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Wie Wissenstransfer Transformationen unterstützen kann
Policy Paper regt Wandel im Wissenschaftssystem an
Damit Wissenstransfer aus Hochschulen und Instituten wirksam zur Bewältigung gesellschaftlicher und ökologischer Transformationen beiträgt, muss er neu aufgestellt werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Raumbezogene Sozialforschung, das die Rolle von Hochschulen in Innovationsprozessen untersucht hat. Die Ergebnisse wurden in einem Policy Paper zusammengefasst, das im November 2023 vorgestellt wurde. Zentrale Forderungen sind eine Zuwendung zur Zivilgesellschaft als Zielgruppe von Transfer, die Abkehr von reiner Technologie-Orientierung und die Öffnung der Hochschulen für Impulse aus der Praxis.
Auf dem 55. Brandenburger Regionalgespräch des IRS zum Thema „Was heißt hier Transfer? Wissenschaftliche Einrichtungen und ihre Rolle für die regionale Entwicklung“ stellte Suntje Schmidt, Leiterin des Forschungsschwerpunkts „Ökonomie und Zivilgesellschaft“ das Policy Paper „Wissenstransfer als kritische Infrastrukturierung: Vier Thesen zur Gestaltung von Wissenstransfer als Zusammenspiel von Wissenschaft und gesellschaftlicher Innovationsfähigkeit“ vor. Es erschien in der institutseigenen Reihe IRS Dialog.
Suntje Schmidt und ihr Ko-Autor Tim Rottleb argumentieren, dass evidenzbasiertes Handeln heute für die Gesellschaft unverzichtbar ist, wie beispielsweise die Corona-Pandemie gezeigt hat. Die Forschung nimmt deshalb die Rolle einer kritischen Infrastruktur für die Gesellschaft ein. Zugleich wird der klassische Weg, Wissen in Form von Patenten, Publikationen oder Beratung in die Praxis zu „transferieren“, den heutigen Bedarfen nicht gerecht. Wissenstransfer soll deshalb nicht mehr als Einbahnstraße verstanden werden. Stattdessen soll die WIssenschaft laufend mit der Gesellschaft in Kontakt sein und sich in Transformationsprozesse einbringen, wofür sie Anpassungs- und Wandlungsfähigkeit benötigt. Aus diesem Grund sprechen die Autor*innen von Transfer als "kritischer Infrastrukturierung".
Weiterhin soll der Wissenstransfer seinen bisherigen Fokus auf Technologie und wirtschaftliche Verwertung überwinden und „soziale Innovationen“, also die gesellschaftliche Verankerung neuer Problemlösungen, anvisieren. Entsprechend sollen neben Unternehmen vielfältige gesellschaftliche Akteure, von der Stadtverwaltung bis zur Dorfinitiative, als Partner für den Wissenstransfer verstanden werden. Wissenschaft und Praxis sollen dabei gleichberechtigt voneinander lernen und Probleme als Gelegenheiten für Innovationen begreifen. Als ideale Form der gemeinsamen Arbeit an Problemen skizziert das Paper „Communities of Practice“: Gruppen von Menschen aus unterschiedlichen Organisationen, die sich um eine konkrete praktische Herausforderung versammeln und langfristig daran arbeiten. Solche Communities aufzubauen und zu pflegen soll demnach als Aufgabe von Wissenstransfer begriffen und in der Wissenschaft verankert werden.
Um diese Neuausrichtung zu erreichen sind nach Auffassung von Schmidt und Rottleb neue Strukturen von Hochschulen und anderen Forschungseinrichtungen nötig. Unter anderem soll bei Berufungen auf Professuren das Engagement für den Wissenstransfer gewürdigt werden. Hochschulen sollten außerdem Forschung und Lehre für den Transfer öffnen. Auch Menschen, die lange in der Praxis tätig waren und nun über Reformen in ihrem Feld nachdenken wollen, sollen im Wissenschaftssystem willkommen sein – über Promotionsstellen, Lehrtätigkeit und Fellowships.
Das Policy Paper basiert auf den Erkenntnissen des Projekts „Open Region: Regionale Problemlagen als Ausgangspunkte von Innovationen“, ein Teilprojekt der Innovativen Hochschule „Innovation Hub13 – fast track to transfer“. Es lief von Januar 2018 bis Dezember 2022 und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Die im Papier formulierten Thesen wurden vom Team des „Open Region“-Projekts in einem Policy Lab Ende 2022 gemeinsam mit Akteuren aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft entwickelt.