Neues aus der Krise

No 95 | Dezember 2020

Charakteristisch für Krisen ist ein hohes Maß an Unsicherheit bei gleichzeitiger Dringlichkeit zu entscheiden und zu handeln, gepaart mit dem Gefühl von Bedrohung. Gemeinhin sind Krisen etwas, das es zu vermeiden gilt. Wenn sie eintreten, dann kommt es darauf an, sie gut zu managen, was oft nicht mehr heißt, als so schnell wie möglich zur Normalität zurückzukehren. Krisenmanagement hat sich in jüngerer Zeit zu einer Kernkompetenz von Entscheidungsverantwortlichen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft entwickelt – scheint es doch, dass Krisen in immer kürzeren Zeitspannen auftreten, sie immer komplexer in ihren globalen Zusammenhängen und Wechselwirkungen werden, und daher immer häufiger wichtige Entscheidungen im Krisenmodus zu treffen sind. Aber Krisen sind auch durch eine Ambivalenz gekennzeichnet: In ihnen kann sich das Schicksal wenden, zum Guten oder Schlechten. Krisen beinhalten also immer auch Chancen, beispielsweise zum Lernen, zum Verbessern oder gar zum Innovieren.

Die gegenwärtige Pandemie hat das IRS nicht nur darin bestätigt, mit Krisen an einem wichtigen Forschungsthema zu arbeiten, sie hat uns auch als Organisation getroffen. So hat die Coronapandemie uns eine weitere Facette des Leibniz-Motto theoria cum praxi gelehrt. Die abstrakte Erkenntnis zum Charakter von Krisen wurde für viele Beschäftigte und nicht zuletzt die Institutsleitung um die Erfahrung der unmittelbaren Betroffenheit ergänzt. Was heißt es, wenn die Krise ohne Vorankündigung auf die erste Stelle einer ohnehin anspruchsvollen Agenda rückt? Wie fühlt es sich am eigenen Leib an, wenn Emotionen zum „Salz in der Krise“ werden, wie die im Troubleshooting erfahrene Krisenexpertin Bettina Zimmermann sich ausdrückt? Und wie ist es, wenn Kolleginnen und Kollegen, die man schon jahrelang persönlich kennt, plötzlich als „kritische Infrastruktur“ gelten?

 


 

Britische Universitäten werden zurzeit von einer doppelten Krise getroffen: Der Brexit gefährdet ihren Zugang zum europäischen Forschungsraum und damit zur EU-Forschungsförderung. Zugleich gefährdet die COVID19-Pandemie ein wichtiges Standbein der besonders von Großbritannien aus forcierten Hochschulglobalisierung: Auslandscampusse, die zahlungskräftige, hochmobile Studierende anlocken. Die Hochschulen antworten mit angepassten Strategien und nutzen sogar die neuen Gelegenheiten, welche die Krise bietet. mehr Info

Krisen legen typischerweise strukturelle Probleme offen, die oft schon lange existiert haben: unsolide Geschäftsmodelle etwa, die politische Verdrängung sozialer Probleme oder umweltzerstörerische Produktions- und Konsumpraktiken. Zugleich gelten Krisen auch als Gelegenheiten, neuen Ansätzen zum Durchbruch zu verhelfen: „Never let a good crisis go to waste“ lautet ein Zitat, das, wie so viele andere, Winston Churchill zugeschrieben wird. Befördern Krisen Innovation? Und, umgekehrt gefragt, sind Innovationen die Antwort auf Zustände, die strukturell nicht nachhaltig sind und somit wiederholt Krisen produzieren? mehr Info

Zahlreiche Forschungsteams im IRS beschäftigen sich direkt oder indirekt mit dem Thema Krisen. Künftig soll dieser thematische Fokus weiter ausgebaut werden. Die Coronakrise gab den Anlass dafür, sich zu der Frage auszutauschen, ob und wie aus Krisen gelernt werden kann. Im Sommer 2020 disku­tierten darüber per Videokonferenz Tjorven Harmsen, Wolfgang Haupt, Oliver Ibert, Kristine Kern und Elisa Kochskämper. Das Gespräch wird hier verdichtet wiedergegeben. mehr Info

Die Ausbreitung von COVID-19 ist ein räumliches Phänomen. Karten und Statistiken erfassen die Betroffenheitsgrade von Ländern und Regionen, Hotspots werden identifiziert und die Einflüsse von Mobilitätspraktiken wie Urlaubsreisen geprüft. Ein Sonderheft der Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie widmet sich dem Beitrag der Geographie zum Verständnis der Pandemie. Zwei Beiträge aus dem IRS betrachten die Pandemie aus einer sozialräumlichen Perspektive. mehr Info

Unsere Wahrnehmung der Welt wird seit Längerem von Krisendiagnosen geprägt. Konjunktur für die Krisenforschung also, doch keine Disziplin allein kann die komplexe Dynamik von Krisen beleuchten. Deshalb arbeitet der Leibniz-Forschungsverbund „Krisen einer globalisierten Welt“, an dem auch das IRS mitwirkt, seit 2013 an interdisziplinären Ansätzen. Das Handbuch Krisenforschung ist ein zentrales Produkt des Forschungsverbundes. Das IRS ist mit drei Beiträgen prominent in dem Sammelband vertreten. mehr Info

Als im März 2020 der Lockdown zur Eindämmung der Coronapandemie begann, wurden die Arbeitsroutinen des IRS, wie die vieler anderer Einrichtungen auch, massiv aus dem Takt gebracht. Doch schnell etablierte sich ein neuer Modus des Arbeitens: Mit Homeoffice und Online-Kommunikation konnten nicht nur Schreib- und Organisationsaufgaben bewältigt werden – auch für Veranstaltungen und teils sogar für empirische Forschung bewährte sich virtuelles Arbeiten. Und manche Forschungserkenntnisse kamen schneller zur Anwendung als gedacht. mehr Info