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Prof. Dr. Jana Kleibert
„Politikberatung oder Wissenschaft? Diese Entscheidung muss man nicht am ersten Tag treffen.“
Prof. Dr. Jana Kleibert ist seit September 2022 Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeographie mit Schwerpunkt Metropolforschung im Fachbereich Erdsystemwissenschaften an der Fakultät für Mathematik, Informatik und Naturwissenschaften sowie am Centrum für Erdsystemforschung und Nachhaltigkeit (CEN) der Universität Hamburg. Sie forschte von 2015 bis 2022 als Postdoc im IRS-Forschungsschwerpunkt „Ökonomie und Zivilgesellschaft“. Ab 2018 leitete sie die Leibniz-Nachwuchsgruppe „Constructing Transnational Spaces of Higher Education. International Branch Campus Development at the Interface of Network and Territorial Embeddedness” (TRANSEDU).
Guten Tag Frau Kleibert. Mit welchen Themen und Aufgaben befassen Sie sich gerade?
Da steht bei mir das Thema Lehre mit neun Semesterwochenstunden und einigen neuen Vorlesungen ganz oben auf der Agenda. Seit September 2022 bin ich Professorin für Wirtschafts- und Sozialgeographie an der Universität Hamburg. Und dann sind da noch meine Forschungsthemen im Bereich Globalisierung und Wissensökonomie, die ich nach Hamburg mitgebracht habe und hier weiterentwickle. Das TRANSEDU-Projekt läuft weiter und ich betreue weiterhin Doktorand*innen am IRS.
Worum geht es im TRANSEDU-Projekt?
Uns interessiert die internationale Standortwahl von Universitäten. Konkret geht es um die Entstehung von internationalen Zweigstellen von Universitäten, die häufig in Großstädten in Südostasien und den arabischen Golfstaaten in geballter Form stattfinden, also in sogenannten Education Hubs. Warum diese entstehen, erforschen wir aus wirtschafts- und stadtgeographischer Perspektive. Wir schauen, wie die Einbettung dieser Universitätszweigstellen funktioniert und welche Rolle sie in den jeweiligen urbanen und nationalen Entwicklungsstrategien spielen. Unser Interesse gilt transnationalen Strömen von Studierenden, Lehrenden, von Wissen und nicht zuletzt von Kapital.
Und was sind interessante neue Themen?
Sicher die zunehmend wichtigere Rolle von Geopolitik in der transnationalen Hochschulbildung, zum Beispiel Investitionen Chinas in die Europäische Union.
Ein anderes interessantes Phänomen ist, wie in letzter Zeit über internationales Kapital immer mehr profitorientierte Studierenden-Unterkünfte entstehen. Solche Unterkünfte sind gerade ein international boomendes Geschäft. Auch in Deutschland entstehen sie verstärkt. Dazu gehört auch das Social Hub in Berlin-Mitte. Wir sprechen hier über eine Finanzialisierung von Wohnungsmärkten, die verwickelt ist mit der Internationalisierung und Privatisierung von Hochschulbildung.
Wie kam es dazu, dass Sie sich am IRS mit transnationaler Hochschulbildung beschäftigt haben?
Die Idee kam mir im Feld. Ich hatte vor ein paar Jahren ein zweimonatiges Visiting Fellowship an der National University of Singapore. Als ich mich in Südostasien umgeschaut habe, bin ich in Malaysia auf eine Education City gestoßen. Das war für mich die Initialzündung. Ich habe mich gefragt, warum investieren Bildungseinrichtungen im Ausland, welche Orte werden ausgewählt und warum, wer sind die Akteure, wie verändern sich diese Standorte dadurch? Mit diesen Fragen bin ich zurück ans IRS gekommen und habe dann einen Antrag für eine Leibniz-Nachwuchsgruppe gestellt. Daraus wurde dann das TRANSEDU-Projekt, das noch bis Ende 2023 läuft.
Lassen Sie uns noch über Ihre kumulative Habilitation sprechen. Ihr Habilitationsvortrag trug „Post-Globalisierung“ im Titel. Erleben wir gerade das Ende der Globalisierung?
Da bin ich eher skeptisch. Deglobalisierung, also eine Rückabwicklung der Globalisierung, ist für mich eine offene Frage. Wir erleben zurzeit keinen radikalen Abbruch weltweiter Beziehungen. Auch wenn einige Lieferketten nun regionaler organisiert werden, zeigen viele globale Warenströme nicht gerade eine Deglobalisierung. Dienstleistungen zum Beispiel. In der Pandemie haben Zoom und Amazon zugelegt. Und nach dem Brexit haben britische Unis ganz massiv in der EU investiert. Ein Beispiel ist die 2020 errichtete Zweigstelle der Lancaster University in Leipzig.
Schauen wir ein wenig zurück auf Ihre Zeit am IRS. Was hat Sie aus heutiger Sicht am IRS geprägt?
Sicher der Austausch mit Kolleg*innen und die theoretischen Debatten. Ich kam 2015 durch das Drittmittelprojekt „Geographien der Dissoziation“ ans IRS. Darin ging es um die soziale Konstruktion von Werten aus räumlicher Perspektive. Dabei haben wir versucht, zwei Perspektiven der Wirtschaftsgeographie unter einen Hut zu bekommen: polit-ökonomische und kulturelle ökonomische Ansätze. Diese doppelte Sicht aus politischer und kultureller ökonomischer Perspektive hat mich nachhaltig geprägt und kam auch im TRANSEDU-Projekt zum Tragen, in dem es sowohl um die materielle als auch die symbolische Konstruktion von transnationalen Räumen ging. Ich könnte mir gut vorstellen, dass diese Perspektive sich auch anbietet für raumbezogene Forschung über profitorientierte Studierendenunterkünfte. Welches Kapital fließt in diese Investitionen? Wie werden diese exklusiven Wohneinheiten mit Wert aufgeladen und vermarket, zum Beispiel mit Werten wie „Community“?
Wie schauen Sie auf Ihre Erfahrungen im Wissenstransfer am IRS zurück?
In einer außeruniversitären Einrichtung wie dem IRS spielt Transfer natürlich eine größere Rolle als an einer Universität, keine Frage. Am IRS war die Transferpraxis immer ein zentraler Aspekt, was auch durch das Team der Wissenschaftskommunikation und Kolleg*innen am IRS stark unterstützt wurde. Diese habe ich als wertvolle und pro-aktive Sparringspartner erlebt. Wir haben auf Basis der TRANSEDU-Projektergebnisse mehrere Transferpublikationen veröffentlicht und waren eingeladen als Sprecher*innen auf Praktikertagungen. Und meine Kollegin Alice Bobée und ich waren auch beratend tätig für Organisation in Spanien und Frankreich, die an transnationalen Investitionen im Hochschulbereich interessiert sind. Dies alles zeigt für mich, wie Transfer im IRS verankert ist und mit Leben gefüllt wird.
Zum Ende noch eine Frage für kommende akademische Generationen. Was empfehlen Sie dem Nachwuchs?
Die Arbeit in der Wissenschaft bleibt ein Feld voller Unsicherheiten. Hier sehe ich trotz gegenwärtiger Debatten keine große Lösung in Sicht. Die Frage ist also, was sind Gründe, um trotzdem promovieren zu wollen? Wenn die Vorteile – interessante Themen, für die man brennt, und die relative Freiheit, sich mit diesen in der Tiefe zu beschäftigen – die Unwägbarkeiten aufwiegen, kann es sich lohnen. Ich habe immer versucht, diese Vorteile fest im Blick zu behalten. Aber die Entscheidung für die wissenschaftliche Laufbahn ist eine zutiefst individuelle Entscheidung. Und auch eine, deren Antwort sich über die Zeit verändern kann. Politikberatung oder Wissenschaft? Diese Entscheidung muss man nicht am ersten Tag treffen.
Vielen Dank für das Gespräch, liebe Frau Kleibert!
Das Interview führte Gerhard Mahnken.