20. November 2022 | Nachricht

Ehrenamt als Ressource für die Digitalisierung im Land Brandenburg

Fachleute fordern bei Regionalgespräch Modernisierung staatlicher Förderstrukturen

Die Digitalisierung ist für die regionale Entwicklung in Brandenburg schon seit Jahren ein strategischer Schlüsselbegriff. Im öffentlichen und privaten Sektor wird sie zunehmend als zentrales Mittel zur Steigerung der Attraktivität der ländlichen Räume gesehen, die für die Selbst- und Außenwahrnehmung Brandenburgs so charakteristisch sind. Es gibt somit hohe Erwartungen an digitale Lösungen zur Daseinsvorsorge, an die Steigerung von Medien- und Informationskompetenzen der Bürger*innen oder auch an die Unterstützung von sozialen Innovationen. Fachleute gehen inzwischen davon aus, dass zivilgesellschaftliches Engagement für die Digitalisierung ländlicher Räume in Brandenburg wichtig ist und wichtiger wird. Dieses Engagement könnte besser gefördert werden. Wie Digitalisierung über Ehrenamt in Zukunft zu bewerkstelligen ist, damit befasste sich das 53. Brandenburger Regionalgespräch des IRS Mitte November 2022 in Erkner.

Digitalisierung nicht nur als Mittel zum Zweck sehen

Digitalisierung im Ehrenamt ist nicht nur Mittel zum Zweck, meint Christoph Thewes, Soziologe im Forschungsschwerpunkt Ökonomie und Zivilgesellschaft des IRS. Im Rahmen des Projekts „Zwischen Appstore und Vereinsregister - Ländliches Ehrenamt auf dem Weg ins digitale Zeitalter“ hat er 2.800 Vereine zu ihrer Nutzung digitaler Medien befragt. Für Thewes ist interessant, wie Ehrenamtliche über ihre digitale Binnenkommunikation die Digitalisierung vor Ort voranbringen, auch über ihre Vereinsstrukturen hinaus. Sie sind für ihn Treiber, die es stärker und passfähiger zur fördern gilt. Über Ehrenamtliche entstehe in letzter Zeit ein ganz eigener Engagementbereich, der das ländliche Zusammenleben und Digitalisierungsprozesse darin im Sinne des Gemeinwohls nach vorn bringe. Davon könnten Politik und Verwaltung allerdings in Zukunft noch mehr profitieren als es bisher der Fall war, sagte Silvia Hennig vom „Think & Do Tank“ neuland21 mit Sitz im brandenburgischen Bad Belzig.

Staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure auf bessere Vernetzung angewiesen

Einigkeit auf dem Podium in Erkner bestand zwar darin, dass zivilgesellschaftliches Engagement für die Digitalisierung in ländlichen Räumen längst eine Schlüsselrolle spielt. Dieser Trend sei jedoch auch von negativen Begleiterscheinungen geprägt, die bei aller Zuversicht in den Kommunen und Netzwerken nicht aus dem Blick geraten dürften. Es gelte zum Beispiel nach wie vor, antidemokratische Mobilisierung über digitale Medien genau zu beobachten. Das meinten sowohl Matthias Dahlke von der Staatskanzlei des Landes Brandenburg als auch Peter Schubert von Zivilgesellschaft in Zahlen (ZivZ), einer gGmbH, die bundesweit regelmäßig sozialwissenschaftliche Befragungen im Bereich des zivilgesellschaftlichen Engagements durchführt. Schubert konstatiert ab 2012 eine zunehmend lokale Orientierung bei Digitalisierungsaktivitäten von Ehrenamtlichen. Tina Noack von der Koordinierungsstelle Ehrenamt des saarländischen Landkreises Sankt Wendel sieht trotz starken lokalen Engagements einen Mangel an sachkundigen Engagierten, die weniger versierte Ehrenamtliche „an die Hand nehmen“ und digitale Kompetenzen vermitteln. Es brauche mehr davon. Wichtig sei es zudem, solche Kompetenzvermittler*innen auch zwischen staatlichen und privaten Digitalisierungs-Akteuren besser zu fördern als bisher und Ehrenamtliche mit ihren Kompetenzen und Erfahrungswissen einzubinden.

Periphere Räume brauchen besondere Aufmerksamkeit

Insgesamt bot das Expertengespräch am Ende eine Doppelperspektive. Einerseits wurde klar, wie Ehrenamtliche die laufende Digitalisierung und den lokalen zivilgesellschaftlichen Austausch nachweislich stärken. Auf das Land Brandenburg bezogen wurde andererseits in den Schluss-Statements deutlich, dass es für die gemeinwohlorientierte Digitalisierung noch viel Luft nach oben gibt, wenn man auch das Ehrenamt in peripheren ländlichen Sozialräumen im Blick behalten und ernsthaft stärken will.

Ehrenamtlichen als Impulsgebern mehr öffentliche Anerkennung geben

Fazit: Politik und Verwaltung müssen für die voranschreitende Digitalisierung ländlicher Räume ertüchtigende und qualifizierende Förderstrukturen für Ehrenamtliche aufbauen – und mehr für deren öffentliche Anerkennung tun. Die vor allem im medialen Diskurs oft verbreitete Annahme, so genannte Randgebiete oder Peripherien würden hier eine Vorreiterfunktion übernehmen, scheint sich bisher aber noch nicht zu bestätigen, da das Engagement hier meist schlicht aus purer Not entstehe (Thewes). Und eben nicht, weil hier die Förder- und Anerkennungsstrukturen für ehrenamtlich Handelnde besser sind. Wie das Regionalgespräch zeigte, gibt es hierzu noch etlichen Forschungs-, Handlungs- und nicht zuletzt einen hohen Bedarf an modernisierten Förderstrukturen.

Regionalgespräch
09. November | 2022
Fotos v.l.n.r.: Jacob Lund/stock.adobe.com; EKH-Pictures/stock.adobe.com; Ariane Sept, IRS; Fotocollage: Frank Wagner/stock.adobe.com, Zauberhut/stock.adobe.com

Digitalisierung ist für viele Akteure ein zentrales Mittel zur Steigerung der Attraktivität ländlicher Räume. Seien es digitale Lösungen zur Daseinsvorsorge, die Steigerung der Medien- und Informationskompetenz der Bürger*innen oder die Unterstützung von sozialen Innovationen – viele dieser Bereiche werden nicht bloß als staatliche oder privatwirtschaftliche Aufgaben angesehen, sondern sind die Grundlage von zivilgesellschaftlichem Engagement. mehr Info