mitgliedern noch einmal stärker auf eine am Thema interessierte Wissenschaftsgemeinde ausgerichtet ist. Hier weitet sich die Perspektive interdisziplinär über die Grenzen der DDR hinaus.
Das vormoderne Stadtideal
Als ein Gegenpol zur den vorangegangenen Gruppen und mit gesamtdeutschem Bezug bildet die Seite „Stadtbild Deutschland e. V. – neue klassische Architektur & Rekonstruktion“ die modernekritische Perspektive ab, die im aktuellen Baugeschehen eine große Wirkmacht entfaltet. Den Postings folgen gegenwärtig über 2.300 Interessierte. Indem man sich der „Stadtreparatur und Baukultur, Rekonstruktion sowie neuklassischen Architektur“ verpflichtet sieht, werden die gezeigten, oft von einer dezent elitären Aura umwehten Beispiele konservativer Stadtarchitektur (nicht selten von den entwerfenden Büros selbst vorgestellt) in die Traditionslinie der sozial verpflichteten Bewegung der 1970er-Jahre gestellt. Fast einhellig wird in den Wortmeldungen die Nachkriegsmoderne als „seelenlos“ und „gescheitert“ angesehen. Stattdessen erscheinen geschlossene, auf dem Vorkriegszustand beruhende Raumlösungen und historisch anmutende Neubaufassaden als beispielhaft. Als Ideal gilt die möglichst genaue Rekonstruktion früher vorhandener Baukörper oder zumindest ihre Andeutung.
Wie in den Fällen des Neumarkts in Dresden und der Potsdamer Garnisonkirche gelten hier Bauten der DDR-Moderne als ein besonders unangenehmes Hindernis für ein charaktervolles Stadtbild. Die Nennung der Schalenbauten von Ulrich Müther in einer an dieser Stelle fast dissidentisch wirkenden Umfrage nach schätzenswerter moderner Architektur stellt eine originelle Ausnahme dar. Allerdings erscheint auf der Kopfzeile unter dem Motto der Gruppe „Der Schönheit verpflichtet“ die Fassade der in der späten DDR-Zeit wiederaufgebauten Dresdner Semperoper. Wohl unter dem Eindruck der Fachdebatte um die „rechten Räume“ (in der städtebaulichen Rekonstruktion) stellten die Administratoren 2020 klar, dass in der Gruppe kein Platz für Extremismus vorhanden, ja von jeglicher Politisierung der Diskussion Abstand zu nehmen sei. Dort wo sich eindrucksvolle Zeugnisse einer historischen Bebauung zeigen und besonders dann, wenn deren Verfall beklagt wird – wie bei vielen Fachwerkhäusern in Alsfeld – stellt sich ein Konsens mit ansonsten rekonstruktionsskeptischen Zaungästen dieses Forums ein.
Stadtbezogene Foren: das Beispiel Dessau
Wer sich für die Prozesse innerhalb eines lokalen Rahmens interessiert, findet sich in Foren zur Kultur- und Baugeschichte einzelner Städte wieder. Manchmal – aber nicht immer – sind sie auf bestimmte Epochen fokussiert. Viele der Postenden bauen auf einem vertieften Kenntnisstand zu ihrer Heimatregion auf. In schneller Folge tauchen dabei visuelle Funde aus privaten Sammlungen, von Internetauktionen oder aus Publikationen auf (was die Rechtefrage nicht immer ganz einfach macht). Die Facebook-Gruppe „Dessau im Wandel der Zeit“ ist als Beispiel besonders interessant.
Die Muldestadt im ehemaligen Kleinstaat Anhalt, Fürstenresidenz, Zentrum des „Gartenreichs“ um 1800, Junkers- und Bauhausstadt war seit den 1920er Jahren ein Zentrum der Gartenstadtbewegung. Während des Nationalsozialismus wurde Dessau Gauhauptstadt und Produktionsort von Zyklon B. Dessaus Zentrum wurde im Zweiten Weltkrieg zu 85 % zerstört, sozialistisch wiederaufgebaut und nach der Wende umfassend deindustrialisiert. So vereint Dessau wie nur wenige Orte die Höhen und Abgründe der deutschen Geschichte. Der Reichtum an historischen Zeugnissen, dem Flächenabrisse an der historischen Restsubstanz in den Jahren vor und nach der Wende gegenüberstehen, schafft eine kollektive Erinnerung, die Stoff für lebhafte Wortwechsel bietet. Besonders Jüngere und Zugezogene erfahren hier zum ersten Mal genaueres über ihren Wohnort. Dass dabei viele aktuelle Probleme der Stadtentwicklung und damit der Ökonomie und Politik zur Sprache kommen, verlangt von den Administratoren Geschick darin, zu mäßigen, ohne vorschnell auszugrenzen. Als Station der „Stadtwende“-Ausstellung ist Dessau-Roßlau, so der neue Name nach einer Zusammenlegung, ein eigenes Modul zum Altstadtverlust und zu Bürgergruppen in der DDR gewidmet. Über die Onlineplattform konnten dazu wertvolle Kontakte geknüpft werden.
Für uns als in der Forschung Tätige – und ganz besonders im „Stadtwende“-Projekt – stellen diese Onlineforen somit durch ihr Aktivieren von Wissensressourcen eine unschätzbare Quelle dar. Zugleich sind sie als Orte der breiten Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs eine kommunikative Brücke zu den Menschen unterschiedlicher Milieus mit ihren Lebenssituationen und Narrativen. Der Nutzen der Begegnung auf Augenhöhe liegt dabei auf beiden Seiten – bei Laien und in der Wissenschaftscommunity. Während die in den ersten beiden Abschnitten besprochenen Gruppen in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung weitgehend festgelegt sind (was ihre Aussagekraft erst einmal nicht beeinträchtigt), können etwa im Dessauer Forum Kontroversen zum Wert bestimmter Baubestände, deutlicher werden. Dies zu wissen hilft, den jeweils zu erwartenden Erkenntnisgewinn richtig einzuschätzen.