28. Mai 2025 | Feature

„Geschichten über Remote Work sind auch Geschichten von Migration, Familien und persönlichen Biographien“

Interview mit Anna Oechslen

Seit Covid im Home-Office, bei der Arbeit auf Reisen oder vor dem Krieg geflüchtet: Menschen arbeiten aus verschiedenen Gründen räumlich entfernt – „remote“ – von ihrem Arbeitgeber. Das EU-Verbundprojekt REMAKING untersucht den Trend zu Remote Work. Anna Oechslen, Postdoktorandin in der Forschungsgruppe „Kreativität und Arbeit“, bearbeitet den IRS-Anteil der gemeinsamen Forschung.

Frau Oechslen, der REMAKING-Verbund untersucht Remote Work. Was heißt das, und was soll erreicht werden?

In REMAKING untersuchen wir verschiedene Formen von Arbeit, die über räumliche Distanz hinweg geleistet wird, mit Hilfe digitaler Technologien. Dazu gehören zum Beispiel Arbeitsverhältnisse, die durch Covid langfristig verändert wurden und nun standardmäßig Home-Office einschließen, aber auch internationale Arbeitspraktiken: von „digitalen Nomaden“, meist hochqualifizierten Arbeitskräften, die teils aus persönlichen Vorlieben und teils aus wirtschaftlichen Gründen remote arbeiten, aber zum Beispiel auch die Arbeit von Geflüchteten aus der Ukraine, die aus dem Ausland für ihre ukrainischen oder andere Arbeitgeber*innen remote arbeiten. Das Projekt will die Folgen von Remote Work für Unternehmen, Erwerbstätige und Regionen herausarbeiten, um räumliche Transformationsprozesse zu verstehen und Perspektiven für ihre politische Gestaltung anbieten.

Kann man denn wirklich Kriegsflüchtlinge vergleichen mit Softwareentwicklern, die mit dem Laptop am Strand sitzen?

Ja, das wirkt auf den ersten Blick seltsam. Aber letztlich geht es genau darum, Remote Work eben nicht als Nischen- oder Lifestyle-Phänomen zu betrachten, sondern als Teil größerer gesellschaftlicher Prozesse. Dazu gehört die Digitalisierung, aber auch besonders große disruptive Ereignisse wie die Covid-19-Pandemie und der Krieg in der Ukraine. Indem wir ganz unterschiedliche Formen von Remote Work und die Erfahrungen, die Menschen damit machen, betrachten, können wir besser abbilden, was dieses Phänomen ausmacht. Diese breite Perspektive ist gerade der Mehrwert von REMAKING. Gleichzeitig wollen wir in den einzelnen Fallstudien auch ganz konkret verstehen, was einzelne Formen von Remote Work ausmacht und voneinander unterscheidet.

Woran forschen Sie am IRS konkret?

In unserer Fallstudie untersuchen wir, wie ukrainische Geflüchtete in Deutschland Remote Work international nutzen. Entweder, indem sie ein Arbeitsverhältnis aus der Ukraine „mitnehmen“ und von Deutschland aus remote weiterführen oder auch in Form von Arbeit für Unternehmen oder Auftraggeber*innen in verschiedenen Ländern. Dabei kooperieren wir mit der Prague University of Economics and Business und der Taras Shevchenko National University in Kyjiw. Wir möchten besser verstehen, was diese Arrangements für das Wohlbefinden der Menschen bedeuten und wie sie institutionell eingebettet sind. Wenn ich mein Zuhause ohne viel Vorbereitungszeit verlassen musste, die Sprache meines Aufnahmelandes noch nicht spreche, auf die Anerkennung meiner Ausbildungsabschlüsse warte und vielleicht auch hoffe, dass ich bald wieder zurückkehren kann, kann es einige Unsicherheiten abfedern, remote zu arbeiten. Gleichzeitig bringt es aber auch neue Fragen und Herausforderungen mit sich: Wo muss ich Steuern bezahlen? Reicht mein ukrainisches Gehalt, um mein Leben in Berlin zu finanzieren? Und was passiert, wenn ich doch langfristig bleiben möchte, aber keine lokale Beschäftigung vorweisen kann? Wir analysieren dieses Spannungsfeld und versuchen auch zu zeigen, wie das Phänomen Remote Work mit gesellschaftlichen Strukturen verwoben ist.

Was muss man berücksichtigen, wenn man Interviews mit Geflüchteten führt?

Wir haben, als wir die Interviewleitfäden entwickelt haben, viel darüber gesprochen, wie wir sensibel mit den traumatischen Erfahrungen von Krieg und Flucht umgehen können, die einige unserer Interviewpartner*innen gemacht haben. Wir vermeiden es zum Beispiel, direkt nach ihrer Flucht zu fragen, sondern konzentrieren uns auf den Arbeitsalltag. Gleichzeitig lässt sich das Thema natürlich auch nicht komplett ausklammern und in den ersten Interviews hat sich gezeigt, dass viele auch ein Bedürfnis haben, darüber zu sprechen. Außerdem ist es besonders wichtig, umsichtig mit den Informationen umzugehen, die unsere Gesprächspartner*innen mit uns teilen, um ihnen durch unsere Forschung nicht zu schaden. Das gilt natürlich immer bei empirischer Forschung, aber weil der Fluchtstatus auch Prekarität auf vielen Ebenen mit sich bringt, gehört schon einiges an Vertrauen dazu, in einem Interview offen Persönliches zu erzählen. Dass wir uns in diesen Fragen mit den ukrainischen Kolleg*innen im Projekt austauschen können, hilft sehr.

An REMAKING sind zwölf Forschungs- und Praxiseinrichtungen aus elf Ländern beteiligt. Wie koordinieren Sie Ihre Arbeit mit den Partner*innen?

Die vier Fallstudien sind auf die Partner*innen verteilt und werden schwerpunktmäßig dort untersucht, wo man die untersuchte Gruppe gut antrifft: digitale Nomaden in Griechenland und Portugal, High-Tech-Beschäftigte in Irland, Geflüchtete in Deutschland und Tschechien und Pendler*innen in Italien. Es forscht aber nicht jede Gruppe für sich. Die Ergebnisse der Fallstudien werden nämlich in drei querschnittlich angelegte Arbeitspakete überführt, die auf je ein bestimmtes gemeinsames Ergebnis hinsteuern: die Auswirkungen von Remote Work auf Lebens- und Arbeitsbedingungen, auf Organisationen und auf Regionen. Damit das funktioniert, braucht es sehr viel Koordination. Wir treffen uns zweimal im Jahr mit dem gesamten Projektteam, um uns auszutauschen. Die Forschungsplanung jeder Fallstudie muss die drei Arbeitspakete von Anfang an mitdenken. Am IRS koordinieren wir das Arbeitspaket zu Lebens- und Arbeitsbedingungen: Wir haben zu Beginn des Projekts die Literatur zu dem Thema aufgearbeitet und übergreifende Leitfragen für die Fallstudien entwickelt. Jetzt, während der Feldforschung, tauschen wir uns regelmäßig mit den Kolleg*innen aus den unterschiedlichen Fallstudien dazu aus, um zu sehen, welche gemeinsamen Themen sich über die einzelnen Fälle hinweg abzeichnen.

REMAKING hat den Anspruch, die Praxis mitzudenken und Remote Work zu einem Ansatzpunkt für transformative Politik und Planung zu machen. Wie nehmen Sie Praxisakteur*innen mit und was bieten Sie ihnen konkret?

Wir arbeiten im Projekt mit Praxispartner*innen zusammen, zum Beispiel dem Museum der Arbeit in Hamburg, aber auch Akteuren aus der öffentlichen Verwaltung und Coworking-Verbänden. Außerdem ist es uns wichtig, uns im Verlauf des Forschungsprozesses mit Praxisakteur*innen abzustimmen: Zum Start unserer Feldforschung haben wir im Februar einen Workshop in Berlin organisiert, um REMAKING vorzustellen und Feedback zu unserem Forschungsdesign aus der Praxis einzuholen. Das Hintergrundwissen der Teilnehmerinnen, unter anderem Jobberaterinnen für Geflüchtete und eine Coworking Space-Betreiberin, hilft uns dabei, den Forschungskontext besser zu verstehen und Fragen zu adressieren, die für die Praxis relevant sind. Außerdem haben sich dadurch einige wertvolle Kontakte für Interviews ergeben. Im Sommer wollen wir dann noch einmal Zwischenergebnisse vorstellen und wenn die Feldforschung abgeschlossen ist, leiten wir in Policy Workshops gemeinsam mit Praxispartner*innen Handlungsempfehlungen aus den Ergebnissen ab. Neben dem praxisrelevanten Wissen, das so hoffentlich entsteht, ist es für die Praxispartner*innen auch interessant, sich auf europäischer Ebene zu vernetzen und Einblicke zu gewinnen, wie in anderen Ländern mit dem Thema umgegangen wird.

REMAKING läuft seit einem Jahr. Gab es bisher etwas, das Sie überrascht hat?

Für mich war am eindrücklichsten, wie stark das Thema Remote Work mit anderen Themen verwoben ist. Eine Teilnehmerin aus dem Praxisworkshop hat das so beschrieben, dass Geschichten über Remote Work auch Geschichten von Migration, Familien und persönlichen Biographien erzählen. Diese Verbindungen machen das Thema für mich so spannend.

Wo stehen Sie gerade und was passiert als nächstes?

Das Jahr 2025 ist für uns das Jahr der Datenerhebung. Die nächsten Monate stehen also im Zeichen von Interviews und teilnehmenden Beobachtungen. Ab Herbst machen wir uns dann daran, die Fäden zu verbinden und mit den Ergebnissen weiterzuarbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

Projekt

Remote-Working Multiple Impacts in the Age of Disruptions: Socio-Economic Transformations, Territorial Rethinking, and Policy Actions

Zur Website des REMAKING-Projekts

Projektbeschreibung auf der IRS-Website

Fallstudie zu erzwungener Migration und Remote Work