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Jun.-Prof. Dr. Verena Brinks
Jun.-Prof. Dr. Verena Brinks
Frau Brinks, womit beschäftigen Sie sich gerade?
Ich forsche derzeit zur Geographie von Krisen, zu neuen Orten von Arbeit und Kreativität und zu neuen Formen von Communities. Bei all diesen Themen spielen digitale Medien eine bedeutende Rolle. Krisenkommunikation und -bewältigung verändern sich etwa durch die Nutzung sozialer Medien. Coworking Spaces sind Arbeitsorte, die von digital arbeitenden Menschen hervorgebracht wurden, und das Internet bietet vielfältige Möglichkeiten der Vernetzung und damit auch neue Möglichkeiten der Gemeinschaftsbildung. Darüber hinaus lehre ich in den Bachelor- und Masterstudiengängen des Geographischen Instituts.
Lassen Sie uns das Thema Gemeinschaftsbildung noch etwas genauer anschauen. Gab es da während Ihrer wissenschaftlichen Ausbildung am IRS bestimmte Team- oder Lernerfahren?
Ich habe mich in meiner Dissertation mit dem Konzept der „Communities of Practice“ beschäftigt. Grob gesagt ist die Grundidee hier, dass Lernen in Interaktion mit anderen stattfindet, also ein hochgradig sozialer Prozess ist. Man kommt als Neuling in eine Praktiker*innen- oder Wissensgemeinschaft und wird mit der Zeit zu einem erfahrenen Mitglied. Als ich 2012 ans IRS kam, hatte ich gerade mein Geographiestudium abgeschlossen. Man kann also wirklich sagen, dass ich am IRS zu einer Wissenschaftlerin wurde, zunächst als Doktorandin, dann als Postdoktorandin. Dort habe ich in mehreren Projekten gearbeitet und dabei alle Facetten des Forschens kennengelernt. Dieses Lernen wurde unterstützt von vielen Menschen am IRS. Dazu gehört sicher mein ehemaliger Abteilungsleiter und Doktorvater Oliver Ibert. Genauso aber auch die erfahrenen Kolleg*innen am IRS, von denen ich viel lernen konnte sowie die ehemaligen Doktorand*innen, die damals vor den gleichen Herausforderungen standen wie ich und mit denen der informelle Austausch einfach geholfen hat. Später in meiner Zeit als Postdoktorandin war ich dann in den Projekten die Erfahrenere und habe wiederum andere angeleitet.
Wie sehen Sie im Nachhinein den Forschungsbetrieb des IRS? Gibt’s was Typisches?
Die starke Interdisziplinarität. Es arbeiten Personen unterschiedlicher Disziplinen in Projekten zusammen. Das ist schon ziemlich speziell aus meiner Sicht. Zudem war mein Eindruck, dass in allen Projekten die Praxisrelevanz eine große Rolle spielt. Auch in den Leitprojekten, die eher auf Grundlagenforschung ausgerichtet sind, wurde an irgendeiner Stelle ein Workshop mit Praktiker*innen durchgeführt. Forschung im Elfenbeinturm wird am IRS ganz sicher nicht betrieben.
Welche Rolle spielen in Ihrer Forschung und Lehre heute noch Themen oder Konzepte, die Sie am IRS kennengelernt haben?
Am IRS habe ich angefangen über Krisen und über User Innovationen zu forschen. Beide Themenfelder sind für mich nach wie vor sehr wichtig, besonders das Thema Krisen. Mein Weggang aus dem IRS hatte nicht das sprichwörtliche „aus den Augen, aus dem Sinn“ zur Folge. Im Gegenteil! Mit Tjorven Harmsen und Oliver Ibert organisiere ich gerade die Konferenz „Emerging from Emergencies“, die vom 30. Juni bis 2. Juli virtuell stattfindet. Wir veröffentlichen auch noch zusammen Ergebnisse aus unserer gemeinsamen Forschung im Rahmen des RESKIU-Projektes (Resilienter Krisen-Umgang: Die Rolle von Beratung bei der Schaffung und Nutzung von „Gelegenheiten“ in Krisenverläufen).
Wo bringen Sie konkret IRS-Ideen ein?
Den Begriff „IRS-Ideen“ finde ich nicht ganz passend. Ideen kommen ja von Menschen. Während meiner Zeit am IRS konnte ich mit meinen Kolleg*innen gemeinsam an Ideen arbeiten und neue Ideen entwickeln. Ich konnte meine Kenntnisse zu Krisen sehr gut in die Lehre einbringen. Als im Frühjahr 2020 die beginnende COVID-19-Pandemie dazu führte, dass an den Universitäten auf digitale Lehre umgestellt werden musste, habe ich einen Lektürekurs zum Thema Krisen angeboten, in dem meine Studierenden und ich aktuelle Ereignisse der Corona-Krise auf Basis wissenschaftlicher Texte eingeordnet und besprochen haben. Den Kurs konnte ich so schnell auf die Beine stellen, weil ich einen guten Überblick über die Krisen-Literatur habe.
Stichwort Politik- und Gesellschaftsberatung. Gab es am IRS für Sie prägende Ereignisse und Erfahrungen, die Ihr heutiges Transferverständnis mitprägten?
Ich erinnere mich an die Lange Nacht der Wissenschaften, an die Regionalgespräche und an diverse Praktikerworkshops. Wie schon gesagt, auch in Projekten der Grundlagenforschung wird der Austausch mit Praktiker*innen gesucht. So ist jedenfalls mein Eindruck gewesen. So ein Austausch kann sehr fruchtbar sein. „Open Region“ ist ein Ansatz, der das sehr stark widerspiegelt, finde ich. Wir haben diesen Ansatz auf Basis unserer Erkenntnisse aus mehreren Forschungsprojekten entwickelt, uns aber auch früh mit Praktiker*innen darüber ausgetauscht und den Ansatz weiterentwickelt. Ich erinnere mich, dass ich im ICE gesessen habe. Dort lag die Zeitschrift „Unternehmen Region“ aus, in der Oliver Ibert, Felix Müller, Suntje Schmidt und ich einen Beitrag zu Open Region veröffentlicht hatten. Das ist auf jeden Fall eine meiner lebhaftesten Erinnerungen in Hinblick auf Transfer.
Ist man aus Ihrer Sicht als ehemaliges IRS-Mitglied nach der Ausbildung mehr in der Wissenschaft oder mehr in der Praxis gefragt?
Ich selbst bin in der Wissenschaft geblieben und habe auch ehrlich gesagt nie etwas anderes versucht. Ich bin froh, dass ich so arbeiten darf. Das ist natürlich keineswegs selbstverständlich. Der wissenschaftliche Arbeitsmarkt ist schwierig. Mir fallen aber weitere IRS-Alumni ein, die auf Professuren berufen wurden. Ich kenne aber auch viele ehemalige IRS-Kolleg*innen, die die Wissenschaft verlassen haben und heute in Praxisbereichen der unterschiedlichsten Art arbeiten. Mein Eindruck ist, dass einige an ihre wissenschaftliche Tätigkeit gut anknüpfen konnten. Teilweise haben sich durch die Projektarbeit auch Netzwerke außerhalb der Wissenschaft entwickelt, die dann auch Karriereoptionen eröffnet haben.
Und was würden Sie IRS-Nachwuchswissenschaftler*innen mitgeben? Haben Sie einen Tipp?
Wenn man in der Wissenschaft arbeitet, geht es nicht ohne Begeisterung und Enthusiasmus für die Sache! Eine Doktorarbeit zu schreiben ist ein langwieriger und streckenweise auch ein mühseliger Prozess. Das hält man nur durch, wenn man wirklich ein intrinsisches Interesse an seinem Thema hat. Wenn man nach der Dissertation in der Wissenschaft bleiben möchte, ist zusätzlich eine grundsätzliche Bereitschaft zu Mobilität wichtig. Das muss man schon wirklich wollen. Nur dann lohnt es sich auch.
Vielen Dank, Verena Brinks!
Das Interview führte Gerhard Mahnken.