31. Januar | 2026

Boden, Bauten, Grenzen. Die Materialität städtischer Ungleichheit seit 1900

Tagung und Call for Papers | Deadline: 31. Januar 2026

Städtische Ungleichheiten wurden in der Geschichte immer wieder in der gebauten Umwelt sichtbar, zugleich aber in Übergangszonen und Wahrnehmungen neu ausgehandelt. Die Tagung, die im November 2026 am IRS stattfindet, will diese materiellen und symbolischen Grenzziehungen in den Mittelpunkt rücken und fragen, wie politische Veränderungen, Eigentumsordnungen, soziale Dynamiken und Wissenspraktiken urbane Räume wie Villenviertel oder Arbeiterquartiere geprägt haben.

Boden, Bauten, Grenzen. Die Materialität städtischer Ungleichheit seit 1900

Ungleichheit ist kein abstraktes Konzept, sondern zeigt sich unübersehbar in der alltäglichen Lebenswelt. Besonders in Städten wird sie sichtbar, in Bauten, Grundstücken, Bodenqualitäten sowie den unterschiedlichen urbanen Infrastrukturen. Ungleichheit zeigt sich aber auch in den Übergängen, am sich verschiebenden Stadtrand, in den Kontrasten und in der Art, wie Quartiere zueinander in Beziehung gesetzt werden. Mauern und Zäune, die Art der Straßenzüge, Parzellierungen oder abrupte Brüche zwischen verschiedenen Quartieren prägen die Wahrnehmung ganzer Stadtteile. Zudem verweisen alltägliche materielle Zeichen – etwa Beleuchtung, Überwachungskameras, Müll, Leerstände oder die Instandhaltung von Gebäuden – auf soziale Ordnungen und symbolische Abgrenzungen. Sie markieren Sicherheit, Kontrolle oder den Verlust von beidem und schreiben Ungleichheiten damit selbst dort fort, wo keine architektonischen Grenzen sichtbar sind. Manche Unterschiede treten demnach offen im Stadtbild oder in Medienberichten hervor, andere bleiben hinter Fassaden verborgen und werden erst durch ihre Dokumentation in Karten, Plänen, Statistiken zu Einkommen, Häuserpreisen oder Kriminalität oder Verwaltungsschriftgut greifbar.

Solche Formen der Aufzeichnung und Wissenspraktiken halten Grenzziehungen fest, legitimieren sie und tragen sie weiter. Gleichzeitig existieren zwischen vermeintlich klaren Trennlinien vielfach Übergangszonen – liminale Räume, in denen sich soziale Differenzen zwar materiell niederschlagen, aber in ihrer Aushandlung und Sichtbarkeit instabil bleiben. Portierlogen, Hauseingänge, gemeinschaftlich genutzte Innenhöfe oder auch Flüchtlingsunterkünfte bilden solche Schwellenräume, in denen Nähe und Distanz, Inklusion und Exklusion alltäglich neu verhandelt werden. In Deutschland und Europa unterlagen urbane Ungleichheiten und Grenzziehungen einem starken Wandel. Kriegszerstörungen, politische Systemwechsel, Wirtschaftskrisen, Gentrifizierung, Nachverdichtungen oder unterschiedliche Formen von Migration (Vertreibung, Flucht etc.) veränderten die Materialität, Bewohnerschaft und Infrastrukturen der Städte. Soziale Ungleichheit entstand dabei aus jenem Zusammenspiel von Entscheidungen, Eingriffen und Deutungsmacht, durch das Stadtquartiere historisch als wertvoll, gefährdet oder problematisch markiert wurden. Die daraus entstehenden Stadtlandschaften sind somit verdichtete Resultate langfristiger Ungleichheitsprozesse.

Die Tagung, die im Rahmen des interdisziplinären und internationalen Forschungsprojekts „Where the Rich Live. Mapping Villa Neighborhoods and Cultures of Wealth in Germany's Long Twentieth Century (RichMap)“ veranstaltet wird, nimmt die Wechselwirkungen von sozialer Ungleichheit, Materialität und Grenzziehungen in den Blick und fragt in historischer Perspektive, welche langen Kontinuitäten und Brüche sich etwa bei Villen- oder Arbeitervierteln ausmachen lassen. Durch welche externen Faktoren veränderten sich die Werte von Grundstücken, Häusern oder die Infrastrukturen sowie die damit einhergehenden Grenzen im urbanen Raum? Wie prägten und prägen Boden, Eigentum und Bauten die Sichtbarkeit und Dauerhaftigkeit sozialer Differenz? Welche materiellen Marker strukturierten städtische Grenzen – von unscheinbaren Übergängen bis zu klaren Trennlinien? Und wie materialisierten sich diese Grenzziehungen von Ungleichheiten auch in Wissensformen wie Immobilienanzeigen, Karten und Statistiken?

Die Tagung richtet damit den Fokus auf die Stadt als Ganzes sowie auf ihre Ränder – auf marginalisierte Quartiere, exklusive Wohnlagen, liminale Räume ebenso wie auf die Übergänge, die diese Räume miteinander verbinden oder voneinander trennen. Ziel ist es, auf der einen Seite eine Brücke zwischen Armuts- und Reichtumsforschung zu schaffen und auf der anderen Seite Stadtgeschichte, Sozial- und Kulturgeschichte sowie Sozialwissenschaften und materielle Kulturforschung in den Dialog zu bringen. In diesem Zusammenspiel möchte die Tagung ein innovatives Feld der Ungleichheitsforschung eröffnen, das aktuelle gesellschaftliche Debatten über Eigentum, Wohnraum und soziale Differenz aufgreift und historisch vertieft. Deswegen laden wir Beiträge aus Geschichts-, Kultur- und Sozialwissenschaften ein, die Grenzziehungen und Materialitäten von Ungleichheit im städtischen Raum des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart zu untersuchen.

Mögliche Themenfelder
- Boden, Eigentum und Wert: Wie entstehen ökonomische Werte aus Materialitäten? Transformationen von „gutem“ und „schlechtem“ Boden, Aufwertung und Abwertung von Quartieren. Schaffung von teuren Wohnvierteln: Wie entstehen Viertel, die „gute Lage“ oder begehrter teurer Wohnraum gelten?
- Wandel im Kontext der Zäsuren seit 1900: Wie verändern Kriegen, politische Systemwechsel Wirtschaftskrisen oder Migration die Ungleichheiten im urbanen Raum?
- Grenzziehungen im Stadtraum: Territoriale, rechtliche und symbolische Markierungen sozialer Differenz – von Zäunen und Straßenzügen bis zu unscheinbaren Übergängen und liminalen Schwellenräumen wie Portierlogen, Hausdurchgängen oder Flüchtlingsunterkünften.
- Architekturen und Infrastrukturen der Ungleichheit: Wie schreiben sich Reichtum und Armut in die gebaute Umwelt ein? Welche Rolle spielen dabei Materialitäten wie Beleuchtung, Überwachung, Müll oder Leerstand?
- Materielle Kultur: Häuser, Gärten, Möbel und Objekte als Träger von Status, Distinktion und Ordnung.
- Kartierungen und Wissenspraktiken: Statistiken, Immobilienanzeigen, Karten und digitale Rekonstruktionen als Formen der Sichtbarmachung, Abgrenzung und Legitimation. Wie werden in diesen Medien Grenzen gezogen, sichtbar gemacht und wie unterschieden sie sich zu anderen Grenzziehungen?

Details zu Tagung und Beiträgen

Einsendungen bitte an: eva.gajek(at)leibniz-irs.de

Deadline für Abstracts: 31. Januar 2026

Datum der Tagung
12. bis 13. November 2026

Ort der Tagung
Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS)
Flakenstraße 29-31
15537 Erkner