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Wem gehört die Stadt?
IRS Spring Academy zum Einfluss von Kapitalmärkten auf Stadtentwicklung
Die sechste IRS Spring Academy widmete sich vom 23. bis zum 26. Mai 2023 der Frage, wie die Logik des Kapitalmarkts Stadtentwicklung und Wohnen beeinflusst. 22 internationale Nachwuchswissenschaftler*innen setzten sich in Seminaren, Keynote Lectures, Paper Pitches, Workshops sowie einer Exkursion und einer Podiumsdiskussion mit der Frage auseinander. Das Event wurde vom IRS gemeinsam mit der Humboldt-Universität zu Berlin organisiert.
Seit 2017 bietet die jährliche IRS Spring Academy internationalen Nachwuchsforschenden aus Raum- und Sozialwissenschaften die Gelegenheit, intensiv zu netzwerken und sich qualifiziertes Feedback für ihre Arbeit zu holen. Das IRS bindet in das viertägige Event nicht nur internationale Spitzenwissenschaftler*innen als Keynote Speakers und Mentor*innen ein, sondern holt auch themenspezifisch jeweils eine passende Partnerorganisation aus Berlin-Brandenburg ins Boot. Ein Teil des gemeinsamen Lernens geschieht dann vor Ort beim Partner, mit vielen Begegnungsmöglichkeiten und praktischer Anschauung. Unter dem Titel „Spaces of Financialisation and De-Financialisation“ hielt das IRS gemeinsam mit dem Georg-Simmel-Zentrum für Metropolenforschung der Humboldt-Universität zu Berlin Ende Mai 2023 die sechste Spring Academy ab. Nachdem sich die Academy 2022 in Kollaboration mit dem Robert Koch-Institut dem noch akuten Thema „Spaces of Infection“ gewidmet hatte, kam somit abermals eine sehr politische Frage auf die Agenda: die nach dem Einfluss der Kapitalmärkte auf Wohnen, Stadtentwicklung und unser aller Alltag.
22 Promovierende und Postdocs aus elf Ländern, aktiv in Forschungsdisziplinen wie Geographie, Soziologie, Planung, Architektur und Design, brachten ihre laufenden Forschungsprojekte mit, die das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln adressierten, wie etwa: Wie beeinflusst Finanzialisierung städtische Mega-Bauprojekte? Sind Stadtplaner*innen letztlich auch Marktakteure? Oder auch: Wem gehört Leipzig-Connewitz? Unter Leitung von Matthias Bernt, kommissarischer Leiter des IRS-Forschungsschwerpunkts „Politik und Planung“, und Andrej Holm, Stadt- und Regionalsoziologe an der Humboldt-Universität, wurde das Thema in mehreren Seminaren diskutiert. Paper Pitches dienten dazu, eigene Forschungsideen pointiert vorzustellen und Feedback zu bekommen. Solche ergebnisorientierten Formate sind typische Elemente der Spring Academy: In Doing Research-Workshops tauschten die Teilnehmenden sich zu praktischen Fragen von Methodik und Feldforschung aus. Beim Meet the Editors and Reviewers Panel erfuhren sie, wie eingereichte Papers in Fachzeitschriften ausgewählt und bewertet werden. In intensiven „One on one“-Gesprächen erhielten sie von renommierten Wissenschaftler*innen wertvolle Hinweise zu ihren Forschungsvorhaben.
Neben Bernt und Holm waren dies Michael Janoschka, Professor für Regionalwissenschaft am Karlsruher Institut für Technologie, Sabine Dörry, Senior Researcher am Luxembourg Institute of Socio-Economic Research, Manuel B. Aalbers, Professor für Humangeographie an der Katholischen Universität Leuven (Belgien) und Desiree Fields, Associate Professor für Geography and Global Metropolitan Studies an der University of California, Berkeley, wobei Aalbers und Fields auch als Keynote Speakers auftraten. Aalbers zeigte in seiner Lecture mit Hilfe des Lebenswelt-Ansatzes des Philosophen Jürgen Habermas, wie monetäre Bewertungskategorien heute den Alltag strukturieren und dabei Zwischentöne und kontextuelle Eigenheiten zunehmend verschwinden lassen. Fields präsentierte den Entwurf ihres aktuellen Forschungsprogramms über die Funktionsweise eines immer stärker digitalisierten Kapitals, der sie zu dystopischen Realitäten wie dem Robo-Vermieter und voll algorithmisierten Prozessen der Schuldenaufnahme führte.
Um die Auswirkungen der Finanzialisierung direkt zu erleben, unternahm die Gruppe einen langen Spaziergang von Berlin-Mitte nach Kreuzberg. Unterwegs zeigte Laura Calbet Elias, Leiterin des Städtebau-Instituts der Universität Stuttgart und ehemalige IRS-Wissenschaftlerin, anhand zahlreicher Gebäude, wie Immobilien in Berlin seit ca. dem Jahr 2000 den Besitzer wechselten, wie Großinvestoren in den Markt vordrangen und wie sich das auf Bautätigkeit und Wohnungsangebot auswirkte. Hannes Strobel zeigte anhand der in den 1950er-Jahren gebauten Otto-Suhr-Siedlung in Kreuzberg, wie Wohnungsunternehmen energetische Sanierung zur Maximierung der Miete nutzen, und wie Mieterinitiativen zumindest Teilerfolge im Widerstand dagegen erzielen. Am Ziel der Exkursion, dem aquarium (Südblock) am Kottbusser Tor, widmete sich eine Podiumsdiskussion, moderiert von Michael Janoschka, der Frage, was sich aus dem Beispiel Berlin lernen lässt. Auf dem Podium diskutierten neben Matthias Bernt und Manuel Aalbers auch Rabea Berfelde von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, Wibke Werner vom Berliner Mieterverein und Niklas Schenker von der Partei Die Linke.
Mit ihren vielen Begegnungen, lebendigen Diskussionen und dem intensivem Austausch war die Spring Academy 2023, maßgeblich organisiert von IRS-Wissenschaftlerin Georgia Alexandri und dem IRS-Referenten für Forschungsförderung und Internationales Stefan Lindemann, für alle Beteiligten sehr erfolgreich. Und obwohl die Zusammenarbeit zwischen IRS und Georg-Simmel-Zentrum an sich ein Novum darstellte, trug hier auch die langjährige Zusammenarbeit zwischen Matthias Bernt und Andrej Holm in der Forschung zu Wohnungsmärkten, Gentrifizierung und Finanzialisierung Früchte.