Hauptinhalt
Missing Links – Konferenz zu Wertkonstruktionen in der Modebranche
In dem seit Juli 2015 am IRS durchgeführten Forschungsprojekt „Geographien der Dissoziation“ untersuchen Wissenschaftler/-innen Prozesse der sozialen Konstruktion von Werten am Beispiel der Pelzindustrie aus einer räumlichen Perspektive. Dazu rekonstruieren sie die globalen Produktionsnetzwerke von der Rohstoffproduktion bis zum Verkauf der fertigen Produkte an die Konsumenten und analysieren, wie die beteiligten Akteure in den einzelnen Produktionsschritten Einfluss auf den Wert des Endprodukts nehmen. Am 27. Oktober 2017 fand die Abschlusskonferenz des Projektes mit dem Titel „Missing Links“ in Kooperation mit der Universität der Künste (UdK) statt, auf der die Forschungsergebnisse einer internationalen Fachöffentlichkeit präsentiert sowie praktische Implikationen für die Felder Medien, Politik und Modedesign diskutiert wurden.
Woher kommt der Wert einer Ware? Wieso bezahlen Kunden für ein T-Shirt nur 4,99 € und für ein ganz ähnliches 29,99 €? Die beiden klassischen Antworten der Ökonomie greifen für die meisten Märkte nicht mehr: Weder kann die faktische Knappheit den Preisunterschied erklären (T-Shirts aller Preislagen gibt es im Überfluss) noch sind Unterschiede in investierten Arbeitsressourcen (oft werden teure Markenshirts und Discountware Seite an Seite in denselben Sweatshops hergestellt) die eindeutigen Ursachen. Die Preisdifferenzen gehen tatsächlich auf unterschiedliche symbolische Wertzuschreibungen zurück, etwa die Reputation der Marken, das damit zusammenhängende Lebensgefühl oder ein sozialer Status. Die Forschungen zur sozialen Konstruktion von Werten haben am Beispiel der Pelzindustrie gezeigt, dass derartige symbolische Werte nicht allein über positive Assoziationen von Herstellern beeinflusst werden, sondern dass auch das Verschleiern von problematischen Aspekten – die Dissoziation – eine wesentliche Rolle spielt. Im Fall der Pelzprodukte werden Verbindungen der Produkte zu den Haltungsbedingungen der Tiere zielgerichtet beeinflusst, sowohl vonseiten der Produzenten als auch von Tierschutzorganisationen. Aber auch die Modebranche insgesamt arbeitet aktiv mit Assoziationen und Dissoziationen, letzteres beispielsweise, um den Chemikalieneinsatz oder die Arbeitsbedingungen der Textilarbeiter zu verschleiern.
Im Fokus der Abschlusskonferenz stand daher, auf der Basis von Projektergebnissen (präsentiert von Dr. Felix Müller), diesen „Missing Links“, also den fehlenden Verbindungen bei der Konstruktion von Wert in der Modeindustrie, nachzugehen und sich daraus ergebende Handlungskonsequenzen in drei Praxisfeldern in jeweils einem Panel zu diskutieren. Das erste Panel adressierte Praktiker/-innen aus dem Feld der Medien, die über ihre Berichterstattung Images kreieren, aber auch aufklärerische Aufgaben erfüllen. Das zweite Panel versammelte Politikgestalter und Politikadressaten, die für regulatorische Rahmenbedingungen der Produktion und des Konsums verantwortlich sind. Im dritten Panel diskutierten Modedesigner, die bei der Gestaltung von Mode eben nicht nur ästhetische Entscheidungen treffen, sondern oft unbewusst auch zugleich entsprechende Produktionsstrukturen hervorbringen. Zwei Keynotes, gehalten von Prof. Angela McRobbie (Goldsmith College, London) zu lokalen Förderstrategien des Modedesigns in London, Mailand und Berlin sowie von Dr. Valerie Steele (Fashion Institute of Technology, New York) zu Kreativ-Praktiken im Modedesign, gaben wertvolle Impulse für die Paneldiskussionen.
Die Ausweitung der Debatte um Wertkonstruktionen in der Modebranche auf die „Missing Links“ haben fruchtbare Diskussionen in allen drei Panels angeregt, so das Fazit der Organisatoren um Prof. Dr. Oliver Ibert, Dr. Jana Kleibert und Dr. Felix Müller. Die Repräsentanten der Medien betonten beispielsweise, dass Modejournalismus heutzutage mehr sein muss als bloße ästhetische Kritik oder Reproduktion der Assoziationen der Marketingabteilungen großer Modemarken. Der Anspruch vieler Journalist/-innen sei es durchaus, die Hintergründe der Branche zu beleuchten und ein breiteres Spektrum an Wertmaßstäben anzulegen. Zugleich wurde aber auch die Abhängigkeit insbesondere freier Journalist/-innen, wie Aya Noëll aus Brüssel oder Katharina Pfannkuch aus Kiel, von der Modeindustrie deutlich. Die Notwendigkeit, langfristig vertrauensvolle Beziehungen zu Entscheidungsträgern der Branche zu unterhalten, halte Kritik nur in begrenztem Umfang aus. Anders als in der klassischen Tagespresse, etwa dem durch Laura Paddison auf dem Panel repräsentierten „Guardian“, verschwimmen in Hochglanz-Journalen redaktionelle Inhalte und Werbung zum Teil bis zur Unkenntlichkeit. Jüngere Diskussionen, die die Glaubwürdigkeit klassischer Medien generell in Frage stellen („fake news“), schwächen die Position für einen kritisch-aufklärerischen journalistischen Anspruch zusätzlich. Allerdings, so machte unter anderen Anja Aronowski Cronberg, Chefredakteurin der kritischen Online Platform Verstoj, deutlich, sei es völlig legitim, dass sich Modejournalismus auch und vorrangig mit Ästhetik und dem Reiz des Neuen beschäftigt.
Aus der Sicht von politischen Aktivisten, wie Laura Ceresna-Chaturvedi von der Clean Clothes Campaign oder Sarah Ditty von Fashion Revolution, sind die Kernprobleme der globalen Modeindustrie hinreichend bekannt. Vielmehr fehle eine regulatorische Instanz, die eine ähnliche Reichweite besitzt wie die global agierenden Unternehmen, so ein Fazit der Diskussionen im Politik-Panel. Auf nationaler Ebene seien politische Initiativen daher weitgehend auf die Kooperationsbereitschaft der Hersteller angewiesen, so die Einschätzung von Vera Baumann vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Die Komplexität globaler Arbeitsteilung erschwere politische Interventionen zusätzlich. Komplexität könne zudem auch als Vorwand genutzt werden, nichts ändern zu müssen.
Neben Politikgestalter/-innen und Medienvertreter/-innen sind es die Modedesigner/-innen selber, die durch eine bewusstere Wahl von Materialien die Widersprüche verringern können, die sich zwischen dem Wunsch von Konsumenten, sich über Mode auszudrücken, und der Verantwortung für die an der Produktion Beteiligten ergeben können. Allerdings, so wurde in der Keynote von Angela McRobbie deutlich, ist der Status der meisten Modedesigner äußerst prekär. In London sei die Förderung junger Designer stark kapitalgetrieben, was dazu führe, dass wenige Nachwuchsdesigner nach dem Prinzip „the winner takes all“ hochdotierte Förderpreise bekommen. In Mailand seien es vor allem familiäre Sicherheitsnetze, die es Designern trotz Unterfinanzierung erlaubten, sich auf dem Markt zu halten. In Berlin hingegen sei die Offenheit anderer Berufsfelder jenseits des Modedesigns vergleichsweise förderlich für noch nicht etablierte Designer. Valerie Steele verdeutlichte in ihrer Keynote die starke Bedeutung weniger globaler Zentren in der Modebranche, wodurch alle anderen Städte allenfalls noch als Startpunkt erfolgreicher Karrieren taugten. Wie Douglas Miller, emeritierter Professor der Design School at Northumbria University, sieht Angela McRobbie die Bildung neuer Formen kollektiver Interessenvertretung jenseits der etablierten Gewerkschaften als notwendig an. Die Vermittlung von Grundlagen in der Ausbildung sei eine weitere wichtige Ressource junger Modedesigner für ihre Karriere, so Valeska Schmidt-Thomsen und Lars Paschke (UdK) auf dem abschließenden Designpanel.
Insgesamt bestätigt die Konferenz, dass die Idee einer Geographie der Dissoziation weit mehr darstelle als ein anregendes Konzept für den wissenschaftlichen Diskurs, so Prof. Dr. Oliver Ibert. Der Blick auf die fehlenden Verbindungen erschließe auch handlungsrelevantes Wissen für verschiedene Praxisfelder. Zugleich sei aber auch deutlich geworden, dass zumindest in den drei auf der Konferenz diskutierten Feldern die Handelnden selber, also die Mode-Designer, Politikgestalter und anspruchsvolle Modejournalisten, sich mitunter in so prekären Situationen wiederfinden, dass es eine große Herausforderung darstelle, das neue Wissen auch wirkungsvoll anzuwenden.