Hauptinhalt
„Ohne Auto geht nix“? Eine Untersuchung zur Mobilitäts- und Logistikwende im suburbanen Raum
IRS Dialog 1 | 2022
Seit Jahren steigt das private Paketaufkommen in der Bundesrepublik. Mit Beginn der Corona-Pandemie und der Zunahme des Online-Shoppings hat sich dieser Trend weiter verschärft. Heute werden mehr als doppelt so viele Pakete an Privathaushalte geliefert wie vor 15 Jahren (BIEK 2021). Was für den Einzelnen ein Plus an Komfort bedeutet, ist aus ökologischer Sicht problematisch, denn die häufig eingesetzten Dieseltransporter produzieren klimaschädliches Kohlendioxid und Feinstaub (Sesam 2020). Hinzu kommen Verkehrsgefahren durch parkende Pakettransporter und Belastungen durch Geräuschemissionen. Der Lieferverkehr verstärkt das Verkehrsaufkommen, welches im Umland von Großstädten und Metropolen oft ohnehin schon sehr hoch ist (UBA 2021b, 6). Im suburbanen Raum gelten für die Lieferlogistik und den Verkehr aufgrund der geringeren Bewohnerdichte, der Bedeutung des Arbeitspendelns und der Rolle als Transitraum besondere Bedingungen. Diese werden jedoch in der Forschung bislang nur wenig thematisiert. Während es viele Arbeiten zur Verkehrs- und Logistikwende in Metropolen und teils auch für das Land gibt, bleibt der suburbane Raum in der sozialwissenschaftlichen Mobilitäts- und Logistikforschung unterbelichtet. Diese Studie setzt hier an und fragt danach, wie nachhaltig das Logistik- und Verkehrsverhalten der Bewohner*innen im suburbanen Raum heute ist. Wie intensiv nutzen die Bewohner*innen Paketdienste, welche Rolle spielt das Auto im Vergleich zu Bus, Bahn und Aktivverkehr?
Diese Fragen behandeln wir am Beispiel des Berliner Vorortes Erkner, der in vielen Merkmalen paradigmatisch für den suburbanen Raum steht. Erkner ist geprägt von Einfamilienhausgebieten und Wohnsiedlungen in einer landschaftlich attraktiven Lage. Das Arbeitspendeln in das nahegelegene Berlin spielt eine große Rolle. Um die Situation in Erkner besser einordnen zu können, dient uns ein urbanes Wohnquartier in Berlin-Charlottenburg – die sogenannte Mierendorff-INSEL – als empirischer Kontrastfall. In Erkner und im Mierendorff-Kiez haben wir im Winter und Frühjahr 2021 repräsentative Haushaltsbefragungen sowie Interviews mit Expert*innen durchgeführt. Diese bilden die empirische Grundlage für die vorliegende Studie und sollen es erlauben, die sozial-räumlichen Bedingungen für den Wandel des Logistik- und Mobilitätsverhaltens zu untersuchen (vgl. Bates et al. 2017; Akyelkin et al. 2018).
Das verweist auf ein weiteres Anliegen, das über eine reine Bestandsaufnahme hinausgeht. Uns interessiert auch, wie ein Wandel hin zu nachhaltigen Mobilitäts- und Logistikformen gelingen kann. Wie ist die soziale Akzeptanz für neuartige Lösungen wie zum Beispiel anbieteroffene Paketstationen als Alternative zur Haustürzustellung und von Lastenrädern als alternatives Transportmittel zum Auto? Unter welchen Umständen sind Menschen zur Änderung ihrer Logistik- und Mobilitätspraktiken bereit? Die Untersuchung dieser Fragen ist wichtig, weil es bei der Wende zu nachhaltigen Verkehrs- und Logistikformen nicht nur um technische Lösungen und infrastrukturelle Veränderungen geht, sondern insbesondere auch um die Überwindung der „Hemmnisse in den Köpfen“ (UBA 2021b, 10). Die Studie flankiert die praktische Erprobung von anbieteroffenen Paketstationen – das so genannte Flex-Q-Hub – und Lastenrad-Sharing, welche im Rahmen des Forschungsprojekts StadtQuartier 4.1 im Mierendorff-Kiez durchgeführt wird. Mit Blick auf Erkner stellt sich die Frage, ob die im urbanen Raum erprobten Lösungen in einem weiteren Schritt auch im suburbanen Umfeld eingeführt werden können.