01. September | 2023

Campus im Ausland – Risiken und Nebenwirkungen für Heimatuniversitäten und Gastländer

Mit der Errichtung eines Campus im Ausland verfolgen sowohl die expandierende Hochschule als auch die Regierung der Ansiedlungsregion bestimmte Ziele. Passen diese Ziele zusammen und sind sie überhaupt realistisch? Die Nachwuchsgruppe „TRANSEDU“ hat die Chancen und Risiken für beide Seiten beleuchtet und Empfehlungen erarbeitet.

Paris 1921 – der weltweit erste Auslandscampus eröffnet. Die bis heute angesehene Parsons School of Design wagte diesen Pionierschritt gerade einmal 25 Jahre nach ihrer eigenen Gründung. Die Vision ihres damaligen Direktors und ab den 1940er-Jahren auch Namensgebers, Frank Alvah Parsons, war klar: in Paris einen Ort für Zusammenarbeit und Austausch sowie künstlerische Inspiration schaffen. Durch die Übertragung der neuen amerikanischen Lehrmethoden nach Paris sollten internationale und französische Studierende angezogen werden. Gleichzeitig sollte der stetige Austausch von Studierenden und Dozent*innen zwischen beiden Standorten auch der New Yorker Heimathochschule Anregung und Bereicherung bringen. Diese Form der Internationalisierung von Hochschulen bietet sowohl den Sitzländern als auch den entsendenden Universitäten große Potentiale. Doch sie birgt für beide auch Risiken. Die Leibniz-Nachwuchsgruppe „TRANSEDU“ hat in zwei Policy Papers Chancen, Risiken und Managementempfehlungen für expansionswillige Hochschulen und für Regierungen in Zielländern zusammengetragen.

Lohnt sich internationale Expansion für Hochschulen?

Anders als zu Parsons' Zeiten in den 1920er-Jahren werden Zweigstellen im Ausland von Hochschulen heute meist in der Hoffnung auf Einnahmen und gesteigerte internationale Reputation errichtet. Wie im vorangegangen Artikel genauer nachzulesen, gilt das gerade für angelsächsische Universitäten und französische Hochschulen. Diese sind auch mit großem Abstand die Hauptexporteure von Offshore Campuses. Der Wunsch nach akademischem Austausch und gemeinsamer Forschung  kann ebenfalls eine Motivation sein. Gerade bei deutschen Auslandscampussen stehen diese Beweggründe für die Heimatuniversitäten sogar im Zentrum. Insgesamt ist Deutschland als Entsendeland zurückhaltend. Denkt eine deutsche Hochschule aber an internationale Expansion, sollte sie die Erfahrungen anderer Anbieter transnationaler Hochschulbildung berücksichtigen.

Faktisch verzeichnen viele Auslandscampusse eher Verluste als Gewinne. Seit den frühen 2000er-Jahren schließt Jahr für Jahr eine einstellige Zahl von Campussen, während die Zahl der jährlichen Neugründungen im unteren zweistelligen Bereich liegt. Einzelne müssen schon kurz nach ihrer Eröffnung oder gar nur ihrer Ankündigung wieder schließen. Was läuft schief? Die„TRANSEDU“-Gruppe identifi ziert in ihrem Policy Paper „Strategy First: Ten Questions to Answer before Starting an International Campus“ eine Reihe von Hauptrisiken.

Nummer eins ist dabei das Fehlen einer umfassenden, institutionellen Strategie. Ein Auslandscampus erfordert eine sorgfältige, strategische Planung durch die Heimatuniversitäten. Gerade diese existiert aber häufig nicht. So entstehen Zweigstellen oft eher aus spontanen Gelegenheiten oder persönlichen Interessen heraus. Die Stammhochschulen werden etwa von ausländischen Regierungen, privaten Geschäftspartnern oder Alumni eingeladen, einen Offshore Campus zu gründen. Die strategische Initiative kommt dabei aus den Gastländern. Entscheidungsträger*innen an den Universitäten entscheiden mitunter rein situativ – mit einem hohen Risiko zu scheitern. Auch finanzielle Risiken werden unterschätzt. Oft fallen in den Anfangsjahren die Studiennachfrage und dadurch die Einnahmen durch Studiengebühren geringer aus als kalkuliert. Die hohen Kosten für den Aufbau und Unterhalt der Zweigstelle können dann nicht rentabel gedeckt werden. Es zeigt sich, dass Hochschulen oft keinerlei systematische Markterkundung vornehmen. Auch werden gerade in den besonders attraktiv erscheinenden Regionen wie Singapur Konkurrenzeffekte und regulatorische Hürden (etwa Grenzübertritte für internationale Studierende aus Malaysia und Indonesien) unterschätzt.

Weitere, nicht-monetäre Risiken liegen in den speziellen Umständen vor Ort, welche die Handlungsfreiheit der Universitäten einschränken oder die Reputation eher schädigen als fördern. In einigen Gastländern müssen Auslandscampusse mit inländischen Partnern kooperieren. In China und bis 2015 auch in Malaysia sind sogar Joint Ventures Pfl icht. An dem großen Campus der University of Nottingham in Semenyih (Malaysia) ist mit Boustead Holdings ein Unternehmen beteiligt, das Plantagen, Immobilien und Waffenhandel betreibt. Eine solche Partnerschaft kann zu Spannungen führen: Denn zum einen hängt die Unterstützung durch den wirtschaftlichen Partner davon ab, dass sich dessen Investitionen (kurzfristig) auszahlen. Zum anderen können Kooperationen mit zweifelhaften Unternehmen und undemokratischen Regierungen die Glaubwürdigkeit der beteiligten Universität in Zweifel ziehen. Gerade die Frage der Wissenschaftsfreiheit in autoritär regierten Ländern ist immer wieder Thema. Öffentlichkeitswirksame Kritik seitens der Belegschaft und der Studierenden an der Stammhochschule sind dann nicht selten. Greifen Medien diese auf, drohen Reputationsschäden, auch für die Heimatuniversität. Angesichts dieser Herausforderungen sind Auslandscampusse weder für die Reputation noch für die fi nanzielle Solvenz von Hochschulen eine einfache Lösung. Um eine fundierte Einschätzung zu ermöglichen, hat das TRANSEDU-Team die strategischen Herausforderungen strukturiert und für Praxisakteure aufbereitet. Mit einer Checkliste von zehn Fragen können Verantwortliche in Hochschulen prüfen, ob sich ein internationaler Campus für ihre Einrichtung lohnt.

Gastländer: Regionalentwicklung im Fokus?

Schon in den 1920ern wurde in Paris das Potenzial einer Dependance der New Yorker Hochschule für Kunst und Design erkannt: So wurde es Frank Parsons ermöglicht, seinen Campus am begehrten Place des Vosges einzurichten. Auch sonst wurden Parsons scheinbar gute Voraussetzungen geboten. Innerhalb von nur sechs Jahren waren mehr als 200 Studierende im Pariser Atelier eingeschrieben. Der Ruhm Parsons reichte so weit, dass Frankreich ihm 1927 die Ehrenlegion, die höchste Auszeichnung des Landes, für die Förderung der französisch-amerikanischen Beziehungen verlieh.

Heute ermöglichen Zielländer internationale Campusansiedlungen nicht nur, sondern verfolgen mit ihrer aktiven Anwerbung gezielte Strategien. Diese haben nicht nur das Ziel, die Beziehungen zu den jeweiligen Heimatländern auszubauen. Vielmehr ist die regionale Entwicklung häufig ihre Hauptmotivation. Durch Campusansiedlungen erhoffen sie sich, die Kapazitäten ihrer eigenen Hochschulsysteme zu erweitern und mehr hochqualifizierte Arbeitskräfte auszubilden und zu halten. Diese sollen dann für Wissenstransfer und Innovationen in den vor Ort ansässigen Unternehmen sorgen. Zudem sollen internationale Campusse den internationalen Ruf der Gaststädte und Sitzländer stärken und damit wiederum Talente und Investitionen anziehen. Ausländische Universitäten tragen aber nicht automatisch zur nationalen oder regionalen Entwicklung bei. Diese Problematik beginnt mit der Auswahl ansiedlungswilliger Hochschulen. Ein reiner Laissez-faire-Ansatz bei der Ansiedlung kann dazu führen, dass sich Institutionen mit geringer Qualität ansiedeln. Doch auch exzellente Universitäten sind keine Garantie für positive Effekte auf Wissensökonomie und Regionalentwicklung. Insbesondere wenn für die entsendenden Hochschulen fi nanzielle Aspekte im Vordergrund stehen, setzen diese in ihren Zweigstandorten häufig eher auf leicht vermarktbare und hoch standardisierte Lehrangebote, wie etwa MBA-Abschlüsse. Forschungsund Transferaktivitäten, gerade mit lokalen Partnern, sind für die Hochschulen dagegen teuer, aufwendig, erfordern spezielles Personal und sind mit hohen Risiken behaftet. Dabei sind gerade sie für die regionale Entwicklung von großer Bedeutung. Ohne eine aktive politische Steuerung ist jedoch damit zu rechnen, dass sie nur eine untergeordnete Rolle spielen.

Die Gastländer können aber Anreize schaffen, damit Offshore Campuses sich besser regional integrieren: etwa durch die gezielte Förderung der Zusammenarbeit von Zweiguniversitäten untereinander oder mit einheimischen Hochschulen in gemeinsamen Studienprogrammen; oder mit der lokalen Wirtschaft über Praktikumsprogramme. Weitere Stellschrauben können der Zugang zu Forschungsförderung und die finanzielle Unterstützung von Forschungskooperationen sein. Dabei laufen Zielländer allerdings Gefahr, die internationalen Hochschulen übermäßg zu regulieren und ihre Attraktivität als Standorte einzubüßen. Damit sich das volle Potenzial von Auslandscampussen für die regionale Entwicklung entfalten kann, gilt es also, den schmalen Grat zwischen einem investitionsfreundlichen Umfeld einerseits und wirkungsvollen Steuerungsmechanismen andererseits zu fi nden. Wie dies gelingt, wird im Policy Paper „Developing Successful Transnational Education Hubs: Key Challenges for Policy Makers“ genauer beschrieben.

Gelingt der Balanceakt, kann ein Campus über Jahrzehnte hinweg erfolgreich sein: Parsons Paris feierte 2021 sein 100-jähriges Bestehen und bietet bis heute Studiengänge in Architektur, Innendekoration, Bühnenbild und Kostümdesign an. Auch wenn sich die kulturellen, sozialen und politischen Voraussetzungen von Region zu Region unterscheiden: Eine strategische Herangehensweise und eine langfristige Vision sowohl der Gastländer als auch der Heimatuniversitäten bilden die Grundlagen für den anhaltenden Erfolg solcher internationaler Bildungseinrichtungen.

 

Lohnt sich der Campus? Zehn Fragen für Verantwortliche in Hochschulen

  1. Erfüllt der Campus mehr als ein strategisches Ziel der Hochschule?
     
  2. Ist die Region, in der sich der Auslandscampus befindet, für die strategische Ausrichtung der Hochschule von Bedeutung (z. B. für Forschungsaktivitäten der eigenen Wissenschaftler*innen oder für Studierende, die im Ausland studieren)?
     
  3. Gab es einen Konsultationsprozess und eine breite Zustimmung der Stakeholder, die von der Entwicklung betroff en sein werden, einschließlich der Forschenden, Lehrenden und Studierenden?
     
  4. Wurde eine unabhängige Markterkundung über die potenzielle Nachfrage nach Studienangeboten durchgeführt (und nicht nur auf Daten einer Partnereinrichtung vor Ort bzw. der Regierung des Ziellandes zurückgegriffen)?
     
  5. Haben Sie Ihre Konkurrenten untersucht und Ihr Alleinstellungsmerkmal im Hochschulsystem des Ziellandes realistisch ermittelt (z. B. spezifisches Fachwissen, Reputationswert Ihrer Einrichtung im Ausland)?
     
  6. Falls eine lokale Partnerorganisation involviert ist: Wurde eine Due-Diligence-Prüfung über den potenziellen Partner durchgeführt?
     
  7. Sind Management- und Verwaltungsaufwand (und -kosten) im Geschäftsplan angemessen berücksichtigt?
     
  8. Haben Sie den (geplanten) Standort besucht und seine infrastrukturelle Anbindung sowie das Angebot urbaner Dienstleistungen (z. B. Gastronomie, Kultur, Handel) geprüft?
     
  9. Beobachten Sie systematisch, ob Vorschriften, die sich auf Ihre Tätigkeit im Ausland auswirken (z. B. Hochschulregularien, ausländische Direktinvestitions- und Migrationsregularien), sich ändern, und haben Sie einen Mechanismus zur Reaktion auf Änderungen eingerichtet?
     
  10. Haben Sie einen Plan für die Schließung des Campus aufgestellt und Ereignisse definiert, die zu einer Schließung des Campus führen würden (z. B. Verletzung der akademischen Freiheit, finanzielle Verluste)?