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Wohnen nicht ohne Boden denken
Antrittsvorlesung von IRS-Historikerin Kerstin Brückweh an der Europa-Universität Viadrina
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Wohnen, Eigentum, Grund und Boden: Sie sind Grundkonstanten gesellschaftlicher Ordnung und werden doch immer wieder neu verhandelt. In ihrer Antrittsvorlesung in Frankfurt (Oder) zeigte Kerstin Brückweh, welchen Wert die Kategorien Wohnen und Boden für die Erforschung von Transformationsgeschichte haben. Zugleich erklärte sie, wie transformativer Wandel durch sozialwissenschaftliche Expertise reflektiert wird, und wie solche Verarbeitungsprozesse selbst wieder Gegenstand historischer Forschung werden.
Am 28. Januar 2025 hielt Kerstin Brückweh ihre Antrittsvorlesung zu „Wohnlandschaften – Überlegungen zur Geschichte des Eigentums“ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Brückweh ist seit Oktober 2023 Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Zeitgeschichte und Archiv“ des IRS und, in gemeinsamer Berufung, Professorin für Historische Stadt- und Raumforschung an der Viadrina. Eduard Mühle, der Präsident der Europa-Universität Viadrina, IRS-Direktor Oliver Ibert und der Dekan der Kulturwissenschaftlichen Fakultät Timm Beichelt begrüßten die Berufene und würdigten ihren wissenschaftlichen Werdegang. Zahlreiche Gäste aus beiden Institutionen und darüber hinaus waren im Senatssaal der Viadrina zugegen.
Kerstin Brückweh, die als Historikerin zwischen den Kulturwissenschaften an der Viadrina und Sozialwissenschaften am IRS angesiedelt ist, bezeichnete ihre Aufgabe als vielseitig und herausfordernd zugleich. Die Tätigkeit von Historiker*innen beschrieb sie als Öffnen und Schließen von Türen in die Vergangenheit und als Zusammenfügen verschiedener Landschaften zu einem Ganzen – eine Metapher, die auf den französischen Historiker Fernand Braudel zurückgeht.
In ihrer Vorlesung eröffnete Kerstin Brückweh interdisziplinäre Perspektiven und Fragestellungen auf das Thema Wohnen als eine individuelle und zugleich gesellschaftliche Praxis, die sich in Räumen manifestiert und in Wohnlandschaften sichtbar wird. Deren geschichtswissenschaftliche Untersuchung bietet Kerstin Brückweh zufolge neue Einblicke in das Handeln von Gesellschaften, insbesondere in Zeiten von Krisen und Transformationen. Die Erforschung des Wohnens ist ein komplexes Unterfangen, das machte Kerstin Brückweh an Beispielen von quantitativen Umfragen zu Wohnen und Wohneigentum sowie an Beobachtungen von Praktiken rund um das Grundbuch oder zur Pflege von Wohnraum deutlich. Die Aspekte „Recht“ (Grundbuch) und „Care“ (Wohnraumpflege in Eigenleistung) sind laut Kerstin Brückweh für das Verständnis des Wohneigentums in der Transformationsgeschichte grundlegend. Daraus leitete sie eine für ihre Forschungsarbeit zentrale Prämisse ab: Wohnen kann man nicht ohne Boden denken.
Weiterhin zeigte Brückweh in ihrer Vorlesung Forschungsperspektiven für die Wissensgeschichte auf, insbesondere die Geschichte der Sozialwissenschaften. Sie betonte die Notwendigkeit, die Wissensproduktion der Sozialwissenschaften, ihren Umgang mit fachprägenden Personen, Konzepten, Methoden und Institutionen, kritisch zu betrachten. Als Beispiel verwies sie auf die Reaktionen der sozialwissenschaftlichen Forschung auf den Mauerfall. Kerstin Brückwehs besonderes Forschungsinteresse an den Zäsuren der Wissensproduktion richtet sich auf ihre Verflechtungen miteinander. So nimmt sie die Wechselwirkungen der Aufarbeitung der NS-Zeit in der alten Bundesrepublik und der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit in bzw. seit den 1990ern in den Blick.
„Mit Vorfreude blicke ich nun auf neue Aufgaben und Forschungsarbeit in bereits laufenden und beantragten Projekten“, so Brückweh in ihrem Resümee.