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Klimapolitische Steuerung: (Nicht nur) auf die Bundesländer kommt es an
Auf welcher Ebene findet Klimapolitik statt? Sind Städte die Treiber oder setzen sie nur Vorgaben um, die auf höherer Ebene beschlossen werden? Tatsächlich wirkt eine Kombination beider Mechanismen – und vieler weiterer, die zwischen diesen Extrempolen liegen. Neben der EU- und der Bundesebene sind in Deutschland besonders die Bundesländer einflussreiche Akteure, die vielfältige – und unterschiedlich ambitionierte – Antworten auf den Klimawandel finden. Städte stehen klimapolitisch wiederum mit allen Ebenen, von regional bis europäisch, in Kontakt.
Wie viele andere politische Fragen auch, wird die Klimapolitik auf unterschiedlichen territorialen und administrativen Ebenen verhandelt: auf der internationalen (UN), der transnationalen (EU), der nationalen, der subnationalen (in Deutschland: Bundesländer), regionalen und lokalen bzw. kommunalen Ebene. In der Forschung wird der Begriff „Mulitlevel Governance“ verwendet, um Steuerungsprozesse zu beschreiben, die über verschiedene Ebenen hinweg, also im „Mehrebenensystem“ organisiert werden. Wie funktioniert diese Steuerung im Feld der Klimapolitik, und welche Ergebnisse produziert sie?
Steuerung im Mehrebenensystem: Kooperation gewinnt
Im Forschungsbericht „The Multi-level Context for Local Climate Governance in Germany” benennen Peter Eckersley, Kristine Kern, Wolfgang Haupt und Hannah Müller drei Grundtypen der Multilevel Governance. Im Fall von „Hierarchical Governance“ werden Ziele und Handlungsverpflichtungen von oben nach unten durchgereicht. Jede Ebene muss der nächst höher liegenden folgen und kann der darunter liegenden Vorgaben machen. Die Governance-Forschung hat gezeigt, dass diese vor allem für zentralistische Staaten typische Steuerungsform zwar effizient anmutet, aber bei komplexen Problemen wie der Klimapolitik wenig Erfolg verspricht. Es fehlen die für gemeinsames Lernen nötigen Austauschbeziehungen, es fehlt die Sensibilität für unterschiedliche Bedürfnisse, Bedingungen und Fähigkeiten. Im Fall von „Horizontal Governance“ vernetzen sich Akteure einer Ebene, zum Beispiel Regionen oder Städte, um voneinander zu lernen und miteinander zu kooperieren. Diese Steuerungsform ist anspruchsvoll. Besonders gut ausgestattete und vernetzte Akteure bedienen sich ihrer. Für die breite Masse der Gebietskörperschaften fehlt jedoch sowohl die Verbindlichkeit als auch die nötige Mittelausstattung. Es bleibt als dritte Option die „Vertical Governance“, bei der höhere Ebenen zwar Vorgaben machen, bei der es aber (formelle wie auch informelle) Austausch- und Aushandlungsbeziehungen in jede Richtung gibt, bei der Ebenen übersprungen und auch nicht- oder halbstaatliche Akteure (Verbände, NGOs) einbezogen werden können. Die Forschung zu Klima-Governance befindet diese auf den ersten Blick kompliziert wirkende Steuerungsform als die wirkmächtigste der drei.
In der Praxis finden sich zahlreiche Beispiele für Vertical Governance. Gerade auf der EU-Ebene herrscht eine Kombination aus hierarchischen und kooperativen Elementen vor. Verbindliche Vorgaben, wie das im Jahr 2020 neu gefasste Reduktionsziel der EU für Treibhausgasemissionen, das eine Verringerung um 55 % bis 2030 (gegenüber dem Stand von 1990) vorsieht, sind das Ergebnis von Aushandlungsprozessen unter und mit den Mitgliedsstaaten. Verschiedene Initiativen dienen der Umsetzung der Ziele, so etwa das 2005 eingeführte Handelssystem für Emissionsrechte in der Energieerzeugung, der Großindustrie und im innereuropäischen Flugverkehr. Für weitere Branchen wie etwa Verkehr, Bau und Landwirtschaft wurden durch die EU ebenfalls Vorgaben formuliert und mit Richtlinien, wie etwa der Energieeffizienzrichtlinie oder der Richtlinie über die Gesamtenergieeffizienz von Gebäuden untersetzt, die von den Mitgliedsstaaten umzusetzen sind.
Die EU arbeitet in ihrer Klimapolitik auch in netzwerkartigen Strukturen direkt mit Städten und Regionen zusammen, wie Kristine Kern in ihrem Artikel „Cities as Leaders in EU Multilevel Climate Governance“ beschreibt. Als Beispiel nennt sie den „Covenant of Mayors“, eine Initiative der EU-Kommission, die städtischen, aber auch ländlichen Kommunen zahlreiche materielle und immaterielle Unterstützungen zukommen lässt, wenn sie sich auf klimapolitische Ziele verbindlich festlegen, entsprechende Strategien entwickeln und Berichtspflichten akzeptieren. Zugleich helfen die beteiligten Gemeinden und Regionen sich gegenseitig und treiben eine gemeinsame Agenda voran. Die EU unterstützt lokale Gebietskörperschaften auch durch die Bereitstellung von Forschungsdaten über die Gemeinsame Forschungsstelle der EU-Kommission und die Europäische Umweltagentur. Kommunen können sich darüber hinaus zertifizieren lassen, etwa mit dem European Energy Award oder dem European Climate Adaptation Award – Zertifizierungen, die von mehreren deutschen Bundesländern finanziell gefördert werden.
Auch im Verhältnis zwischen dem Bund und den deutschen Bundesländern haben Forschende eine große Bedeutung kooperativer Ansätze ausgemacht, was sie mit dem relativ starken Einfluss der Länder in der Bundespolitik (etwa über den Bundesrat) erklären. Der oft als behäbig kritisierte Föderalismus erlaubt sowohl kooperative Politikformulierung als auch Wettbewerb und das Experimentieren mit verschiedenen Ansätzen auf Landes- und kommunaler Ebene. Im Rahmen der „Kommunalrichtlinie“ stellt der Bund erhebliche Finanzmittel für den Klimaschutz in Kommunen zur Verfügung, mit dem „Masterplan 100 % Klimaschutz“ werden besonders ehrgeizige Kommunen gefördert. Dies dient auch der Vernetzung und dem Lernen der Kommunen untereinander. Zugleich setzt die Bundesebene auch verbindliche Ziele, zuletzt mit dem Klimaschutzgesetz von 2019, das eine Reduktion von Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 % (gegenüber 1990) festschreibt, und dem „Klimaschutzplan 2050“, der branchenspezifische Ziele formuliert. Wesentliche Impulse setzte das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2000, das zunächst durch eine garantierte Einspeisevergütung einen Boom erneuerbarer Energien auslöste, im Lauf der Zeit aber so verändert und durch andere Regelungen ergänzt wurde, dass besonders der Ausbau der Windenergie zuletzt fast zum Erliegen kam. Die nach dem Vorbild der „Energiewende“ benannte „Verkehrswende“ hatte ihren stärksten Effekt bislang im Bereich der individuellen Elektromobilität – durch Kaufprämien und den Ausbau der Ladeinfrastruktur.
Starke Unterschiede auf Landesebene
Die Ebene der Bundesländer haben die Forschenden als Quelle starker Differenzierung ausgemacht. Die klimapolitischen Ansätze der Länder unterscheiden sich deutlich, aus mehreren Gründen. Durch die Hinwendung zu regenerativen Energien wie Wind und Sonne gewinnen naturräumliche Besonderheiten, Siedlungsstruktur und Flächenverfügbarkeit an Bedeutung. Auch die Wirtschaftsstruktur in Verbindung mit dem traditionellen Energiemix wirken sich aus. Zugleich haben die Länder eine besondere Verbindung zu Städten und Kommunen: Zwar garantieren Grundgesetz und Landesverfassungen die kommunale Selbstverwaltung. Die Länder haben jedoch die Aufsicht über die Kommunen und können ihnen neue Pflichtaufgaben zuweisen, wobei sie nach dem Konnexitätsprinzip verpflichtet sind, ihnen in diesem Fall auch entsprechende Finanzmittel zuzuweisen. Zugleich haben alle 16 Länder Energieagenturen eingerichtet, um das Lernen und die Vernetzung der Kommunen bei energiepolitischen Fragen zu unterstützen. So beeinflussen die Länder lokale Klimastrategien. In ihrem Forschungsbericht identifizieren Kern, Eckersley, Haupt und Müller fünf klimapolitische Grundtypen, in welche sich die Länder einteilen lassen.
Zu den Kohleländern gehören Nordrhein-Westfalen, das Saarland, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Sachsen, deren Wirtschaftsstruktur und Energieproduktion deutlich von Abbau und Nutzung von Stein- und Braunkohle geprägt sind bzw. waren. Sie haben tendenziell höhere Treibhausgasemissionen pro Kopf als andere Länder, wozu jedoch auch der Umstand beiträgt, dass Emissionen dort gezählt werden, wo sie anfallen, und nicht dort, wo etwa Energie konsumiert wird. Die fünf Länder waren und sind Netto-Energieexporteure. Obwohl alle Kohleländer Klimaschutzinitiativen vorantreiben, bleibt ihr Ambitionsniveau insgesamt hinter dem anderer Länder wie auch der Bundesebene zurück. Zwar verabschiedete NRW als erstes Bundesland überhaupt (und als einziges Kohleland) ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Reduktionszielen für Treibhausgasemissionen und gründete als erstes Land in den 1990er Jahren eine Energieagentur. Auch beteiligt es sich als einziges Kohleland an der Under2 Coalition, einem globalen Netzwerk von Regionen, die sich für den Klimaschutz einsetzen. Jedoch war mit dem Wechsel von einer rot-grünen zu einer schwarz-gelben Regierungskoalition im Jahr 2017 ein partieller Rückbau klimapolitischer Strukturen und ein Fokuswechsel von Klimaschutz zu Klimaanpassung zu beobachten, etwa bei der Förderung kommunaler Aktivitäten wie Zertifizierungen. Brandenburg und Sachsen-Anhalt stellen den Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung sowie Initiativen zum Ausbau klimafreundlicher Industriezweige in den Mittelpunkt ihrer Klimapolitik. In seiner Energiestrategie aus dem Jahr 2012 formulierte Brandenburg beispielsweise das Ziel, den regenerativen Anteil der Energieerzeugung bis 2030 auf 32 % anzuheben, insbesondere durch die Widmung von 2 % der Landesfläche für die Windenergieerzeugung.
Als Atom- und Solarenergieländer deckten Bayern und Baden-Württemberg traditionell einen großen Teil ihres Energiebedarfs aus Kernenergie und waren in Folge des Beschlusses zum Atomausstieg 2011 gezwungen, sich umzuorientieren. Dies geschah in erster Linie durch einen massiven Ausbau der Solarenergie, der allerdings zu einem Großteil privat bzw. durch die EEG-Umlage finanziert wurde. Beide Länder haben früh Umweltpolitik (1970er-Jahre) und Klimapolitik (1990er-Jahre) institutionell verankert. Baden-Württemberg verabschiedete nach NRW das zweite Landes-Klimagesetz mit verbindlichen Reduktionszielen, Bayern verabschiedete ein entsprechendes Gesetz 2020. Beide Länder gehören der Under2 Coalition an, in der Baden-Württemberg eine Führungsrolle einnimmt. Besonders ausgeprägt ist in Baden-Württemberg die Unterstützung (etwa durch regionale Energieagenturen), finanzielle Förderung und Verpflichtung der Kommunen (über ein verbindliches Abkommen mit Kommunalverbänden) im Sinn eines verstärkten lokalen Klimaschutzes. Beim Ausbau der Windenergie verhalten beide Länder sich dagegen zurückhaltender als andere Flächenländer.
Die Windenergieländer Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern verfügen über günstige naturräumliche Gegebenheiten für Windkraftanlagen und wandelten sich im Zuge der Energiewende von Energie importierenden Ländern mit einem hohen Anteil von Nuklearenergie am Energiemix zu den führenden Produzenten von Windenergie, sowohl an Land als auch offshore. Regenerative Energien wurden zu wichtigen Wirtschaftsfaktoren. Zwei Länder, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern sind heute Netto-Energieexporteure. Alle drei Länder haben sich auf Reduktionen ihrer Treibhausgasemissionen verpflichtet, wobei die Vorgaben in den beiden westlichen Bundesländern ehrgeiziger und verbindlicher (durch Klimaschutzgesetze) ausfallen als in Mecklenburg-Vorpommern. Schleswig-Holstein verpflichtet
seine Kommunen zu Klimaschutz. Niedersachens verfügt zwar bundesweit über die größte regenerative Energieindustrie, subventioniert aber auch weiterhin in großem Umfang fossile Energieträger.
Die Energieimportländer Hessen, Rheinland-Pfalz und Thüringen verfügten in der Vergangenheit nicht über große fossile oder Kernenergiesektoren und werden auf absehbare Zeit von Energieimporten abhängig bleiben, da ihnen die räumlichen Voraussetzungen für bedarfsdeckende regenerative Energieerzeugung fehlen. Dennoch sind die Länder klimapolitisch aktiv: Alle drei gehören der Under2 Coalition an. Hessen verfügt seit 2008 über eine integrierte Nachhaltigkeitsstrategie und Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen, jedoch nicht über ein Klimaschutzgesetz. Das Land fördert sehr stark kommunale Aktivitäten im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative („Kommunalrichtlinie“). Rheinland-Pfalz hat sich gesetzlich auf Reduktionsziele verpflichtet. Bei der Umsetzung der Ziele liegt der Fokus darauf, die ungewöhnlich vielen sehr kleinen Kommunen des Landes bei klimapolitischer Kooperation zu unterstützen. Thüringen reduzierte seine Treibhausgasemissionen von 1990 bis 2020 um 61 % (der größte Rückgang aller Bundesländer) und deckt heute einen großen Teil seines Energiebedarfs aus regenerativen Quellen. Als einziges ostdeutsches Bundesland außerhalb Berlins verabschiedete es 2018 ein Klimaschutzgesetz mit verbindlichen Reduktionszielen.
Die Stadtstaaten Berlin, Hamburg und Bremen verfügen nicht über die Voraussetzungen für großflächige regenerative Energieerzeugung. Sie sind von Energieimporten sowie fossiler Energieerzeugung im eigenen Territorium abhängig und decken nach wie vor den Großteil ihres Energiebedarfs aus fossilen Quellen. Zwar haben sich alle drei Länder gesetzlich auf anspruchsvolle Ziele zur Reduktion von Treibhausgasemissionen verpflichtet, jedoch verfügen sie nur auf der Nachfrageseite (etwa im Verkehr sowie bei Bau und Gebäudesanierung) über günstige Voraussetzungen, diese Ziele einzuhalten. Klimaschutzmaßnahmen treiben sie entsprechend überwiegend im Rahmen ihrer jeweiligen Stadtentwicklungs- und Planungspolitiken voran. In größerem Umfang als die meisten Flächenländer betreiben die Stadtstaaten außerdem eine ausgeprägte Klimaanpassungspolitik, welche die hohe Gefährdung der großstädtischen Bevölkerung durch Hitzewellen und Starkregenereignisse reflektiert.
Diese differenzierte Aufarbeitung klimapolitischer Steuerung im Mehrebenensystem zeigt, dass es in der Klimapolitik zwar unterschiedliche Geschwindigkeiten und Ambitionsniveaus gibt, dass es für substanzielle Fortschritte aber auf die Wechselwirkungen der verschiedenen Ebenen und die Beziehungen zwischen Gebietseinheiten ankommt. Städte und Stadtgesellschaften können sichtbar auf klimapolitische Fortschritte drängen, als Pioniere nachhaltige Bau-, Verkehrs und (zum Teil) Energieversorgungslösungen erproben, und die Anpassung an den Klimawandel vorantreiben. Im Rahmen der Energiewende werden sie jedoch eher noch abhängiger von ihrem regionalen Umfeld und großräumigen Versorgungsnetzen. Flächenländer stehen beim Ausbau erneuerbarer Energien und grüner Industrien vor teils enormen Herausforderungen, weisen aber auch enorme Potenziale auf. Kleinstädte und ländliche Gemeinden benötigen hingegen Förderung von höheren Ebenen. Für sie bietet regionale Vernetzung eine Chance handlungsfähiger zu werden. Regionen sollten es, wie Andreas Röhring und Ludger Gailing in ihrem Policy Paper „Energiewende dezentral!“ schreiben, vermeiden, lediglich den Platz für flächenintensive Solar- und Windkraftanlagen bereitzustellen („Installationslandschaften“). Sie sollten sich stattdessen als Handlungsräume begreifen, die auf vielfältige Arten von der Transformation profitieren. Die Klimapolitik auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene steht vor dem Balanceakt, ehrgeizige Ziele und Anreize vorzugeben, auf Unterstützungsbedarfe einzugehen, vernetzte Lösungen zu entwickeln und die Ehrgeizigsten nicht auszubremsen.