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Fern Campus
Unter dem Druck einer marktorientierten Hochschulpolitik ist eine transnationale, hoch kommerzialisierte Landschaft der Hochschulbildung entstanden. Hochschulen agieren darin wie Unternehmen, die international expandieren. Campusprojekte im Ausland sind die zentrale räumliche Ausdrucksform dieses Trends. In ihnen spiegelt sich oft auch die koloniale Vergangenheit. Eine Nachwuchsgruppe hat am IRS fünf Jahre lang die Hintergründe, strategischen Treiber und Effekte dieser Dynamiken untersucht.
Im Jahr 1969 schreibt ein angehender Student sich an der University of Nottingham ein. Er ist britischer Staatsbürger, wie fast alle Studierenden. Für sein Studium zieht er nach Nottingham in den englischen Midlands. Ihn erwartet ein gebührenfreies Studium, dessen Wert zunächst im akademischen Bildungsweg selbst besteht, der ihm aber auch Sicherheit und berufliche Anerkennung bringen wird. Fünfzig Jahre später, im Jahr 2019, meldet eine chinesische Studentin sich an der University of Nottingham an. Sie nimmt ihr Studium am Auslandscampus der Universität in Ningbo, südlich von Shanghai auf. Ihr Masterprogramm hat sie anhand von Rankings und Gehaltsprojektionen ausgewählt. Leiten ließ sie sich aber auch von der hohen Reputation, die britische Hochschulbildung auf dem chinesischen Arbeitsmarkt genießt. Als Dienstleistung erwartet sie von der Universität eine britische Bildungserfahrung, die den hohen Gebühren entspricht, die sie bezahlt.
Fünf Jahre lang ist die Nachwuchsgruppe „Constructing Transnational Spaces of Higher Education. International Branch Campus Development at the Interface of Network and Territorial Embeddedness”, kurz „TRANSEDU“, am IRS diesen Fragen nachgegangen. Geleitet von Jana Kleibert sammelte und analysierte die Gruppe Daten über Auslandscampusse (Englisch: Offshore Campuses) und sprach mit zahlreichen Verantwortlichen in Hochschulen und hochschulnahen Institutionen aus Europa. Sie reiste außerdem in die arabische Golfregion und nach Südostasien, um Auslandscampusse aus der Nähe zu untersuchen. Alice Bobée, Tim Rottleb und Marc Schulze trieben dabei ihre Dissertationsprojekte voran. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie in zahlreichen Fachartikeln, aber auch in einem reich illustrierten Datenreport, Blogartikeln und zwei Policy Papers für Entscheidungsträger*innen. Die Gruppe hat alle ihre Publikationen auf ihrer Website ibc-spaces.org gesammelt.
Die Gruppe beobachtete, dass auch in der Hochschulbildung ein mittlerweile altbekannter Trend wirkt: Ganz besonders in angelsächsischen Ländern, aber nicht nur dort, haben ab den 1980er-Jahren neoliberale Reformen, Sparpolitiken und Wettbewerbsdruck dazu geführt, dass Universitäten sich zunehmend als Unternehmen auf einem Bildungsmarkt verstehen und nach neuen Einnahmequellen umsehen. Im Namen einer wettbewerbsfähigen Wissensökonomie, wie sie etwa in der Lissabon-Strategie der EU dargelegt wird, sollen Hochschulen zudem als Innovationsmotoren für die Wirtschaft dienen. Universit.tsabschlüsse wurden international vereinheitlicht, um Bildungsmobilität zu steigern und einen großen, wettbewerbsorientierten Bildungsraum zu schaffen. Einige Länder – besonders Großbritannien – forcieren den Export von Bildung als kommerzielle Dienstleistung. Das führt zum einen dazu, dass Hochschulen massiv um internationale Gaststudierende an ihren Hauptstandorten werben. Für besonders hohe Gebühren werden die Studierenden teils mit eigenen Campusbauten und Annehmlichkeiten versorgt. Zum anderen errichten Universitäten Zweigniederlassungen im Ausland, um Studienmöglichkeiten vor Ort anzubieten. Sie setzen dabei ihre hohe akademische Reputation ein, um größere internationale Strahlkraft zu gewinnen – und neue Einnahmequellen. Das Herkunftsland und der Name der Hochschule wirken dabei als Marken.
Zeitgleich werben manche Länder aktiv um internationale Campusansiedlungen, weil sie sich davon Impulse für ihre eigene Wissensökonomie und einen nachhaltigen Imagewandel erhoffen. Herkunfts- und Zielland erkennen die dort erworbenen Abschlüsse in der Regel an. Staatliche und quasi-staatliche Organisationen wie der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), British Council und Campus France stehen zwischen Regierungen und Hochschulen. Je nach ihrem konkreten Auftrag beraten, vermitteln, bewerben oder finanzieren solche Organisationen die Internationalisierung von Hochschulen, auch durch Offshore Campuses. Mit von der Partie sind außerdem Entwicklungsbanken, Privatunternehmen und – nicht zu unterschätzen – bestens vernetzte Individuen, Hochschul-Alumni und umtriebige Unternehmer*innen, die ein Campusprojekt oft erst ins Rollen bringen; nicht immer auf der Basis einer soliden Bedarfsanalyse – siehe Beitrag ab Seite 12. Unter dem Titel „Global Geographies of Offshore Campuses“ veröffentlichte die TRANSEDU-Gruppe Ende 2020 die erste methodisch einheitliche globale Bestandaufnahme über Stand und Entwicklung von Hochschul-Auslandscampussen. Demnach gab es 2020 knapp 500 solcher Standorte mit stetig wachsenden Zahlen seit 1989. Insgesamt wurden ca. 60 Offshore Campuses wieder geschlossen, größtenteils weil es ihnen nicht gelang, genug Studierende anzuziehen. Wieder sind es überwiegend westliche Universitäten, die Auslandscampusse errichten. Großbritannien, Frankreich und die USA kommen zusammen auf 60 Prozent aller Campusexporte.
Insbesondere der Export französischer Hochschulen hat in den letzten zwei Jahrzehnten stark zugenommen, getrieben von Privatisierungen, Konkurrenzdruck, aber auch dem Wunsch nach Investitionen in den Zielregionen. Mit über 100 Offshore Campuses gilt Frankreich heute als das exportstärkste Land. Die wichtigsten Zielländer für Auslandscampusse sind China, die Vereinigten Arabischen Emirate, Singapur, Malaysia und Spanien. Europäische Länder und Städte sind sowohl als Importeure als auch als Exporteure von Campusanlagen prominent vertreten, insbesondere London und Paris. Insgesamt konzentrieren sich Campusprojekte stark in wenigen Großstädten, vor allem in Dubai, Singapur, Shanghai, London und Doha. Teils werden Cluster von Ansiedlungen als „transnationale Bildungszonen“ entwickelt, die gezielt ausländisches Investitionskapital anziehen sollen.
Welche Funktionen solche Zentren für die Zielregionen erfüllen und welche strategischen Ideen dabei bemüht werden, hat sich Tim Rottleb genauer angesehen, anhand von drei Beispielen: der „Education City“ in Doha (Katar), der „Ras al-Khaimah Academic Zone“ und der „Dubai International Academic City“ (beide Vereinigte Arabische Emirate). Er bezeichnet diese Städte als „Gateway Cities“, die globale Arbeitsmärkte und internationale Universitäten mit dem „Hinterland“ der Golfregion verbinden. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dadurch in erster Linie bestehende Denk- und Machtstrukturen der globalisierten Welt verfestigt werden. Die lokalen Regierungen wollen ihre Humankapitalbasis stärken, um Anschluss an die Wissensökonomie jenseits des Ölexports zu finden. Sie suchen deshalb nach „akademischer Exzellenz“, was aus ihrer Sicht gleichbedeutend ist mit westlichen, besonders angelsächsischen Hochschulabschlüssen. Entsprechend bieten sie Zonen mit speziellen Infrastrukturen, Subventionen und (begrenzter) akademischer Freiheit an, um die Institutionen zu locken.
Westliche Universitäten suchen ihrerseits Zugriff auf erweiterte Zielgruppen von Studierenden, die aus verschiedenen Gründen nicht direkt im Westen studieren können. Die Education Hubs am Persischen Golf sehen sie als sichere Häfen in einer unsicheren, aber nachfragestarken Weltregion und investieren deshalb dort. Ihre Studienangebote – überwiegend hoch standardisierte Business-Programme– werden hauptsächlich von Mitgliedern der am Golf ansässigen Gruppen von Arbeitsmigrant*innen aus dem arabischen und südasiatischen Raum wahrgenommen oder von Studierenden, die extra zu diesem Zweck in die Golfstaaten kommen. So vergrößert sich das Angebot von akademisch qualifizierten Arbeitskräften und zugleich expandiert eine hegemoniale Idee von Hochschulbildung in ein zuvor „unerschlossenes“ Segment der Weltbevölkerung.
Das Motiv, Studierende zu erreichen, ohne dass diese dafür Zugang zum Herkunftsland der Hochschule haben müssen, hat auch Alice Bobée beobachtet, die französische Campusstrategien unter die Lupe nahm. Sie fand heraus, dass der französische Staat anstrebt, mit Hilfe von Auslandscampussen seinen Einfluss im postkolonialen frankophonen Afrika – in den Maghreb-Staaten, in West- und Zentralafrika – aufrecht zu erhalten und zugleich Migration nach Frankreich zu beschränken. Anders als die von öffentlichen Universitäten getriebenen akademischen Partnerschaften, die zum Teil vom Außenministerium und der französischen Entwicklungsagentur finanziert werden, werden Offshore Campuses meist von privaten Wirtschafts- und Ingenieurhochschulen errichtet. Sie finanzieren ihre Auslandscampusse selbst und müssen entsprechende Einnahmen generieren.
Zugleich sollten auch sie nach dem Willen des Staates eine Alternative zur Migration nach Frankreich bieten und eine französischsprachige Einflusssphäre stärken. Jedoch geriet dieses Modell angesichts zunehmender Konkurrenz, unter anderem aus dem angelsächsischen Raum, und aufgrund der Mobilitätswünsche zahlender afrikanischer Studierender unter Druck. Mobilitätsangebote innerhalb und außerhalb des afrikanischen Kontinents (insbesondere nach Frankreich) und Kurse auf Englisch wurden folglich zum Bestandteil des Bildungsangebots. Die Strategien französischer Hochschulen in afrikanischen Staaten orientieren sich also nicht nur an den politischen Projekten des französischen Staates, sondern auch am marktorientierten „angelsächsischen Modell“. Doch dieses Modell ist nicht vollkommen alternativlos – und dafür könnte Südostasien zumindest teilweise als Beispiel dienen. Die Region ist ein weiterer Schwerpunkt für die Ansiedlung internationaler Hochschulstandorte. Hier hat Marc Schulze sich umgesehen. Ihn interessierte die Rolle solcher Ansiedlungen in den wirtschaftlichen Entwicklungsstrategien von Malaysia und Singapur. Die Ökonomien Südostasiens sind besonders bekannt für ihre staatlich gesteuerten wirtschaftlichen Aufhol- und Überholstrategien. Gilt das gleiche für die Hochschulbildung?
Malaysia kämpfte lange mit einer Abwanderung von Studierenden. Die britische Kolonialherrschaft hatte dort eine ethnisch gespaltene, hoch segregierte Gesellschaft hinterlassen, die einzelne ethnische Gruppen von Bildung ausschloss. Dem Land fehlten die Kapazitäten für eine Überwindung dieser Spaltung. Ab den 1990er-Jahren bemühte sich Malaysia aktiv um Hochschulinvestitionen, um die eigene Bevölkerung mit Studienplätzen zu versorgen, wobei konsequent von einer privaten Bildungs-„Industrie“ gesprochen wurde. Die Bildungsanbieter waren losgelöst vom staatlichen malaysischen Hochschulsystem, gingen aber Partnerschaften mit der Privatwirtschaft ein, wovon diese profitierte. So konnte nicht nur der nationale Bedarf gedeckt werden. Das Land positionierte sich auch selbst als Education Hub, der nun Studierende aus der Region anzieht. Deutlich mehr „Kante“ zeigt Singapur: Der Stadtstaat warb ebenfalls um Hochschulinvestitionen, tolerierte sie jedoch nur in enger Partnerschaft mit heimischen Institutionen. Diese konnten auf diesem Weg lernen und sich selbst an die Spitze vorarbeiten. Heute gehört die National University of Singapore zu den internationalen Spitzenhochschulen. Unterdessen beginnt das Land, erste bestehende Partnerschaften wieder aufzulösen, weil sie nicht mehr gebraucht werden.
Die Leibniz Junior Research Group „Constructing TransnationalSpaces of Higher Education“ läuft von April2018 bis Ende 2023. Sie wurde von der Leibniz-Gemeinschaftim Rahmen des Leibniz-Wettbewerbs finanziert.