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Debatte: Sind soziale Innovationen die Antwort auf gesellschaftliche Krisen?
Krisen legen typischerweise strukturelle Probleme offen, die oft schon lange existiert haben: unsolide Geschäftsmodelle etwa, die politische Verdrängung sozialer Probleme oder umweltzerstörerische Produktions- und Konsumpraktiken. Zugleich gelten Krisen auch als Gelegenheiten, neuen Ansätzen zum Durchbruch zu verhelfen: „Never let a good crisis go to waste“ lautet ein Zitat, das, wie so viele andere, Winston Churchill zugeschrieben wird. Befördern Krisen Innovation? Und, umgekehrt gefragt, sind Innovationen die Antwort auf Zustände, die strukturell nicht nachhaltig sind und somit wiederholt Krisen produzieren? Wenn in den Sozialwissenschaften über innovative Auswege aus krisenhaften Zuständen gesprochen wird, sind damit nicht in erster Linie rein technische oder rein wirtschaftliche Innovationen gemeint. Schließlich ist offensichtlich, dass eine sozial-ökologische Transformation als Antwort auf etwa die Klimakrise nicht allein durch technisch-ökonomische Innovationen erreicht werden kann, sondern dass es neuer sozialer Praktiken bedarf, geänderter Mobilitätsgewohnheiten etwa. Im IRS wird intensiv zu sozialen Innovationen geforscht, doch nicht alle Forschenden beurteilen das Konzept der sozialen Innovation gleich. Zwei IRS-Forscher, der Politikwissenschaftler Timmo Krüger und der Soziologe Ralph Richter beziehen hier Position in der Debatte um soziale Innovationen.
Timmo Krüger
Der Innovationsimperativ ist Teil des Problems
Obwohl die Diagnose einer tiefen sozial-ökologischen Krise der Gesellschaft mittlerweile weithin geteilt wird, verharren Lösungsansätze in konventionellem wirtschaftspolitischem Denken, das Wachstum – nunmehr in Form von „grünem“ Wachstum – priorisiert. Tatsächlich führten aber bisher nicht grüne Wachstumsstrategien, sondern nur Wirtschaftseinbrüche (ausgelöst durch die Finanz- und Wirtschaftskrise 2007 bis 2009 und aktuell durch die COVID-19-Pandemie) zu absoluten Reduktionen globaler Emissionen. Ab 2010 stiegen die Emissionen rasch wieder, und ohne weitreichende Maßnahmen wird das auch nach der COVID-19-Pandemie wieder der Fall sein.
Da liegt der Ruf nach sozialen Innovationen nahe. Und tatsächlich hat die Popularität des Konzepts die Aufmerksamkeit für die komplexen sozialen Erfordernisse von Transformationsprozessen erhöht und zu einer Aufwertung der wichtigen Arbeit von zivilgesellschaftlichen Grassroot-Initiativen beigetragen. Aus der Postwachstumsperspektive, aus der ich argumentiere, bringt das Konzept aber einige problematische Aspekte mit sich. Dabei steht außer Frage, dass unter dem Schlagwort der sozialen Innovation auch gute Forschung und emanzipatorische Projekte durchgeführt wurden. Insofern zielt meine Kritik nicht auf die tatsächlich gelebten konkreten Projekte, sondern auf den Innovationsimperativ, der mit dem Konzept der sozialen Innovation reproduziert wird.
Im Zentrum von Degrowth steht die Forderung einer demokratisch kontrollierten, drastischen Reduktion des Ressourcenverbrauchs und der Treibhausgasemissionen, um den Zielen der sozialen und ökologischen Gerechtigkeit (insbesondere auf globaler Ebene) näher zu kommen. Eine entsprechend drastische Reduktion des Verbrauchs von Energie, Rohstoffen und Land ist – in der gebotenen Dringlichkeit – nur durch eine verringerte Produktion und Konsumtion von ressourcen- und emissionsintensiven Gütern und Dienstleistungen erreichbar. Das Konzept sozialer Innovationen ist aus vier Gründen nicht mit dieser Perspektive vereinbar.
Es unterstellt erstens, dass stets die vermeintlichen oder tatsächlichen Neuerungen von sozialen Praktiken und Initiativen den Ausschlag für sozial-ökologische Transformationen geben. Übersehen wird dabei mitunter, dass das Transformationspotenzial bestimmter Praktiken und Initiativen eventuell auf ganz anderen Ebenen zu finden sind – beispielsweise in Erfahrungen von Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit. Darüber hinaus steigert die Innovationserwartung das Prinzip der permanenten Aktivierung von noch nicht gänzlich ausgeschöpften physischen, sozialen und kulturellen Energiequellen. Ganz praktisch wirkt sich das beispielsweise auf Kriterien der Vergabe von Fördermitteln aus. Der durch Fördermittel-Ausschreibungen erzeugte Druck zur permanenten Innovation und zur Projektförmigkeit stellt ein Hindernis für die angestrebte Verstetigung von nicht-marktförmig organisierter Arbeit dar. Er befördert die enge Taktung von Deadlines, die Verkürzung von Planungshorizonten, aber auch die Simulation von Innovationen.
2012 wurde in Leipzig die Reparatur-Initiative „Café kaputt“ gegründet. Im Regelbetrieb reparieren dort handwerklich versierte Ehrenamtliche gemeinsam mit Besucherinnen und Besuchern mitgebrachte defekte Gegenstände. In den Reparatursprechstunden (auf Spendenbasis) steht – neben der Ermöglichung einer langlebigen Nutzung von Gegenständen – das gemeinsame Erwerben von Reparatur-Fähigkeiten im Fokus. Darüber hinaus ist das „Café kaputt“ ein Ort des Austausches über Themen wie Wegwerfgesellschaft und Postwachstum, an dem auch Bildungsprojekte durchgeführt werden. In den ersten Jahren stellte der starke Fokus auf Innovationen in Ausschreibungen wie dem Innovationspreis Weiterbildung des Freistaates Sachsen für das Projekt noch kein Hindernis dar. Im Gegenteil, die Idee der Repaircafés kam gerade erst aus den Niederlanden nach Deutschland, sodass zu Beginn viele Finanzierungsmöglichkeiten offenstanden. Allerdings wird der Innovationsdruck für das „Café kaputt“ zunehmend zum Problem. Es wird immer schwieriger, den Regelbetrieb zu finanzieren. Für neue Angebote (wie zusätzliche Bildungsprojekte) können zwar weiterhin Fördermittel akquiriert werden, aber weder für die Entlohnung von Verwaltungs- und Koordinationsaufgaben noch für Miete oder verschlissene Werkzeuge.
Das Konzept der sozialen Innovation hat, zweitens, eine „harmonische“ Schlagseite. Unterbelichtet bleiben Konflikte und Machtfragen, die in erster Linie nicht in Bezug auf Innovationen, sondern in Bezug auf Exnovationen ausgetragen werden. „Exnovation“ bezeichnet die intendierte Eliminierung (bzw. Rückbau) von Praktiken, Produkten, Technologien und Infrastrukturen. Prozesse der Exnovation gehen nahezu zwangsläufig mit Konflikten einher. Schließlich haben diejenigen, welche die zur Eliminierung auserkorenen Elemente produzieren oder nutzen, in der Regel ein Interesse an der Fortschreibung ihrer Produktions- und Konsummuster. Es ist jedoch offensichtlich, dass in einer ambitionierten sozial-ökologischen Transformation nicht einfach neue, innovative Praktiken, Produkte, Technologien und Infrastrukturen hinzugefügt werden können, ohne die bestehenden anzutasten.
Dies zeigt sich beispielsweise im Fall der Mobilität. Verkehr ist der einzige Sektor in Deutschland, in dem im Vergleich zu 1990 die Treibhausgasemissionen nicht zurückgegangen, sondern weiter angestiegen sind. Hier liegen momentan große Hoffnungen auf technischen Innovationen wie Elektromobilität, aber auch auf sozialen Innovationen wie Car-Sharing. Der entscheidende Hebel, um Ressourcenverbrauch und Treibhausgasemissionen in der geforderten Kürze der Zeit drastisch zu senken, wäre aber eine zumindest teilweise Abschaffung von Flugreisen und motorisiertem Individualverkehr – und dazu tragen weder Elektromobilität noch Car-Sharing bei. Eine Studie vom Öko-Institut, dem Frankfurter Institut für sozial-ökologische Forschung und car2go konstatiert sogar, dass es durch das Angebot von car2go zu einer Erhöhung des Pkw-Bestandes (da weniger Autos abgeschafft als durch car2go bereitgestellt wurden) und zu einer Erhöhung der verkehrsbedingten Treibhausgasemissionen (durch mehr Autofahrten) kam.
Das Konzept der sozialen Innovation favorisiert, drittens, die schrittweise Optimierung bestehender Strukturen gegenüber transformativen Ansätzen, die auf einen Bruch mit den hegemonialen Strukturen zielen. Die Praxen und Strategien von Akteuren gelten dann als transformativ, wenn sie sich nicht mit der Einrichtung einer Nische begnügen, sondern sich in politischen Auseinandersetzungen positionieren, um zur Transformation gesellschaftlicher Leitbilder, Normen, Institutionen und Infrastrukturen beizutragen. Aber nur wenige Initiativen, die gemeinhin als sozial-innovativ gelten, haben einen transformativen Anspruch in diesem Sinne. Sie springen in die Bresche, wenn traditionelle Formen wirtschaftlichen und staatlichen Handelns keine adäquaten Lösungen für soziale und ökologische Probleme bieten. Dabei übernehmen sie gewissermaßen Reparaturfunktionen, ohne das gesellschaftliche Gefüge grundlegend zu verändern. Das ist kein Zufall, basiert das Konzept der sozialen Innovation doch auf genau den Grundprinzipien, die aus der Sicht von Degrowth überhaupt erst in die sozial-ökologische Krise moderner Gesellschaften geführt haben: der modernisierungstheoretischen Idee nämlich, dass Wachstum und Beschleunigung gesellschaftlichen Fortschritt bringen.
Auch für das „Café kaputt“ wird es zunehmend zur Herausforderung, dem eigenen transformativen Anspruch gerecht zu werden, weil es sich den Förderausschreibungen anpassen muss. Externe Personen schlagen regelmäßig vor, man könne ein Sozialunternehmen gründen und die eigenen Angebote so organisieren, dass sie Gewinne generieren. Oder man könne einen wirtschaftlichen Betrieb nebenbei laufen lassen (naheliegend sei ein „normales“ Café), der die gemeinnützigen Aktivitäten querfinanziere. Diese Optionen lehnen die Betreiberinnen und Betreiber des Café kaputt ab, weil Reparatur-Cafés Räume jenseits der Markt- und Tauschlogik darstellen. Daran zu rütteln hätte nicht nur zur Folge, dass man die Teilhabe von Menschen mit geringem Einkommen erschweren würde. Man wäre auch gezwungen, das Projekt aus betriebswirtschaftlicher Perspektive zu denken und weiterzuentwickeln. Das würde den Charakter des Cafés stark verändern und zu einem weitgehenden Verlust der Transformationskraft führen.
Der Fokus auf Innovationen verstellt, viertens, den Blick dafür, dass (lokal wie global betrachtet) oftmals gerade sogenannte traditionelle Lebensstile tendenziell postwachstumskompatibel sind. Traditionelle Lebensweisen sollte man nicht romantisieren oder über ihnen inhärente Ungerechtigkeiten – beispielsweise in Bezug auf Geschlechterfragen – hinwegsehen. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, den Fokus stärker auf die vorhandenen (teilweise aber auch bereits verloren gegangenen) marginalisierten, randständigen, vermeintlich überholten oder schlicht wenig beachteten sozialen Welten zu legen, die sich gerade nicht durch ihre Innovationskraft, sondern durch ihre Immobilität, Unproduktivität, Konvivalität und Kontemplation auszeichnen.
Werden politische und soziokulturelle Initiativen in der Regel nahezu ausschließlich durch eine dynamische, hoch mobile, gut vernetzte, akademische Klientel getragen, so ist das Spektrum im „Café kaputt“ heterogener: Dessen Ehrenamtliche stammen aus ganz unterschiedlichen sozialen Milieus. Hier übernehmen auch Menschen Aufgaben und Funktionen, die nicht unbedingt den Habitus von Trendsettern aus sogenannten Leitmilieus verkörpern. Personen, die es vielleicht eher nicht gewohnt sind, Ämter zu bekleiden, sich öffentlich zu positionieren, Networking zu betreiben oder sich international auszutauschen, bringen sich mit ihrer handwerklichen Expertise und ihrer Affinität zum Reparieren und Selbermachen ein. Gerade weil sie – beispielsweise im
Vergleich zu Studierenden, die im „Café kaputt“ selbstverständlich auch vertreten sind – weniger mobil und in weniger Aktivitäten und Netzwerke eingebunden sind, spielen sie eine tragende Rolle für das Leipziger Repaircafé. Sie ziehen nicht um, sie widmen sich nicht nach kurzer Zeit schon dem nächsten Projekt und sie sind auch nicht viele Wochen oder Monate im Jahr außer Landes. Sie identifizieren sich mit dem „Café kaputt“ und sind bereit, langfristig Verantwortung zu übernehmen.
Ralph Richter
Soziale Innovationen stehen für inkrementelle und transformative Veränderungen
Ich habe mich bisher nicht in der Rolle eines Verteidigers des Konzeptes der sozialen Innovation gesehen. Ich verwende das Konzept in Projekten und Publikationen, weil er sich gut für die Analyse von inkrementellen und disruptiven Veränderungsprozessen eignet. Zugleich erkenne ich auch einige problematische Aspekte – doch dazu später mehr. Mit dem Begriff „soziale Innovation“ können verschiedene Dinge gemeint sein: Im Sinn eines beobachtbaren Phänomens bezeichnet er neuartige Denkweisen und Praktiken, die Menschen vorantreiben und sich aneignen, um damit Probleme besser zu lösen und Bedürfnisse besser zu befriedigen, als es zuvor möglich war. Beispiele sind gendergerechte Sprache, Online-Videokonferenzen oder das Teilen („Sharing“) von Verkehrsmitteln. Im Sinn eines Forschungskonzepts (soziale Innovationsforschung) steht er für die Analyse ebensolcher Phänomene als Ausdruck gesellschaftlicher Transformationsprozesse.
Schließlich gibt es noch eine dritte, normativ aufgeladene Bedeutung. Aus dieser Sicht sind soziale Innovationen erstrebenswerte Entwicklungen, die zur Selbstermächtigung sozialer Gruppen beitragen und damit ein Schlüssel zu einer gerechten, demokratischen Gesellschaft sind. Allerdings droht durch eine solche Setzung die analytische Distanz zum empirischen Phänomen verloren zu gehen. Auch erschwert die Diffusion des Begriffs in den politischen Raum die wissenschaftliche Arbeit damit. Zwar hat dieses Mainstreaming teils auch positive Effekte, etwa wenn die EU-Forschungsförderung von ihrer Technikzentrierung abrückt und sich sozialwissenschaftlicher Forschung zuwendet. Sie führt aber auch zu einer Abnutzung und Verwässerung des Konzeptes.
In Timmo Krügers Debattenbeitrag heißt es, das Konzept sozialer Innovationen sei dem Wachstumsparadigma verhaftet. Wandel gebe es darin nur durch Neuerung, was andere Formen des Wandels wie Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit übergehe. Dieses Argument kann ich insofern nachvollziehen, als die häufige Verwendung des Innovationsbegriffs in Politik und Förderpraxis seinen Bedeutungsgehalt verwischt und es dann teils nicht mehr um wirkliche Veränderung, sondern um das permanente Hervorbringen von vermeintlich Neuem geht. In der Förderpraxis zeigt sich das im bekannten Phänomen von großzügiger Anschubförderung und jäher Verknappung bei der Konsolidierung und Skalierung innovativer Ansätze.
Das Konzept sozialer Innovationen selbst schreibt aber keine derartige Agenda vor. „Innovation“ bezeichnet eben nicht das atemlose Entwickeln immer neuer Ideen, sondern die langfristige Etablierung neuartiger Denkweisen, Praktiken und Strukturen in teils langwierigen, nichtlinearen Prozessen. Das Konzept der sozialen Innovation ist in weiten Teilen schlicht ein Analyseinstrument, das auf die Untersuchung neuartiger gesellschaftlicher Praxis spezialisiert ist. Wo im Namen der sozialen Innovation eine eigene politische Programmatik entwickelt wurde, wie im Umfeld des belgischen Planungswissenschaftlers Frank Moulaert, entspricht diese geradezu dem Gegenteil dessen, was die Kritik unterstellt: Hier geht es um strukturellen Wandel durch das „Empowerment“, also die Selbstermächtigung der Menschen vor Ort, durch neuartige politische Organisationsformen in Nachbarschaften und um den politischen Gestaltungsanspruch von sozialen Bewegungen.
Damit komme ich direkt zum zweiten Kritikpunkt, wonach das Konzept der sozialen Innovation lediglich für Veränderungen von Symptomen, nicht aber für eine wirkliche gesellschaftliche Transformation stünde und zudem zu sehr auf Harmonie ziele, so dass Machtfragen und Konflikte außen vor blieben. Es stimmt: Immer, wenn soziale Innovationen in der Politik oder der Wissenschaft einseitig als etwas Wünschenswertes beschrieben werden, kommt die Behandlung von Konflikten und Machtfragen zu kurz. In der Forschung zu sozialen Innovationen spielen Konflikte in Innovationsprozessen aber durchaus eine Rolle. Das erklärt sich bereits aus den Ursprüngen der Innovationsforschung bei Joseph Schumpeter, der Schöpfung und Zerstörung als zwei Seiten des Innovationsprozesses betrachtete. Soziale Innnovationen bedeuten immer auch, dass etwas Gewohntes in Frage gestellt und abgelöst wird. Sie rufen daher zwangsläufig Widerstände hervor.
Die bekannte Innovationsforscherin Frances Westley entwickelte das Konzept der Transformative Social Innovation, in dem es nicht nur um neuartige Lösungen für konkrete Problemlagen geht, sondern um das Verändern der sozialen Institutionen selbst, welche die Probleme heraufbeschworen haben. Es geht also durchaus um die Veränderung von Strukturen und Machtbeziehungen. In der Literatur werden sowohl Beispiele für „inkrementelle“ (schrittweise) als auch für „disruptive“ soziale Innovationen genannt. Dass letztere seltener angeführt, werden mag daran liegen, dass disruptive Innovationen insgesamt weniger häufig vorkommen. Das von Timmo Krüger genannte Beispiel des Repaircafés wird in der Literatur übrigens als klassischer Fall von sozialer Innovation genannt.
Ich komme nicht umhin, auch eine Lanze für das Carsharing zu brechen. Carsharing, heißt es in der Kritik, sei eine harmonische soziale Innovation, die keinen Beitrag zu einer notwendigen radikalen Verkehrswende leiste. Konkret wird der Fall car2go genannt, der laut einer Studie nicht zur Minderung des PKW-Bestandes beitrage, sondern im Gegenteil sogar eine Erhöhung zur Folge habe. Tatsächlich schaden sogenannte freefloating-Angebote wie car2go – 2019 aufgegangen in Share Now – der ursprünglichen Idee des Carsharings. Anbieter wie Share Now, hinter denen nicht zufällig traditionelle Fahrzeughersteller wie Daimler stehen, wecken durch die einfache Verfügbarkeit der Sharing-Fahrzeuge neue Mobilitätsbedürfnisse, nicht die Bereitschaft zum Verzicht. Allerdings wäre es gänzlich falsch, vom Beispiel car2go auf die Unwirksamkeit des Carsharings insgesamt zu schließen. Stationsbasiertes Carsharing kann sehr wohl den PKW-Besitz spürbar reduzieren, wie eine Studie des Bundesverbandes Carsharing zeigt. Speziell dessen Nutzer verzichten offenbar in großem Maß auf den Kauf eigener Autos. Dass stationäres Carsharing noch keine umfassende Entlastung gebracht hat, liegt meiner Ansicht nach eher an der systematischen Benachteiligung durch den Gesetzgeber, etwa bei der Aufteilung der Parkfläche in Städten.
In einer sich wandelnden Welt, in der schnell Neues entsteht, aber sich auch schnell Gegenbewegungen formieren, sind die Analysefähigkeiten der Sozialwissenschaften gefragter denn je. Diese verfügen seit jeher über ein großes Repertoire an Theorien über gesellschaftlichen Wandel. Lange Zeit fehlte ihnen allerdings ein Konzept zur Beschreibung von Wandel auf einer mittleren Ebene: zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen einerseits und sich in Denkweisen, Praktiken und Strukturen manifestierenden Veränderungen andererseits. Zudem wurden die sozialen Veränderungen, die mit technischem und wirtschaftlichem Wandel einhergehen, lange wie eine Restkategorie behandelt, als Erklärungsgröße unbedeutend. Mit dem Konzept der sozialen Innovation wird diese Einseitigkeit ausgeglichen, noch dazu auf eine Art, die anschlussfähig ist an den in Wirtschaft und Technik seit langem etablierten Innovationsbegriff. Es trägt der Tatsache Rechnung, dass Innovationen nicht nur im Dienst wirtschaftlichen Erfolgs und technischen Erfindungsdrangs hervorgebracht werden, sondern auch zur Lösung gesellschaftlicher Problemlagen und zur besseren Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse.