16. Mai 2024 | Feature

Blogbeitrag: Erhalten oder Abreißen?

DDR-Bauten zwischen Auf- und Abwertung

Welche historischen Gebäude als erhaltenswert gelten und welche zum Abriss freigegeben werden, ändert sich mit der Zeit und mit sich wandelnden Wertvorstellungen. Im Zentrum steht die Frage, welche Stile und Bauepochen als besonders authentisch" gelten. Das Projekt Urban Authenticity" hat untersucht, wie Authentifizierungsprozesse ablaufen, und hat 50 Beispiele, überwiegend aus der DDR, mit Bildern und Texten online dokumentiert. 

Von Daniel Hadwiger

Wirft man einen Blick in einen touristischen Reiseführer über Berlin, wird auf die besondere Stellung der Stadt verwiesen, in der „die Geschichte der deutschen Teilung und Wiedervereinigung hier viel plastischer ist als anderswo“. (1) Dem nach Orientierung suchenden Städtereisenden wird die Besichtigung des Brandenburger Tors, der Museumsinsel, des Reichstages und des Schlosses Charlottenburg empfohlen, denn die „Liste der Sehenswürdigkeiten ist lang“. (2) Die genannten Sehenswürdigkeiten gelten als typisch für Berlin, ihre Zusammensetzung verändert sich jedoch im Laufe der Jahrzehnte und ist immer subjektiv. Zudem sind Sehenswürdigkeiten nur eine Seite derselben Medaille: auf der anderen Seite sind jene baulichen Objekte, die den Status als Sehenswürdigkeit heute nicht mehr besitzen, da sie entweder abgerissen wurden oder vergessen als „Lost Places“ am Stadtrand nach und nach verfallen. Der Abriss des Palastes der Republik führte zu vielen Protesten und löste Debatten über die politische Aufladung des Palastabrisses aus sowie über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses an derselben Stelle. In den Auseinandersetzungen zeigen sich die unterschiedlichen Meinungen, was als typisch, echt und original für die Stadtmitte Berlins jeweils verstanden und diskutiert wurde und immer noch wird. Solche gesellschaftlichen Debatten um den Wert „gebauter Vergangenheit“ von Städten lassen sich als Authentizitätskonflikte umschreiben. Als authentisch gilt, was „im Rahmen eines bestehenden wissenschaftlichen, denkmalpflegerischen, aber auch stadtgesellschaftlichen Wertekanons“ als „bedeutend“ eingestuft und daher als „bewahrenswürdig“ (3) identifiziert wird. Dabei ist es weniger relevant, ob die materielle Substanz eines historischen Gebäudes tatsächlich original ist oder ob ein Stadtviertel die Erstbebauung eines bestimmten Standortes ist. Die Zuschreibung des Authentischen dient in vielen Fällen dazu, Dinge als besonders wertvoll zu benennen.

Die Frage nach der Authentizität des Bauerbes und deren Repräsentation im öffentlichen Raum stellt sich insbesondere bei umstrittenen Epochen und nach politischen Zäsuren wie im Umgang mit der DDR nach 1990. Welche Auf- und Abwertungsprozesse hat das Bauerbe der DDR seit den 1990er Jahren erfahren? Je nach Standort, Akteur*in und politisch-wirtschaftlichen Bedingungen haben einzelne Bauobjekte ganz unterschiedliche Auf- und Abwertungsprozesse erlebt.

In dem von der Leibniz-Gemeinschaft finanzierten Forschungsprojekt „Urbane Authentizität“ haben wir uns drei Jahre lang mit der Frage beschäftigt, wie solche Auf- und Abwertungsprozesse ablaufen, wer an diesen beteiligt ist und wie Städte ihr Selbstbild im Laufe der Zeit verändern, neu formulieren und revidieren. Uns interessierte, ob und warum die unterschiedlichen Dinge wie Gebäude, Straßenzüge oder Parkanlagen als authentisch gehalten werden und was in den einzelnen Fällen eigentlich authentisch sein soll. Uns ist es wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass solche Zuschreibungen immer etwas darüber aussagen, was zu bestimmten Zeiten als erhaltenswert gilt und was nicht.

Anhand von rund 50 Beispielen aus der Region Berlin-Brandenburg und Europa haben wir Orte zusammengetragen, an denen sich verschiedene Authentisierungsprozesse seit den 1970er Jahren aufzeigen lassen. Unsere Website „urban-authenticity“ versammelt diese Beispiele und zeigt unterschiedliche Etappen und Prozesse von Authentisierung auf. Die Architektur aus der DDR hat in den Jahren seit 1989/90 verschiedene Auf- und Abwertungen erfahren. Zu den bekanntesten Objekten zählen der Palast der Republik, das „Ahornblatt“ sowie der „Spreepark“ im Plänterwald.

 

Spuren aus dem Palast der Republik als Wegweiser in die Vergangenheit

Der Palast der Republik wurde 1973 an Stelle des Berliner Schlosses errichtet und zwischen 2006 und 2008 abgerissen. Auf der Fläche des 2020 eröffneten Humboldt Forums sind heute verschiedene Zeitschichten lesbar. Archäologische Funde im Schlosskeller erinnern an die mittelalterliche Geschichte des Ortes. Die Fassade verweist zwar auf das barocke Schloss, doch finden sich ebenso Erinnerungsspuren an den Palast der Republik.

Objekte wie das Wegeleitsystem im Humboldt Forum sind Zeitzeugnisse des ehemaligen Palastes der Republik. Mit dem Ausstellen dieser Leuchtkästen im Humboldt Forum werden gedankliche und mitunter auch emotionale Brücken vom Heute in die Vergangenheit geschlagen: Der Verweis auf ein und denselben Ort schreibt den ausgestellten Objekten aus dem Palast eine Bedeutung zu. Indem sie an den ursprünglichen Ort ihrer Bestimmung zurückgebracht werden, dienen sie heute als Kennzeichnung des Ortes als einstigen Ort des Palastes. Sie rufen so Erinnerungen hervor. Interessant ist, dass die Wegweiser ihre ursprüngliche Funktion, eine Orientierung zu bieten, zwar verloren haben, dafür aber nun nicht nur als Erinnerungszeichen, sondern auch als Design-Objekte zurückgekehrt sind.

 

Die „Großgaststätte Ahornblatt“

Die sogenannte Großgaststätte Ahornblatt auf der Fischerinsel in Berlin wurde zwischen 1973 und 1989 als Behördenkantine für Mitarbeiter*innen der benachbarten Ministerien und als öffentliche Kantine für umliegende Schulen genutzt. Die besondere Dachform in Form eines Ahornblattes, eine Betonschalenkonstruktion entworfen durch den Bauingenieur Ulrich Müther, machte die Großkantine in der Berliner Stadtmitte zu einem unverwechselbaren Bauwerk. Obwohl das Gebäude 1995 als Symbol der architektonischen Moderne in der DDR unter Denkmalschutz gestellt worden war, wurde das Gebäude verkauft und 2000 unter Protest aus der Fachwelt, Presse und Bevölkerung abgerissen. Heute steht an der Stelle des „Ahornblattes“ eine typische Blockrandbebauung der 2010er Jahre mit Wohnungen, Hotels und Büroflächen, wie sie in vielen Städten zu finden ist. Sensibilisiert durch den Protest forderten Fachkreise fortan einen behutsamen Umgang mit den Bauten von Müther ein. Infolgedessen wurde die „Seerose“ in Potsdam unter Denkmalschutz gestellt und vor einem Abriss bewahrt.

 

Der Charme des Verlassenen: Wiederbelebung des „Spreepark Berlin“

Der ehemalige „Kulturpark Berlin“ im Berliner Plänterwald war seit 1969 der größte Vergnügungspark der DDR ausgestattet unter anderem mit einem Riesenrad, mehreren Karussells und Imbissbuden. Mit durchschnittlich 1,5 Millionen Besucher*innen pro Jahr war er einer der meist besuchten Freizeitparks der DDR. Der Fortführung durch einen privaten Betreiber ab 1990 folgte der Rückgang der Besucher*innenzahlen und die Insolvenz des Parks 2002. In den 2000er Jahren wurde der Freizeitpark sich selbst und der Natur überlassen. Die maroden Fahrgeschäfte machten den verlassenen Freizeitpark zu einem beliebten „Lost Place“. Vergessen und heruntergekommen gewann der Park einen geheimnisvollen Charme, den vor allem Fotograf*innen für sich entdeckten und inszenierten.

Seit 2016 wird das Gelände im Besitz der Grün Berlin GmbH zu einem Kunst- und Kulturpark umgestaltet. Einige ehemalige Fahrgeschäfte wie das bekannte Riesenrad sollen wieder aktiviert werden. Im Besonderen soll das Gelände zu einem Erholungs- und Lernort der Natur werden, wo die von Pflanzen überwucherten Fahrgeschäfte weiterhin bestaunt werden können und geschützte Pflanzenarten bewahrt werden.

Der „Spreepark Berlin“ mit den zurückgelassenen Fahrgeschäften versprüht heute eine Aura eines einst lebendigen Ortes, der lediglich repariert werden müsste. Die sichtbaren Brüche werden bewahrt und als authentisch inszeniert, die Spuren der Zeit werden nicht entfernt oder rekonstruiert, sondern bewusst als überwachsene, brüchige Geschichte präsentiert.

 

Dieser Beitrag wurde erstmals am 15. Januar 2024 im Blog des Humboldt Forums veröffentlicht. Daniel Hadwiger ist Historiker und arbeitete von 2020 bis 2023 als Postdoc im Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte und Archiv" des IRS. Im Projekt Urban Authenticity" am IRS untersuchte er Authentisierungsprozesse in Marseille und war für die Webseite »urban-authenticity.eu« verantwortlich. Er studierte Geschichte und Europäische Literatur in Deutschland und Frankreich.

(1) Vorwort, in: Kilimann, Susanne; Knoller, Rasso; Nowak, Christian: Kurztrip Berlin, Berlin (Trescher Verlag), 3. Auflage, 2021, S 11.

(2) Ebd., S. 11.

(3) Bernhardt, Christoph/Sabrow, Martin/Saupe, Achim: Authentizität und Bauerbe. Transdisziplinäre Perspektiven, in: Dies. (Hg.): Gebaute Geschichte. Historische Authentizität im Stadtraum, Göttingen (Wallstein) 2017, S. 9–22, hier S. 14f.

Autor

Dr. Daniel Hadwiger

Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte
Ludwig-Maximilians-Universität München