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Von der Partizipation zur friedlichen Revolution. 47. Brandenburger Regionalgespräch beleuchtete politische Bedeutung von Bürgerinitiativen
Im November 2019 wurde das dreißigjährige Jubiläum der friedlichen Revolution von 1989 öffentlich gefeiert, oft mit Gesten der Freude und des Stolzes. Aus einer eher nüchternen, historischen Perspektive heraus fokussierte das 47. Brandenburger Regionalgespräch des IRS hingegen auf die zeitgeschichtliche Bedeutung von Städtebau und Wohnen für den Umbruch von 1989/90. „Von der Partizipation zur friedlichen Revolution – Die politische Bedeutung von Bürgerinitiativen gegen Altstadtverfall in der DDR und in der Gegenwart“, so lautete der Titel des Gesprächs, zu dem das IRS eingeladen hatte.
Der Einladung waren am 13. November 2019 insgesamt 40 Teilnehmende aus Verwaltung, Politik, Planung und Kultur gefolgt. Unter Ihnen Zeitzeugen, wie Ludwig Krause, Gründungsdirektor des Instituts für Städtebau und Architektur (ISA), des Vorgängerinstituts des IRS. Das Besondere an diesem Regionalgespräch waren die profunden Dialoge zwischen den Expertinnen und Experten auf dem Podium und im Publikum. Tenor war, dass der rasante und großflächige Verfall großer Altstadtgebiete der DDR bei gleichzeitiger und einseitiger Dominanz des industriellen Plattenbaus aus heutiger Sicht historisch einmalig bleibt. Betont wurde mithin, wie es kritischen Individuen und Gruppen über die Bildung informeller Netzwerke und über individuelle Protesthandlungen, etwa in Potsdam oder in Brandenburg an der Havel, gelingen konnte, sich unter hohen Bedrohungsdruck zu engagieren – und damit indirekt die 89er-Revolution mit vorzubereiten. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen von daher die urbanen Denkwelten in der Zeit vor der Wende.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor, das ergab die Diskussion, war der Beitrag der Bürgerinitiativen. „Wenn sich die Bundesrepublik Deutschland in ihrem öffentlichen Diskurs in jüngster Zeit der dreißigsten Wiederkehr der Friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 erinnert, dann gehört der Kampf von Bürgerinitiativen gegen den Verfall der Altstadtsubstanz in der DDR in diesen Fokus“, betonte Harald Engler, der in der der ehemaligen Historischen Forschungsstelle des IRS forscht. Für ihn sind Bürgerinitiativen wichtiger Bestandteil einer Gesamtbewegung, die den Zerfall des politischen Systems herbeiführte. Ein weiterer Grund, Bürgerinitiativen der DDR stärker in den Blick zu nehmen, liegt für Engler im Kernforschungsbereich der ehemaligen Historischen Forschungsstelle des IRS. Diese befasst sich schwerpunktmäßig mit der Bau- und Planungsgeschichte der DDR. In diesem Feld ist die Bewegung gegen den Altstadtverfall eine bis heute weitgehend unerforschte Terra incognita, die mit einem neuen, durch das Bundesministerium für Forschung und Bildung finanzierten Verbundprojekt StadtWende endlich näher erforscht werden soll, so Engler.
Das Regionalgespräch ist ein wichtiger Baustein des besagten StadtWende-Projekts. Durch die anwesenden Zeitzeugen– auch Saskia Hüneke, damals wie heute Mitglied der Gruppe ARGUS in Potsdam und Helmut Gelbrich (ebenfalls ISA) waren gekommen – konnten die Forschenden am IRS (Harald Engler und Julia Wigger) wesentlich detailliertere Einblicke in damalige Akteurskonstellationen bekommen. Deutlich wurden vor allem zwei Punkte: Die Akteure in den Bürgerinitiativen verfügten mit ihren personellen Konstellationen über ein mehrdimensionales Partizipationswissen, das die Kompentenzbereiche Architektur, Handwerk, Stadtplanung, Politik, Verwaltung und Kultur integrieren konnte. Zudem bestanden zwischen städtischen Verwaltungen und Bürgerinitiativen einschlägige informelle Netzwerke, die den Verfall in einigen Städten gewissermaßen von oben und unten zu stoppen versuchten. „So gab es sowohl in der Bauakademie der DDR und einzelnen ihrer Institute als auch im Bereich von Stadtarchitekten oder Baudirektorien Fachleute, die mit dem systematischen und wachsenden Verfall von historischer Bausubstanz unzufrieden waren, dagegen innerhalb ihrer Gremien ankämpften und sich sogar partiell mit Mitgliedern der zivilgesellschaftlichen Opposition verbanden“, erklärte Holger Schmidt, Professor für Stadtumbau und Ortserneuerung an der Technischen Universität Kaiserslautern und Partner des IRS im Projekt StadtWende.