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Zwei Konferenzen zu sozialen Innovationen und sozialem Unternehmertum in strukturschwachen ländlichen Regionen
Die Forschungsabteilung „Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum“ hat beginnend mit dem Forschungsprogramm 2015-2018 ein Forschungscluster zum Themenfeld „Soziale Innovationen in ländlichen Räumen“ aufgebaut. Teil des Clusters, in dem die besonderen Herausforderungen strukturschwacher, marginalisierter ländlicher Regionen und kreative, innovative Lösungsmöglichkeiten im Mittelpunkt stehen, sind auch die beiden vom IRS koordinierten EU-Projekte „RurInno“ (2016-2018) und „RurAction“ (2016-2020). Sie fokussieren auf das Wirken von Sozialunternehmen in unterschiedlichen Regionen Europas und setzen auf eine strukturierte Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis. Als Lead-Partner beider Projekte war das IRS federführend an der Ausrichtung zweier Projekt- Konferenzen Anfang Dezember 2017 an der Adam-Mickiewicz-Universität Poznań in Polen beteiligt.
Den Auftakt bildete vom 4. bis 6. Dezember 2017 die Konferenz „Challenges and Opportunities of Structurally Weak Rural Regions in Europe. Social Innovations and Social Enterprises Acting Under Adverse Conditions“, die im Rahmen des vom IRS koordinierten European Training Networks „RurAction“ stattfand. Die Veranstaltung schloss die erste Projektphase ab und markierte den Beginn einer dreijährigen Phase intensiver Forschung und Ausbildung. Im Mittelpunkt steht nun die Ausbildung von zehn Nachwuchswissenschaftler/-innen, welche an Forschungseinrichtungen und in Sozialunternehmen in sieben EU-Staaten angesiedelt sind und im RurAction-Netzwerk ihre Dissertationen anfertigen. Im Rahmen der Konferenz begegneten sich die Doktorand/-innen erstmals und wurden in Workshops auf ihre Forschungsaufgaben vorbereitet.
Prägend für die Konferenz war die Integration von Erkenntnissen aus Forschung und sozialunternehmerischer Praxis. Dieser Ansatz wurde in den drei Keynote-Vorträgen deutlich, die jeweils eine thematisch fokussierte Session eröffneten. Dr. Rory Ridley-Duff von der Sheffield Hallam University (UK) präsentierte in seiner Keynote zur Session „Socio-Economic Dynamics of Rural Regions“ erste Ergebnisse des Forschungsprojekts „FairShares Lab“ und stellte den Ansatz des Forschungsnetzwerks EMES für die Erforschung sozialunternehmerischer Praxis vor. Er zeigte dabei, wie die Begriffe respektive Konzepte der Solidarität, Nachhaltigkeit und „sharing economy“ Kristallisationspunkte sozialunternehmerischen Handelns sein können. Eine zweite Keynote hielt Darren Nichols, Regionalentwickler und Geschäftsführer der Columbia River Gorge Commission in den US-Bundesstaaten Oregon und Washington. Er veranschaulichte in seinem Vortrag, wie es in einer peripheren Region mit multiplen Problemlagen durch kommunikative Überzeugungsarbeit gelang, Partikularinteressen zurückzustellen und die Entscheidungsträger einer Region mit einer Stimme sprechen zu lassen. Ansätze kollaborativer Governance waren anschließend auch ein roter Faden der Session „Rural Development Strategies and Policies“.
Wieder stärker in der Forschung verankert war die Keynote von Prof. Dr. Marc Redepenning (Otto-Friedrich-Universität Bamberg). Angelehnt an Luhmanns Unterscheidung in räumliche Strukturen und räumliche Semantiken zeigte er, wie räumliche Semantiken zum Wandel von Räumen genutzt werden können. Diese Zuschreibung von Bedeutungen und Werten zu Räumen sei ein kritischer Prozess im Kontext von Abwärtsspiralen, aber auch von neuen Initiativen in marginalisierten ländlichen Räumen. Die zentrale These brachte Redepenning mit einem englisch-deutschen Satz auf den Punkt: „You must change Geisteshaltung to be zukunftsfähig.“
Den Abschluss fand die RurAction-Konferenz mit einer Exkursion am 6. Dezember 2017: Die Teilnehmer/-innen besuchten die Gemeinde Wągrowiec in der Wojewodschaft Wielkopolska nördlich von Poznań. In dieser strukturschwachen ländlichen Region sorgt eine Sozialgenossenschaft durch die geförderte Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen für eine Verbesserung von Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie mittelfristig für eine Rückkehr in den ersten Arbeitsmarkt. Die Vertreter/-innen von Gemeinde und Genossenschaft berichteten vom Modellcharakter ihrer Initiative für andere derartige Sozialunternehmen im ländlichen Polen. An die Präsentation im Gemeindeamt schlossen sich der Besuch der Genossenschaft und ein Abendessen mit traditionellem Kulturprogramm an. Die Exkursion rundete eine Reihe von Konferenzbeiträgen ab, die einen vielschichtigen Blick auf strukturschwache Räume und soziale Innovationen in Polen warfen. Die Teilnehmer/-innen der Konferenz erhielten damit tiefe Einblicke in die Herausforderungen dieser Regionen – Abwanderung, wirtschaftliche Strukturschwäche, schlechte sowie sich verschlechternde Infrastruktur, Stigmatisierung – sowie in kreative Auswege in Form von sozialinnovativem Handeln und Sozialunternehmertum.
Die zweite Konferenz fand direkt im Anschluss an den Exkursionstag am 7. und 8. Dezember statt und trug den Titel „Intermediaries in the Countryside. Social Enterprises as Drivers of Social Innovation in Rural Europe“. Dabei handelte es sich um die Abschlusskonferenz des thematisch eng verwandten EU-Projekts „RurInno“, welches nach zwei Jahren kurz vor dem Abschluss steht. Im Unterschied zur strukturierten Doktorandenausbildung bei „RurAction“ dient das im RISE-Programm finanzierte Projekt der Erforschung und der Stärkung der Innovationsfähigkeit von Sozialunternehmen durch den transdisziplinären Austausch von Sozialforschern und Sozialunternehmern. Mehrmonatige „Secondments“ führten Wissenschaftler des IRS und der Universität Linz/Österreich in ländliche Sozialunternehmen Irlands, Polens, Österreichs und Griechenlands, während die Praktiker ihrerseits für mehrere Wochen die beteiligten Forschungseinrichtungen besuchten. Auf diese Weise waren sowohl tiefgehende ethnografische Forschungen über die Arbeit der Sozialunternehmen als auch intensive gegenseitige Lernprozesse zwischen den Unternehmen untereinander sowie zwischen Forschung und Praxis möglich.
Die Abschlusskonferenz des RurInno-Projektes bot ein interaktives Forum zur Präsentation und Diskussion der gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen, wobei die Lernprozesse der Sozialunternehmer – etwa in einer Podiumsdiskussion und einem Story-Telling Café am ersten Konferenztag – gleichberechtigt neben den wissenschaftlichen Ergebnissen diskutiert wurden. Die enge Verknüpfung zwischen Forschung und Praxis im Projekt und in der Konferenz trug Früchte: Vertreter/-innen der vier am Projekt beteiligten Sozialunternehmen moderierten Sessions und diskutierten Fachvorträge der Wissenschaftler/-innen. So hinterfragte Padraig Casey vom irischen Sozialunternehmen Ballyhoura Development die in den Vorträgen wiederholte Problematisierung der Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln. Niemand stelle beispielsweise die Vergabe öffentlicher Mittel an Straßenbauunternehmen in Frage. Sozialunternehmen produzierten einen gesellschaftlichen Mehrwert und bedürften dafür staatlicher Gelder. Insgesamt, so Casey weiter, wünsche er sich von der Forschern mehr Handlungswissen und dass sich diese stärker in Governanceprozesse einbringen.
Das zweite wesentliche Ziel der Konferenz war es, die Ergebnisse des „RurInno“-Projekts mit den Forschungen in thematisch verwandten Projekten anderer Konsortien in Zusammenhang zu stellen. Neben einer Präsentation der RurInno-Wissenschaftler Dr. Ralph Richter (IRS) und Prof. Matthias Fink (Johannes Kepler Universität Linz) stellten vier Wissenschaftler/-innen ihre Forschungen zu Sozialunternehmertum und/oder sozialen Innovationen vor. Dr. Richard Pfeilstätter (Universidad de Sevilla, Spanien) gab einen Einblick in erste Ergebnisse des FAB-MOVE-Projekts, das unter anderem soziale Unternehmen in Österreich und Spanien vergleichend beforscht. Dr. Jenny Eschweiler (Roskilde University, Dänemark) stellte das sogenannte Skovsgård-Modell vor, einen dänischen Ansatz für sozio-ökonomische Inklusion und ländliche Entwicklung.
Eine analytisch-systematisierende Perspektive auf Marginalisierungsprozesse in ländlichen Regionen sowie Konzepte für soziale Innovationen schlug Prof. Bettina Bock (Universität Wageningen und Groningen, Niederlande) vor. Sie bezog sich dabei unter anderem auf im IRS formulierte Konzepte der Peripherisierung von Räumen und zeichnete Eckpunkte einer „nexogenen“ Entwicklung für ländliche Regionen. Darunter versteht sie ein Entwicklungsmodell, welches ländliche Ressourcen wie Engagement und gegenseitige Unterstützung mit dem Pflegen überlokaler Kontakte und dem Austausch von Wissen und Ideen verbindet. Den Abschluss bildete die Vorstellung des großen Forschungsverbundes „Social Innovation in Marginalised Rural Areas“ (SIMRA) durch Dr. Robert Lukesch (ÖAR Regionalberatung GmbH). In dem Verbund arbeiten insgesamt 26 Forschungseinrichtungen, NGOs und Unternehmen an einer umfassenden Bestandsaufnahme sozialinnovativen Handelns und an Fragen des Zusammenhangs zwischen sozialen Innovationen und innovativer Governance in marginalisierten ländlichen Regionen, insbesondere im Mittelmeerraum.
In einem letzten Statement fasste Prof. Gabriela Christmann einige wichtige Einsichten der zweitägigen Konferenz zusammen. Dazu zählte sie die Einsicht in die Diversität sozialunternehmerischer Modelle, die, wie Richter in seinem Vortrag formuliert hatte, nicht einer einzelnen „Spezies“ glichen, sondern eher einem „Zoo“ von recht unterschiedlicher Individuen. Weiter hob Christmann die Erkenntnis hervor, dass sich ländliche Sozialunternehmen durch ihre Funktion als Intermediäre auszeichnen: Sie seien in der Lage, Landgemeinden mit überlokalen Netzwerken und Institutionen zu verbinden und Ressourcen für die Gemeinden zu mobilisieren. Schließlich hob sie das von Bock eingeführte Ideal der „nexogenen“ ländlichen Entwicklung hervor, wonach weder reine endogene bottom-up Initiativen ländlicher Akteure, noch reine top-down Initiativen von außen, sondern vielmehr eine Verbindung von beidem zielführend sei. Sozialunternehmen seien, da sie sich als „Intermediäre“ erwiesen haben, besonders prädestiniert dafür, nexogene ländliche Entwicklungen zu unterstützen.
Insgesamt erlebten die Teilnehmer/-innen eine inspirierende, aber auch herausfordernde Konferenzwoche, in welcher die Referent/-innen und das zu Ende gehende RurInno-Projekt dem noch jungen RurAction-Netzwerk neben Erkenntnissen auch vielversprechende Forschungsdesiderate mitgegeben haben. Dazu zählt der Bedarf an einer stärkeren Integration der in den drei Forschungsfeldern soziale Innovationen, Sozialunternehmen und ländliche Regionen erarbeiteten Konzepte, Modelle und Erkenntnisse.