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Im Gedenken an Dr. Bruno Flierl (1927–2023)
Mit tiefer Betroffenheit nehmen wir Abschied von Bruno Flierl, der am 17. Juli 2023 im Alter von 96 Jahren in Berlin verstorben ist. Der prominente Architekturtheoretiker und -kritiker war dem IRS über Jahrzehnte in besonderer Weise verbunden, und wir haben ihm viel zu verdanken. Kaum jemand hat es seit der Friedlichen Revolution von 1989 wie Flierl vermocht, Brücken zu bauen zwischen Menschen ganz unterschiedlicher Prägung, die sich mit Architektur und Städtebau der DDR und deren baulichem Erbe beschäftigen. Besonders authentisch war Bruno Flierl vor allem deshalb, weil er jedes politische System mit seinem Bau- und Planungswesen dezidiert kritisch, aber gleichzeitig konstruktiv analysierte. So sah er die DDR, in die er 1950 aus eigenen Stücken übersiedelt war, trotz und wegen seiner sozialistischen Überzeugungen mit kritischer Sympathie und eckte in ihr wiederholt an. Sein Verhältnis zum wiedervereinigten Deutschland lässt sich bei allen Unterschieden ähnlich charakterisieren. Über den Tellerrand hinaus schaute er ohnehin stets. Als Frühpensionär konnte er bereits in den 1980er-Jahren nach Westeuropa und Nordamerika reisen.
Der bis ins hohe Alter ungemein produktive Autor, gefragte Experte und charmante Netzwerker Flierl wurde mit der Zeit vielen zum geschätzten Gesprächspartner, Ratgeber und väterlichen oder großväterlichen Freund. Bei den IRS-Werkstattgesprächen zur DDR-Planungsgeschichte war er Stamm- und faktisch Ehrengast. Zuletzt, im Mai 2022, konnte er aus gesundheitlichen Gründen jedoch nur noch zusammen mit seinem Sohn Thomas Flierl (der als Architekturhistoriker und Kulturpolitiker seinerseits Akzente gesetzt und vielfach mit dem IRS kooperiert hat) kurz digital dazu geschaltet werden – ein sehr bewegender Moment für die Teilnehmenden im Konferenzsaal des IRS.
Bruno Flierls Beziehung zum IRS reicht jedoch bis in die DDR-Zeit zurück, da er längere Zeit wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Städtebau und Architektur (ISA) der Bauakademie war, der Vorgängereinrichtung des IRS. Seine wichtigste formelle Position hatte er freilich schon Anfang der 1960er-Jahre inne, als dynamischer Chefredakteur der führenden DDR-Fachzeitschrift Deutsche Architektur (DA) – wenn auch nicht lange: Damals hoffte er noch auf Reformmöglichkeiten im Bauwesen, verlor jedoch bald auf Grund seiner kritischen Einstellung seinen Posten. So hatte er 1963 das niederschwellige, vergleichsweise offene „Müggelturmgespräch“ des neuen Bauministers Junker mit Architekten und Stadtplanern auszugsweise dokumentiert, mit einem Schwerpunkt auf kritischen Passagen. Die gedruckte, mit dem Minister nicht abgestimmte Dokumentation rief erheblichen Unmut bei Staats- und Parteifunktionären hervor, und aus den noch nicht ausgelieferten Exemplaren des DA-Hefts wurde die entsprechende Seite herausgetrennt.
In den Wissenschaftlichen Sammlungen des IRS wiederum sind heute sowohl Bruno Flierls 17-seitige Mitschrift des „Müggelturmgesprächs“ als auch die sanktionierte, in Bibliotheken nicht überlieferte DA-Seite dokumentiert. Denn Flierl hat schon frühzeitig seine reichhaltigen Arbeitsunterlagen zur Archivierung vorbereitet und übergeben, und das IRS schätzt sich glücklich, den wohl wichtigsten Teil seines Nachlasses zu besitzen. Weitere Teilnachlässe befinden sich im Archiv der Universität der Künste in Berlin und im Archiv der Moderne der Bauhaus-Universität Weimar. Flierl hatte an beiden Hochschulen studiert. In IRS aktuell (Nr. 58 vom April 2008) hat Flierl „Gedanken zur Übergabe meines Archivs an das IRS“ festgehalten. Auch widmete das IRS ihm anlässlich seiner runden Geburtstage 2007 und 2017 den Band 4 der Reihe REGIO doc. Darin ist seine umfangreiche, andere autobiografische Texte ergänzende „Arbeitsbiografie und Werkdokumentation“ enthalten. Die erweiterte, von Christoph Bernhardt herausgegebene Neuauflage, die Flierl noch tatkräftig vorantrieb, umfasst den beeindruckenden Schaffenszeitraum von 1948 bis 2017. Darüber hinaus richtete das IRS zu Bruno Flierls 90. Geburtstag eine Ausstellung zu seinem Wirken und ein lebhaftes Fachgespräch mit ihm aus.
Zuletzt war es immer stiller um Bruno Flierl geworden, dessen Gesundheit schon lange angeschlagen war. Dankbar und mit großem Respekt für seine Leistungen werden wir ihn stets in bester Erinnerung behalten und empfinden tiefes Mitgefühl mit seiner Familie.
Harald Engler und Kai Drewes