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Sammeln und Entsammeln
54. Regionalgespräch diskutiert Platzprobleme der Berlin-Brandenburger Archive
In Berlin und Brandenburg gibt es ganz unterschiedliche Archive, Museen sowie öffentliche und private Sammlungen, die architekturgeschichtliche Quellen bewahren. Am 6. September 2023 veranstaltete das IRS in Präsenz ein gut besuchtes 54. Brandenburger Regionalgespräch zum Thema „Architektur im Archiv. Vom Sammeln – und Entsammeln“. Anlass für die Beschäftigung mit Aussonderungen in Architekturarchiven gab der überall zu spürende Problemdruck angesichts knapper werdender räumlicher, personeller und finanzieller Ressourcen.
Wie im Format des Brandenburger Regionalgesprächs üblich, wurden zu Beginn kurze pointiete Statements gehalten, um dann die so eingeführte Problematik zu diskutieren. Es gab drei externe und zwei IRS-Statements aus den Wissenschaftlichen Sammlungen.
Dieter Nägelke (Architekturmuseum der TU Berlin) berichtete zunächst als Sprecher der Föderation deutschsprachiger Architektursammlungen, die Diskussionen in diesem bewährten fachlichen Netzwerk hätten sich verschoben: von Erfolgsmeldungen im Hinblick auf Zuwächse hin zur Schilderung von Herausforderungen. Er machte in heiterer Form sechs sehr verschiedene Typen von professionell Sammelnden aus und stellte fest, Sammlungen würden allenthalben mit den Grenzen ihres Tuns konfrontiert, weshalb Sammeln und Entsammelnuntrennbar zusammengehörten.
Anschließend führte Andreas Matschenz (Kartenabteilung des Landesarchivs Berlin) in die Genese einschlägiger Bestände in seinem Haus ein und gab einen Überblick über die regelbasierte Kassation im zumal staatlichen Archivwesen, ausgehend vom jeweiligen Dokumentationsprofil und auf der Grundlage des archivwissenschaftlichen Diskurses. Bewertungsentscheidungen sollten am besten möglichst früh getroffen werden, im Prozess der Übernahme, da Aussonderungen nachträglich kaum zu leisten seien. Dennoch seien spätere Feinbewertungen immer einmal wieder angebracht, so bei Mehrfachüberlieferungen.
Amrei Buchholz (Baukunstarchiv der Akademie der Künste, Berlin) sprach über die zunehmende Bedeutung des Themas Kassation auch für das große Archiv der AdK mit seinen verschiedenen Spezialabteilungen für die verschiedenen Künste. Derzeit würden in Kooperation mit der FH Potsdam (in Form einer Masterarbeit eines Archivmitarbeiters) Kassationsrichtlinien entwickelt, die die bestehenden Bewertungsrichtlinien ergänzen sollen, um in der Folge Ressourcen frei machen zu können. Leider schaffe die Digitalisierung letztlich keine Entlastung. Wichtig sei der Austausch mit den Bestandsbildner*innen.
Für das IRS berichtete zunächst Kai Drewes über die besonderen Ausgangsbedingungen, u.a. hinsichtlich vieler Unterlagen zur DDR-Architekturgeschichte, die verloren gegangen seien. Im IRS werde vergleichsweise breit und umfassend gesammelt, was viele Nutzende schätzten, und anfangs sei man froh über alles Angebotene gewesen. Zunehmend stelle sich aber die Herausforderung, dass immer größere Bestände angeboten würden, während es zugleich (wie fast überall) einen Rückstau bei der Erschließung gebe. Es sei elementar, sich der Probleme anzunehmen und z.B. buchartige Materialien stärker als bislang auszusondern, auch das Sammlungsprofil nicht ungebremst auszudehnen, zugleich die schon vorhandenen Bestände noch stärker in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen.
Rita Gudermann (IRS) berichtete über Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung und des Datenhostings am Beispiel des von ihr geleiteten Projekts zur Verbesserung der digitalen Infrastruktur der Wissenschaftlichen Sammlungen und der zeithistorischen Forschung am IRS. Im Hinblick auf zunehmend mehrfach vorhandene digitale Objekte könnten künftig womöglich KI-Verfahren helfen, Bereinigungen vorzunehmen. Allerdings seien unbeabsichtigte Datenlöschungen und nicht zuletzt die leider zunehmendenCyberangriffe auf öffentliche Einrichtungen eine Problematik, die anders herum durchaus für durchdachte zusätzliche Datensicherungen sprechen könnte.
Hinsichtlich seiner eigenen Einrichtung gab Dieter Nägelke einen Überblick über die traditions- und windungsreiche Geschichte des Sammelns von Materialien zur Architekturgeschichte an der heutigen TU Berlin und die Grundlagen und Ziele des umfassenden Museumsprojekts zum Scannen und Verfügbarmachen möglichst aller Bestände im Internet (u.a. auch aus Gründen des Bestandsschutzes). Trotz einer Verkleinerung des Sammelgebiets wüchsen die Bestände weiter an, Architekt*innen müssten daher zunehmend schon vorab eine Auswahl aus ihren eigenen Unterlagen treffen. Diskutiert werden müsse aber auch, ob die TU-Digitalisate mit ihrem „Faksimileanspruch“ zumindest manche (jüngere, weniger wichtige) Originale überflüssig machten.
Anhang der Inputs und in den Diskussionen wurde deutlich, dass bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Einrichtungen grundsätzlich ähnliche Herausforderungen bestehen und es darum gehen muss, die Handlungsfähigkeit der Archive und Sammlungen zu bewahren. Äußerst hilfreich ist immer wieder der ehrliche Austausch zwischen den Einrichtungen selbst etwa über Kassationskriterien und den Umgang mit Bestandsbildner*innen wie auch die Möglichkeiten und Grenzen digitaler Verfahren. Ebenso wichtig ist der Dialog mit denen, deren Bestände übernommen werden, wie auch mit solchen, die sie beforschen. Denn wichtig ist immer wieder die Frage, für welche Ziele und Nutzungsszenarien gesammelt wird. Neben der unverzichtbaren Vernetzung der Archive selbst (bisweilen auch, um Bestände untereinander abzugeben) erscheint es wichtig, hinsichtlich der aufgezeigten Herausforderungen Lobbyarbeit zu betreiben, angefangen mit den eigenen Leitungsebenen und Stakeholdern bis hin zu Politik, Medien und Öffentlichkeit. Bei alledem besteht das Dilemma, dass stets Ressourcen eingesetzt werden müssen, um in der Folge Ressourcen einsparen zu können: Entsammeln ist nicht weniger wichtig und nicht weniger zeitintensiv als Sammeln.