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Können zivilgesellschaftliche Initiativen soziale Infrastrukturen bereitstellen?
Fachartikel zu sozialer Teilhabe in Großwohnsiedlungen
Großwohnsiedlungen in Ostdeutschland sind mit wachsenden Bedarfen nach sozialer Infrastruktur wie Bildungsangeboten und Erholungsmöglichkeiten konfrontiert. Zugleich wurden öffentliche Angebote in den letzten Jahrzehnten abgebaut. Ein neuer Artikel in der Fachzeitschrift „sub\urban“ diskutiert, ob die Zivilgesellschaft hier einspringen kann.
Soziale Infrastrukturen wie Kultureinrichtungen, Jugendclubs, Parks, Bibliotheken und Volkshochschulen schaffen gesellschaftliche Teilhabemöglichkeiten für die Menschen in ihrem Einzugsbereich. Typischerweise ist aber die Bereitstellung solcher Einrichtungen – im Vergleich zu klassischen Infrastrukturen wie Straßen – keine kommunale Pflichtaufgabe. Besonders problematisch ist das in Gebieten, in denen starke soziale Problemlagen auf finanzschwache kommunale Akteure und ausgedünnte Infrastrukturen treffen. Das ist beispielsweise in ostdeutschen Großwohnsiedlungen der Fall. Diese waren über viele Jahre hinweg von Bevölkerungsverlusten und in der Folge Infrastrukturrückbau betroffen. Dann wandelten sie sich ab 2015 sehr schnell zu sogenannten Ankunftsquartieren internationaler Migration, insbesondere der Fluchtmigration. Damit kamen Herausforderungen bezüglich des Zusammenlebens der Bewohnerschaft und ein stark gewachsener Bedarf nach sozialen Infrastrukturen auf die Quartiere zu. Ein Beispiel für eine solche Dynamik ist die Großwohnsiedlung Mueßer Holz in Schwerin. Mueßer Holz verfügt über keine städtische Parkanlage abgesehen von begrünten Brachflächen, kein Kino, keine reguläre Tanz-, Theater- oder Konzertmöglichkeiten und kein Café außerhalb des Einkaufszentrums Kaufland. Wie können in solch einer Umgebung die benötigten sozialen Infrastrukturen bereitgestellt werden?
In einem Artikel in der Fachzeitschrift „Sub\urban“ beschrieben Madlen Pilz (IRS), Katja Friedrich und Stefanie Rößler (beide Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung), wie soziale Infrastrukturen dennoch bereitgestellt werden können. In vergleichender Perspektive betrachten sie eine Grünanlage, den „Plattenpark“, und einen Arabischsprachkurs, die „Sonntags:Schule!“. Die Autorinnen arbeiten heraus, dass beide Infrastrukturen Ergebnisse eines Koproduktionsprozesses zwischen zivilgesellschaftlichen und städtischen Akteur*innen sind. In beiden Fällen ging die Idee und Planung der Infrastrukturen von zivilgesellschaftlichen Initiativen aus: vom Verein die Platte lebt e.V. und vom Verein Miteinander- Ma’an e.V. Beide Angebote haben im Stadtteil ihren festen Kreis von Nutzenden. Es zeigt sich also, dass zivilgesellschaftliche Initiativen einen Beitrag zur Bereitstellung dringend benötigter sozialer Infrastrukturen leisten können. Allerdings gehen die Autorinnen auch auf die Grenzen dieses Ansatzes ein: Auch mit sehr großem persönlichem Engagement können die Beteiligten nicht die fehlende Dauerfinanzierung sowie die institutionellen Ressourcen und Kompetenzen wettmachen, über die kommunale Angebote – wenn sie vorhanden sind – verfügen. Mittlerweile versucht die Stadt, beide Angebote nach Möglichkeit auch mit finanziellen Ressourcen zu unterstützen, stößt jedoch regelmäßig an Grenzen: Als Kommune in der Haushaltsnotlage kann Schwerin auch keine kleineren Summen für nicht-pflichtige Aufgaben einplanen und vorhandene Projektförderungen passen nicht in jedem Fall.
Der Beitrag basiert auf Forschungen im BMBF-finanzierten Verbundprojekt „StadtumMig“.