Hauptinhalt
Projektband zum Kampf gegen den Altstadtverfall in der DDR erschienen
Große Teile der Altbaubestände in der DDR befanden sich in den späten 1980er-Jahren in teilweise katastrophalem Zustand. Der Partei- und Staatsführung gelang es nicht, diese Altbauquartiere vor allem in den Innenstädten großflächig zu erhalten, und so wurde ihr Zustand als ein Symbol des gesellschaftlichen und staatlichen Niedergangs wahrgenommen. Gegen diesen Verfall kämpften in den letzten Jahren der DDR Stadtbewohnerinnen und -bewohner, die sich zu Bürgergruppen zusammenschlossen und zumeist unter dem Dach der Kirche oder des Kulturbundes agierten. Das Wirken dieser Bürgergruppen sowie weiterer Reformakteure, ihre Erfolge sowie der Umgang mit ihnen und den Altstädten in der Transformationszeit nach 1989 werden in einem Sammelband analysiert, der von Harald Engler mit herausgegeben wurde und bei dem weitere IRS-Mitarbeiter*innen des Projekts „Stadtwende“ beteiligt waren.
Im September 2022 erschien der Projektband „Stadtwende. Bürgerengagement und Altstadterneuerung in der DDR und Ostdeutschland“ im Berliner Christoph Links Verlag. Der Band fasst die Forschungsergebnisse zusammen, die im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt „Stadtwende. Stadterneuerung am Wendepunkt – die Bedeutung der Bürgerinitiativen gegen den Altstadtzerfall für die Wende in der DDR“ entstanden. Das Projekt wurde im Forschungsschwerpunkt Zeitgeschichte und Archiv des IRS durch Harald Engler geleitet und zusammen mit der Universität Kaiserslautern, der Universität Kassel und der Bauhaus-Universität Weimar beantragt und durchgeführt.
Grundlegende Projektidee war es, das Wirken und die Bedeutung von DDR-Bürger*innen im Kampf gegen den Verfall von Altstädten in der DDR zu untersuchen. Vor der Wende gab es etwa 20, in der Wende- und Transformationszeit der DDR insgesamt dagegen mehr als 200 Gruppierungen in verschiedenen Städten der DDR bzw. Ostdeutschlands. Aufgrund des Verbots von privaten und nichtstaatlichen Vereinen und Initiativen in der DDR konnten diese Gruppen nur unter dem Dach der Kirche oder staatlicher Institutionen wie dem Kulturbund agieren. Neben dieser Bewegung von unten kämpften in der DDR aber auch andere Akteure in bestehenden staatlichen Institutionen gegen den Altstadtverfall. Dabei handelte es sich um Fachleute aus dem Bau- und Planungswesen, die in den Stadtplanungsämtern von Städten arbeiteten sowie Beschäftigte von Universitäten und Forschungsinstituten wie der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar oder dem Institut für Städtebau und Architektur (ISA) der Bauakademie der DDR. Das Wirken beider Gruppen von Akteuren, ihre partielle Kooperation, ihre Erfolge beim Verhindern von Abrissen und letztlich ihr Beitrag zur friedlichen Revolution im Herbst 1989 wurden im Projekt im interdisziplinären Zusammenhang analysiert. Der zeitliche Rahmen der Analyse erstreckte sich dabei auf die 1980er-Jahre bis zur Friedlichen Revolution 1989, schloss aber die Transformationszeit danach bis etwa zum Jahr 2000 explizit mit ein, weil einige Konzepte und Denkmodelle aus der DDR-Zeit in die Gesetzgebung des städtebaulichen Denkmalschutzes im wiedervereinigten Deutschland hinein fortwirkten.
Herausgegeben wurde der Band von insgesamt sieben Projektbeteiligten, zu denen nicht nur Leitungsverantwortliche, sondern auch Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts gehören; darunter Harald Engler vom IRS, der auch die Einleitung zum Band mitverfasste sowie für den ersten Themenbereich „Politik und Stadtproduktion“ den zeitgeschichtlichen Hintergrund für die beiden Jahrzehnte vor und nach 1989 analysiert. Andreas Butter vom IRS untersucht in seinem Beitrag in diesem Themenbereich zu DDR-Zeiten wirksame fachliche Reformansätze anhand von Leitbildern und Handlungsmustern in Beiträgen der Zeitschrift „Architektur der DDR“. Einen zentralen Beitrag zum Band lieferten für das IRS Julia Wigger, die das bürgerschaftliche Engagement und den Protest für die historische Bausubstanz analysiert, sowie Sarah Day, die die interaktive Website für das Stadtwendeprojekt (https://stadtwende.de/) vorstellt. Weitere Beiträge befassen sich u.a. mit verschiedenen Strategien des Bestandserhalts, der Leipziger Volksbaukonferenz, der Implementierung von Erhaltungsstrategien in der Architekturlehre an Universitäten, dem deutsch-deutschen Austausch und seinen Wirkungen auf diesem Gebiet sowie verschiedenen Fallbeispielen. Insgesamt beleuchtet der Band ein Thema der Geschichte der DDR und Ostdeutschlands, das in dieser Tiefe und empirischen Breite bis heute nicht erforscht war und liefert so einen wichtigen Beitrag zur friedlichen Revolution und zur Transformationsgeschichte.