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80 Jahre nach Kriegsende: Offen über Wiederaufbau sprechen
Rückblick auf das Klaus Zernack Colloquium „So viel Anfang war nie? Der Wiederaufbau von Warschau und Berlin nach 1945“

Während anderswo in Europa der Wiederaufbau in weiter Ferne zu liegen scheint, können Deutsche und Polen heute, 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, sachlich und konstruktiv über Kriegszerstörung und Wiederaufbau sprechen. Dies sei keine Neuigkeit mehr, aber auch keine Selbstverständlichkeit, notiert Małgorzata Popiołek-Roßkamp rückblickend zum Klaus Zernack Colloquium „So viel Anfang war nie? Der Wiederaufbau von Warschau und Berlin nach 1945“, das am 25. Februar 2025 in Berlin stattfand. Die IRS-Historikerin hatte ihre Dissertationsschrift zum Wiederaufbau Warschaus nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst. Auf dem Colloquium im voll besetzten Louise-Schroeder-Saal des Roten Rathauses sprach sie über „Legende und Wirklichkeit des Wiederaufbaus“ in Warschau. Ihr Kollege Hanno Hochmuth vom Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschung Potsdam referierte über „Konjunkturen des Wiederaufbaus in Ost- und West-Berlin“. Warschau, Ost-Berlin und West-Berlin: der Vergleich zwischen diesen zwei – oder eher drei – Städten stand im Zentrum des Colloquiums.
Die Reihe wird vom Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften organisiert. Jedes Jahr stehen die Colloquien unter einem anderen Oberthema. 2024 stand beispielsweise die Frage nach Grenzen in der modernen Geschichte im Zentrum. Im Jubiläumsjahr des Kriegsendes lautet nun das Oberthema „Aus Ruinen – Krieg, (Wieder-)Aufbau und Transformation“.
Genau wie Małgorzata Popiołek-Roßkamp bezog sich im Roten Rathaus auch Hanno Hochmuth auf sein aktuelles Buch, so dass jeweils der neueste Stand der Forschung zu Wiederaufbau in Warschau und Berlin zusammengebracht wurde. Es zeigte sich: Vieles ist ähnlich. Planer*innen und Architekt*innen in Ost und West betrachteten die Zerstörung des Krieges als Gelegenheit. Die europäischen Städte wurden nach dem Weltkrieg eben nicht in Vorkriegszustand zurückversetzt, sondern nach Maßgabe aktuelle Ideale neu aufgebaut. Unterschiede finden sich in den ästhetischen Idealen. Während in West-Berlin eindeutig im Stil der Moderne gebaut wurde und in Ost-Berlin sozialistischer Klassizismus dominierte, orientierte man sich in Warschau neben der sozialistischen Architektur an historischen Formen. Popiołek-Roßkamp verfolgte in ihrer Forschung die These, dass der Umgang mit den deutschen Altstädten in den 1930er-Jahre dafür das Vorbild geliefert hatte – eine Idee, die möglicherweise an die Grenze der heutigen deutsch-polnischen Konsensfähigkeit geht. Einen weiteren wichtigen Unterschied bildeten die politischen Systeme. Im Sozialismus war mehr zentrale Planung möglich, und die westdeutschen Städtebauer blickten zum Teil neidisch nach Polen. „Wir werden vor Neid blass, halten uns dann doch lieber an unserer demokratischen Anarchie fest, wenn sie auch für Städtebau schlecht geeignet ist“, zitierte Popiołek-Roßkamp aus den Erinnerungen des Hamburger Denkmalpflegers Johannes Habich.
Ein Videomitschnitt der gesamten Veranstaltung ist auf dem YouTube-Kanal des Zentrums für Historische Forschung Berlin (@cbhPAN) abrufbar.