30. August 2023

Innovation Salons: Probleme zu Innovationen

Im Rahmen ihrer dritten Mission, dem Wissenstransfer, engagieren sich Hochschulen für gemeinwohlorientierten Wandel in ihrer Region. Doch wie kann dieses Engagement organisiert werden? Mit dem Innovation Salon hat ein Team des IRS ein Format des dialogischen Wissenstransfers entwickelt und erprobt. Es bietet Forschenden aus Hochschulen und anderen Wissenschaftseinrichtungen eine praktische Möglichkeit, sich zusammen mit Akteuren aus der Zivilgesellschaft in Innovationsprozesse einzubringen. Das Besondere daran ist, dass nicht Erfindungen und Technologien den Ausgangspunkt für Wissenstransfer darstellen, sondern regionstypische Problemlagen und Herausforderungen. In Südbrandenburg wurden in drei Innovation Salons neue Konzepte für die Gesundheitsversorgung, die Arbeit von Hochschul-Transferstellen und die Jugendsozialarbeit entwickelt.

Die Innovative Hochschule „Innovation Hub 13 – fast track to transfer“ (InnoHub 13) hatte ihren Handlungsraum in Südbrandenburg und Nordsachsen; eine Region, die durch große Herausforderungen bei Infrastruktur und Daseinsvorsorge, ungünstige demographische Bedingungen und – Stichwort Kohleregion Lausitz – wirtschaftlichen Strukturwandel gekennzeichnet ist. Im Rahmen des InnoHub 13-Teilprojekts „Open Region: Regionale Problemlagen als Ausgangspunkte von Innovationen“ entwickelten Julia Stadermann und Suntje Schmidt vom IRS-Forschungsschwerpunkt „Ökonomie und Zivilgesellschaft“ ein Transferformat, das bei regionalen Herausforderungen ansetzt und problemgetriebene Innovationsprozesse unterstützt: den Innovation Salon. Innovation Salons sind ein Format des dialogischen Wissenstransfers, das einen Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis auf Augenhöhe unterstützt. Eine wesentliche Grundlage für ihre Entwicklung ist die Annahme, dass spezifische regionale Problemlagen zu Ausgangspunkten für neue Denkansätze und neuartige Problemlösungen werden können, kurz, dass Probleme Innovationsgelegenheiten sind. Diese Idee stammt aus dem Konzept der „Offenen Region“, nach der das IRSTeilprojekt benannt ist: eine am IRS entwickelte innovationspolitische Heuristik, die es Akteuren der regionalen Innovationspolitik erlauben soll, sich von Technologiezentrismus und nur schwer erreichbaren Zielen wie dem Aufbau eines weiteren Silicon Valleys zu lösen und stattdessen mit dem zu arbeiten, „was da ist“. Innovation Salons bieten eine Möglichkeit, genau das zu tun. Sie haben zum einen das Ziel, soziale Innovationen, die von Akteuren vorangetrieben werden, die sich regionalen Herausforderungen stellen, zu unterstützen. Das bedeutet: ein Problem mit einer neuen Herangehensweise zu verbinden und erste greifbare Handlungsmöglichkeiten („Prototypen“, auch wenn es sich nicht um technische Geräte handelt) zu entwickeln. Zum anderen verfolgen sie das Ziel, eine Gruppe in den Wissenstransfer einzubeziehen, die meist übersehen wird: die Zivilgesellschaft – Initiativen, NGOs, Netzwerke und Vereine. Hochschulen und andere Wissenschaftseinrichtungen konzentrieren sich bei ihrem Wissenstransfer meist auf die Privatwirtschaft, beispielsweise Industrieunternehmen oder Start-ups. Um aber regionale Problemlagen im Bereich von gesellschaftlichem Zusammenhalt, Lebensqualität, Infrastruktur, Daseinsvorsorge und ähnlichen Gebieten als Innovationsgelegenheiten begreifen zu können, muss die Zivilgesellschaft als Akteur einbezogen werden. Forschende, zum Beispiel aus Hochschulen, tragen in Innovation Salons auf eine neue und für sie ungewohnte Art zu Innovationsprozessen bei: Sie bringen ihre Expertise in gemeinsame Problemdefinitionsund Lösungsaktivitäten mit der Zivilgesellschaft ein. Sie fungieren also nicht zwingend als Treiber oder Zentren von Innovationsprozessen. Vielmehr sind sie Akteure, die sich vor Ort engagieren und einbringen. „Salon“ ist eine Metapher, die verdeutlicht, dass virtuelle und physisch-räumliche Gelegenheiten geschaffen werden, die eine Atmosphäre aufbauen für Begegnungen, für offenen Austausch und gemeinsames Denken und Schaffen. In seiner ursprünglichen Bedeutung suggeriert „Salon“ einen besonderen Ort für gesellschaftliche Zusammenkünfte und Empfänge. Salons waren kulturelle Anlässe für Diskussionen, Austausch und Gespräche, die ein bestimmtes Publikum einladen und den Austausch und Unterhaltungen kuratieren. Ein Innovation Salon bringt folglich Akteure mit unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungshintergründen zusammen und macht sie füreinander sichtbar. Er schafft einen Raum für die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache und einer geteilten Wahrnehmung. Innovation Salons sind jeweils als Tandem organisiert. In zwei aufeinanderfolgenden Veranstaltungen erfolgen zwei Schritte, die laut der aktuellen Forschung zu Innovationsprozessen notwendig sind, um eine Innovation auf den Weg zu bringen (nicht, sie zu einem erfolgreichen Ende zu führen). Erstens ist eine Problemdefinition für eine regionale Problemlage erforderlich, die nicht nur weit verbreitete Klagen über einen bestimmten Missstand wiederholt, sondern schon einen innovativen Kern enthält. Sie benennt, was fehlt, was verbunden gehört, aber noch nicht verbunden ist. Zweitens müssen die unverbundenen Elemente zusammengeführt werden. Nicht nur theoretisch, sondern zumindest untersetzt mit technisch-organisatorischem Wissen, so dass eine Lösung auf dem Niveau eines Prototyps entsteht.

Das Projektteam des IRS organisierte insgesamt drei Innovation Salon-Tandems: ein Tandem zur Konzipierung eines Gesundheitshauses in der südbrandenburgischen Kleinstadt Baruth (2021), eines zur Kompetenzentwicklung in Hochschul-Transferstellen (2021/22) und ein drittes zur Nutzung digitaler Medien in der Jugendsozialarbeit (2022). Diese drei Themenstellungen kamen nicht zufällig zustande. Die Identifizierung von regionalen Herausforderungen und lösungsorientierten Akteuren war ein aufwendiger Prozess. Das IRS-Team führte eine Zeitungsanalyse durch, recherchierte online, nahm an Veranstaltungen teil und sprach mit zahlreichen regionalen Akteuren: mit Gemeinde- und Interessensvertreter*innen, den Transferscouts des „InnoHub13“ und mit zivilgesellschaftlichen Gruppen. So identifizierte es Probleme von regionaler Relevanz und laufende Initiativen zur Problemlösung. Auf der Grundlage dieser Analyse identifizierte das Projektteam für jedes Thema die wichtigsten Stakeholder: Menschen, die in der Region an dem Problem arbeiten, aktive Gruppen in anderen Regionen mit ähnlichen Problemwahrnehmungen und thematisch einschlägige Forschende an regionalen Hochschulen.

Im Fall des ersten Innovation Salons „Baruth und das Gesundheitshaus“ ging es beispielsweise um die Gesundheitsversorgung in der Kleinstadt Baruth/Mark. Sie wurde von Stadt und lokaler Zivilgesellschaft als unzureichend empfunden, was mit regionstypischen Strukturproblemen in Verbindung gebracht wurde:

Nachfolgeprobleme bei Praxen, unattraktive Bedingungen für niedergelassene Fachärzt*innen, lange Wege. Eine Initiative in Baruth arbeitete an einem Konzept für ein „Gesundheitshaus“, das vielfältige Dienste und ein attraktives Umfeld für die Gesundheits-Fachkräfte bieten sollte. Diese lokalen Akteure wurden um Expert*innen aus der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg sowie Fachleute aus bereits bestehenden Gesundheitshäusern in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein ergänzt. Im Fall des dritten Innovation Salons „Geht das auch digital? Medienpädagogische Inhalte in der Jugendsozialarbeit“ wurde das Problem adressiert, dass Jugendliche und junge Erwachsene zwar regelmäßig als künftige Fachkräfte und Gestalter*innen der Zukunft in der Region anerkannt werden, dass der sehr wichtigen Jugendsozialarbeit aber meist der „Draht“ zur Alltagskultur der jungen Menschen fehlt. Und die ist vor allem durch Digitalmedien geprägt, was sowohl Chancen als auch Gefährdungspotenziale zur Folge hat. Als lokal engagiert wurde in diesem Fall das Jugendinformations- und Medienzentrum „JIM“ Fürstenwalde identifiziert, ergänzt um Expertise aus einer deutschen Schule in Shanghai, aus einem Fraunhofer-Institut, der BTU Cottbus-Senftenberg und der Digitalagentur Brandenburg.

Diese Akteure wurden jeweils zur ersten Innovation Salon-Veranstaltung eingeladen bzw. in die Organisation eingebunden. Auf dieser ging es vor allem darum, mit interaktiven Methoden eine Sprachfähigkeit und Verständigung zwischen den beteiligten Gruppen über eine gemeinsame Definition der zu bewältigenden Herausforderung herzustellen. Akteuren von außerhalb des regionalen Kontextes kam die Rolle von Impulsgebern zu, die neue Problemwahrnehmungen anregten. Das IRS-Projektteam beteiligte sich aktiv, dokumentierte die Ergebnisse, beobachtete Gespräche und Interaktionen und analysierte im Anschluss an die erste Veranstaltung das gesammelte Material. Ergebnisse der ersten Veranstaltung wurden gebündelt und in Richtung einer Problemdefinition ausgeschärft. Sofern Hinweise auf noch fehlende Expertise auftauchten, wurden entsprechende Fachleute zur zweiten Veranstaltung des Salons eingeladen. Entscheidend war für die zweite Innovation Salon-Veranstaltung darüber hinaus vor allem Verfahrensexpertise: Gemeinsam mit Fachleuten für Design Thinking und Moderation entwickelte das Team passende interaktive Werkzeuge, um ausgehend von der Problemdefinition gemeinsam mit den Salonteilnehmer*innen zu Lösungs-„Prototypen“ zu kommen. Wieder war die Veranstaltung auch ein Raum für Datenerhebung durch Beobachtung, Interaktion und kurze Befragung der Teilnehmenden. Auf der Grundlage der beiden Veranstaltungen und der intensiven Analysephasen wurden die Innovation Salons schließlich mit einer umfassenden Dokumentation abgeschlossen, die den Teilnehmenden, aber auch der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wurden.

Im Fall des Gesundheitshauses in Baruth bewirkte der Innovation Salon eine deutliche Ausweitung und Verbesserung des Konzepts. Die ursprüngliche, rein auf Präsenz ausgerichtete Angebotsentwicklung wurde um digitale medizinische Dienste und ein Mobilitätskonzept ergänzt. Auch beschlossen die Engagierten, das Gesundheitshaus in neue Förderkontexte einzubringen: sie verstanden es nun auch als Instrument für regionale Nachhaltigkeit. Beim Thema Jugendsozialarbeit erwies sich die Arbeit mit Storytelling und fiktiven, aber durch solides Wissen untersetzten Personenprofilen (sowohl Jugendlichen als auch Sozialarbeiter*innen) als besonders fruchtbar. Sie führten zur Beschreibung eines Modus, wie Jugendliche untereinander mehr über den sicheren Umgang mit Digitalmedien lernen können, wie auch zur Konzeption eines vernetzten Lernsystems für Jugendsozialarbeiter*innen. Beide Ergebnissets stellen Frühstufen für mögliche soziale Innovationen dar, münden also idealerweise in die Einführung und Ausbreitung neuer sozialer Praktiken, die auf neuen Wissensverbindungen beruhen. Die weitere Umsetzung würde den Rahmen des Formats Innovation Salon sprengen.

Rückmeldungen von Teilnehmenden haben aber gezeigt, dass die erzielten Fortschritte nachhaltig und transformativ wirken können. Neu war für die Engagierten auch die Möglichkeit, auf Expertise aus regionalen Hochschulen zuzugreifen, was deren Rollenwandel im regionalen Wissenstransfer unterstreicht. Eine Teilnehmerin meldete zum Beispiel zurück, dass sie ohne den Salon nicht gewusst hatte, dass sie mit ihrem Anliegen auf Hochschulen für ihr Anliegen zugehen kann.


Die drei Innovation Salons sind ausführlich auf der InnoHub 13-Website dokumentiert und auf einer Potenzial-Landkarte räumlich verortet:

innohub13.de/innovationsalon/

Redaktioneller Beitrag

Referent für Wissenschaftskommunikation