16. Dezember 2024 | Nachricht

Wenn bürokratische Zwänge Weltoffenheit in der Wissenschaft erschweren

Brandenburger Regionalgespräch zeigte in Potsdam Erfahrungen ausländischer Forscherinnen

Exzellente Forschung kann nur mit internationalen Kooperationen gelingen. Dafür braucht sie ein Klima der politischen, administrativen und gesellschaftlichen Weltoffenheit. In der Hauptstadtregion gibt es jede Menge Nachholbedarf. Das zeigte die Diskussion mit betroffenen Wissenschaftlerinnen beim 57. Brandenburger Regionalgespräch des IRS am 4. Dezember 2024 in Potsdam unter dem Dachthema „Standortfaktor Weltoffenheit“.

Das einladende Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner widmete sich der Frage, wie weltoffen die Region tatsächlich ist und was sich ändern muss. Das waren die Fragen: Mit welchen Herausforderungen sind weltweit kooperierende Wissenschaftler*innen und internationale Forschende in der Region konfrontiert? Welche Bedarfe haben sie und welche Veränderungen wünschen sie sich? Wie lässt sich ein Klima der Weltoffenheit in der Region gestalten und welche politischen und institutionellen Voraussetzungen werden dafür gebraucht?

„Spitzenforschung funktioniert bei uns am Leibniz-Institut für Raumbezogne Sozialforschung auf Dauer nur mit Forschenden aus allen Teilen der Welt“, sagte Matthias Bernt zu Beginn in der Potsdamer Wissenschaftsetage. Dafür brauche es eine Haltung der Weltoffenheit, die im aktuellen politischen Klima zunehmend unter Druck gerate.

Das politische und gesellschaftliche Klima ist aber nicht der einzige Faktor für eine gelebte Weltoffenheit. In der Diskussion kam heraus, wie sich Weltoffenheit nicht nur in Brandenburg immer an direkter Interaktion vor Ort und in Wissensmilieus zeigt, oder eben nicht. Von ihren teils hoch prekären und volatilen Arbeitsbedingungen berichteten Valeria Lazarenko (zurzeit Georg Simmel Center for Urban Studies, Humboldt-Universität zu Berlin) und Tuba İnal Çekiç, die gegenwärtig am Soziologischen Institut der Technischen Universität Darmstadt arbeitet. Beide machten deutlich, dass es bisher kaum verlässlich funktionierende Anlaufstellen gibt. Oft hängt der Erfolg bei der Suche nach Ansprechpartnern von Zufall und Glück ab. Schlüsselinformationen etwa zu rechtlichen Fragen des Aufenthalts, zur Finanzierung oder zum Thema Wohnen bekomme man nicht selten durch bloßen Zufall in der Raucherpause.  Ein großes Problem seien auch die sehr eng gefassten Vorstellungen zur wissenschaftlichen Karriereentwicklung, die es für Forschende aus dem Ausland schwierig und unattraktiv machen, sich langfristig in Deutschland zu etablieren. Oft würden Forschende aus dem Ausland für Einzelprojekte als „Gastarbeiter“ eingebunden, aber nicht auf Dauer integriert und unterstützt.

Diese Erfahrungen hat man auch am IRS gemacht. „In Deutschland gibt es ein äußerst eng gestricktes Raster für internationale Kooperation, und wer aus diesem Raster herausfällt, sieht sich mit massiven Problemen konfrontiert“, sagt IRS-Nachwuchsgruppenleiterin Monika Motylińska, die unter anderem zur Baugeschichte Westafrikas forscht und mit dortigen Wissenschaftler*innen kooperiert. „Viele in der wissenschaftlichen Community, die über den ‚Globalen Norden‘ hinaus kooperieren, erleben Enttäuschungen und Dilemmata, die uns viel Zeit und Kraft kosten“, so Motylińska.

Die Regelungen des Reisekostenrechts seinen übertrieben eng und praxisfern, die Strukturen der Forschungsförderung zeigten Misstrauen gegenüber internationalen Partnern, und die restriktive Vergabe von Visa verhindere Austausch. Solche Probleme beeinträchtigen die Wettbewerbsfähigkeit der Wissenschaftsregion Berlin-Brandenburg und bewirken, dass ihre Potenziale nicht ausgeschöpft werden.

Das Regionalgespräch trug dazu bei, notwendige Schnittstellen in der Zusammenarbeit klarer zu definieren, Erfahrungen auszutauschen und konkrete Ideen für den zukünftigen Umgang mit einer global ausgerichteten Forschungslandschaft zu entwickeln. Im Ergebnis war man sich einig, dem Thema Weltoffenheit zum Beispiel innerhalb der Leibniz-Gemeinschaft ein größeres Gewicht zu geben.  


Beim 57. Brandenburger Regionalgespräch diskutieren:

- PD. Dr. Matthias Bernt, stellvertretender Direktor des IRS

- Dr. des. Paul Sprute, stellvertretend für Dr. Monika Motylińska, Leiterin der Forschungsgruppe „Geschichte der gebauten Umwelt“ des IRS

- Dr. Valeria Lazarenko, Georg Simmel Center for Urban Studies, Humboldt-Universität zu Berlin

- Dr. Tuba İnal Çekiç, The Center for Comparative Research on Democracy (CCRD), Humboldt-Universität zu Berlin

- Dr. Carolin Roeder, Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Potsdam, Beauftragte für den Aufbau des Ukraine-Zentrums in Frankfurt (Oder)

Zur Veranstaltung

Regionalgespräch
04. Dezember | 2024

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