30. August | 2023

Zwischen Klima und Wachstum – Hochschulen in der Stadtpolitik

Hochschulen und andere Forschungseinrichtungen sind Akteure der Stadtpolitik. An ihren jeweiligen Standorten beeinflussen sie direkt oder indirekt, wie Städte sich positionieren. Zwei Forschungsprojekte am IRS haben diesen Effekt aus unterschiedlichen Perspektiven beobachtet – in der städtischen Klimapolitik und in der städtischen Zuwanderungspolitik. Es zeigt sich: Die Wissenschaft ist in ein Wechselspiel von Einflussfaktoren eingebunden. Und manchmal ist ihre Rolle widersprüchlich.

Die Präsenz von Hochschulen und anderen Wissenschaftseinrichtungen kann städtische Entwicklungsstrategien beeinflussen. Ein Beispiel dafür ist die Klimapolitik. Das „Verbundprojekt Zukunftsstadt: Urbane Resilienz gegenüber extremen Wetterereignissen“, kurz „ExTrass V“, und seine Vorgängerprojekte erforschen städtische Klimapolitik. Welche Städte sind aktiv dabei, sich an den Klimawandel anzupassen oder den Treibhausgasausstoß zu reduzieren? Warum unternehmen manche Städte mehr als andere? Wie kommen Städte zu ihrer spezifischen Klimapolitik? Das Projektteam, aktuell unter Leitung von Wolfgang Haupt (IRS), erforschte zum einen detaillierte klimapolitische Entwicklungspfade von 33 deutschen Städten, speziell von kleineren Großstädten und großen Mittelstädten. Zum anderen führte das Team statistische Analysen durch, um Hypothesen über die wichtigsten Einflussfaktoren zu testen. Eine dieser Hypothesen lautete, dass Universitätsstädte sich ambitioniertere Klimaziele setzen, als andere Städte; dass sie früher damit anfangen und dass sie mehr tun, um ihre Ziele zu erreichen. Im Großen und Ganzen konnten die Forschenden diese These bestätigen. Wichtig ist dabei aber, nicht pauschal von der Präsenz einer Universität auf starke Klimapolitik zu schließen. In Wirklichkeit spielen verschiedene Faktoren zusammen. Besonders stark zeigte sich der Einfluss bei Wissenschaftsstädten, die mehr als eine Hochschule sowie weitere außeruniversitäre Forschungsinstitute beheimaten und dies besonders dann, wenn man diese Städte mit anderen Grundtypen vergleicht: mit (alt-)industriell geprägten Städten und mit Städten, die in erster Linie durch historische Bausubstanz und ein Selbstverständnis als historische Städte geprägt sind. Selbstverständlich gibt es Überschneidungen zwischen diesen Gruppen, besonders zwischen Universitätsstädten und historischen Städten. Sie haben entsprechend einige Gemeinsamkeiten bei den strukturellen Einflussgrößen. Universitätsstädte zeichnen sich durch eine verhältnismäßig junge, gebildete und wohlhabende Bevölkerung aus, die zu einem hohen Anteil in hochqualifizierten Berufen arbeitet. Solch eine Bevölkerung interessiert sich eher für Klimathemen, unterstützt neue soziale Bewegungen wie Fridays for Future, engagiert sich in Umweltgruppen und wählt Parteien, die Klimaschutz und -anpassung adressieren. Typisch für Universitätsstädte ist ein gut ausgebautes Radwegenetz, das Alternativen zum Autoverkehr bietet. Aber auch Themen wie Gebäudeeffizienz stoßen in Städten wie Freiburg und Heidelberg auf Interesse. Zugleich haben die Verwaltungen von Universitätsstädten weniger Probleme, neue Fachkräfte für ihre Stellen im Klimamanagement zu rekrutieren.

Jenseits solcher strukturellen Faktoren zählen vor allem politische Führung, Partnerschaften und Beteiligung. Eine engagierte Bürgermeisterin oder eine energische Initiative können Klimapolitik auch unter schwierigen Bedingungen vorantreiben. Aber auch hier zeigt sich der Einfluss von Gelegenheitsstrukturen vor Ort. So wurde im Jahr 2020 in Wuppertal Uwe Schneidewind, bis dahin wissenschaftlicher Gesch.ftsführer des zu Nachhaltigkeit forschenden Wuppertal Instituts, als Kandidat von Bündnis90/Die Grünen zum Bürgermeister gewählt und stößt nun beispielsweise in der städtischen Verkehrspolitik Veränderungen an. Ein Beispiel für eine sehr ambitionierte klimapolitische Orientierung ist die brandenburgische Landeshauptstadt Potsdam. 1995 trat Potsdam dem kommunalen Netzwerk „Klima-Bündnis“ bei, seit 1999 werden regelmäßig Klimaberichte veröffentlicht, seit 2010 ist Potsdam Masterplan-Kommune im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative. Kooperation zwischen der Stadt und der lokalen Forschungslandschaft hat diese Pionierposition geprägt. Besonders das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung stellte sowohl Daten als auch Expertise zur Verfügung. Über die Jahre wirkte es bei der Erarbeitung aller klimapolitischen Strategien in Potsdam mit. Seit 2012 (seit 2018 unter dem aktuellen Namen) verfügt Potsdam etwa über die „Klimapartnerschaft Stadt und Wissenschaft“, in welcher Stadtverwaltung und Forschungseinrichtungen kooperieren.

In diesem Rahmen erkundeten beispielsweise das Potsdamer Geoforschungszentrum und der lokale Energieversorger EWB Potenziale für Geothermie. Auch die städtische Wohnungsbaugesellschaft arbeitet mit der Forschung zusammen, um Resilienz gegenüber Extremwetter zu erreichen. Doch der Fokus auf Wissen als Treibkraft der Entwicklung und damit auf eine hochqualifizierte und wohlhabende Bevölkerung, hat auch eine Kehrseite: Besonders Technologiezentren und Universitätsstädte sind in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig stark gewachsen. Das Wachstum ist gewünscht, denn es bringt Steuereinnahmen. In jüngerer Zeit gerät städtisches Wachstum jedoch auch in die Kritik. Ökologisch sensible Flächen, mitunter bedeutsam für die Klimaresilienz, werden verbaut, Wohnraum wird immer knapper und teurer. Manfred Kühn und Henning Boeth haben sich im Projekt „Zuwanderungsstrategien – Planungspolitiken der Regenerierung von Städten“ unter anderem sogenannte Wachstumskoalitionen angesehen. Damit sind Bündnisse zwischen Stadtpolitik und anderen Akteuren – Industrie, Wohnungsunternehmen, aber auch Hochschulen – gemeint, die Wachstum vorantreiben. Es gibt verschiedene Motivationen für solche Koalitionen: die Wiederbelebung der Stadt nach einer Phase der Schrumpfung (Reurbanisierung), die Gewinnung von Fachkräften für die lokale Wirtschaft oder die Anziehung der „besten Köpfe“ für die lokale Wissenschaft und High-Tech-Unternehmen. Als Beispiele für Wachstumskoalitionen nahmen die Wissenschaftler Jena und Göttingen unter die Lupe. Jena ist ein bedeutender Wissenschafts- und Technologiestandort mit einem hohen Anteil Hochqualifizierter.

Die Stadt mit ca. 110.000 Einwohnern wächst seit 2010 kontinuierlich und hebt sich dadurch von ihrer Thüringer Umgebung ab. Neben einem positiven Geburtensaldo wird das Wachstum getragen von internationalen Studierenden der Friedrich-Schiller-Universität und der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Beide kooperieren eng mit der lokalen Wirtschaft, etwa dem Optik-Unternehmen Zeiss. Im Zentrum der lokalen Wachstumskoalition steht die lokale Wirtschaftsfördergesellschaft, welche die Interessen sowohl der Wirtschaft als auch der Wissenschaft artikuliert, bei der Anwerbung von Fachkräften hilft, Standortmarketing betreibt und Agenda- Setting verfolgt. Seit 2018 gibt es eine explizite Wachstumsstrategie, die auf weiteren Zuzug Hochqualifizierter setzt. In der Stadt selbst wird, bedingt durch die Lage zwischen Hängen, der Platz knapp und der Wohnungsmarkt enger. Boeth und Kühn beobachten einen Trend zu einer selektiven Wachstumspolitik, die auf die Ansiedlung von höherwertigen Funktionen in der Stadt setzt, während flächenintensive Ansiedlungen eher ins Umland verlagert werden. Kritik am Wachstumskurs kommt vom lokalen Bündnis „Solidarische Stadt“ – und aus dem Umfeld des DFG-Kollegs „Postwachstumsgesellschaften“, das von 2013 bis 2019 an der Friedrich-Schiller-Universität angesiedelt war.

Ähnlich wie Jena wächst die vergleichbar große Universitätsstadt Göttingen (leicht), während die sie umgebende Region, Südniedersachsen, schrumpft. In Göttingen gibt es zwar ebenfalls Technologieunternehmen, wie etwa den Medizintechnik-Hersteller Ottobock, die sich im Umfeld der Georg-August-Universität angesiedelt haben. Doch die Initiative in der lokalen Wachstumskoalition liegt eindeutig bei der Universität. Besonders unter der Führung ihrer Präsidentin Ulrike Beisiegel, im Amt von 2011 bis 2019, positionierte sie sich als internationale Exzellenzuniversität, die aktiv die Stadtentwicklung mitgestaltet, um „die besten Köpfe“ nach Göttingen zu locken. So initiierte sie den „Göttingen Research Campus“, eine Initiative für die enge städtebauliche Einbindung des Forschungsbetriebs in eine Stadt der kurzen Wege. Das Welcome Center für internationale Fachkräfte wurde 2017 auf Betreiben der Universität eingerichtet. Und im Jahr 2022 wurde im Gebäude des Naturhistorischen Museums gegenüber dem Göttinger Hauptbahnhof das „Forum Wissen“ eröffnet: ein Museum, in dem sich die über 70 akademischen Sammlungen der Universität der Öffentlichkeit präsentieren. Zusammen genommen sollen diese Initiativen bewirken, dass Göttingen als Wissenschaftsstadt erlebbar und attraktiv für hoch qualifizierte Zuzügler*innen wird. Obwohl die Stadt Göttingen diese Profilierung prinzipiell mitträgt, agiert sie mit Blick auf die möglichen Konsequenzen des Wachstums, besonders auf dem Wohnungsmarkt, zurückhaltender.

Sowohl in Jena als auch in Göttingen gehören die Hochschulen somit klar den lokalen Wachstumskoalitionen an, auch wenn ihre Rollen darin sich unterscheiden. Widersprechen sich also die von Hochschulen und Forschungsinstituten unterstützten lokalen Politikziele Wachstum und Klimaschutz? Die beiden Ziele müssen sich nicht gegenseitig ausschließen. Doch die Position von Hochschulen und Forschungsinstituten in der Stadtpolitik ist zumindest ambivalent. Die Wissenschaft bietet ihrem lokalen Umfeld Reflexion und Expertise an. Doch während Wissenschaftler*innen einerseits oft vor einer reinen Wachstums- und Wettbewerbslogik warnen, können Wissenschaftsinstitutionen heute auch nicht unabhängig davon agieren.

Das „Verbundprojekt Zukunftsstadt: Urbane Resilienz gegenüber extremen Wetterereignissen“ läuft von Januar 2022 bis Dezember 2023 und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Rahmen der Forschung für Nachhaltigkeit (FONA) gefördert. Das Projekt „Zuwanderungsstrategien – Planungspolitiken der Regenerierung von Städten“ lief von Januar 2018 bis September 2021 und wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert.

Redaktion

Referent für Wissenschaftskommunikation