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Neues Paper: Berliner Modedesigner*innen zwischen online und offline Räumen
IRS-Doktorandin Alica Repenning untersucht in ihrem Dissertationsprojekt im Forschungsschwerpunkt „Ökonomie und Zivilgesellschaft“ die Räume kreativer Arbeit im Modedesign. Nun ist ihr Paper „Workspaces of Mediation: How Digital Platforms Shape Practices, Spaces and Places of Creative Work“ in der Fachzeitschrift „Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie (TSEG)“ erschienen. Die Analyse von Berliner Modedesigner*innen zeigt, dass diese sich in einem komplexen Geflecht von digitalisierten Arbeitsräumen, Arbeitsorten und Arbeitspraktiken bewegen. Digitale Plattformen wie beispielsweise Instagram bestimmen dieses Geflecht durch ihre Strukturen und Mechanismen mit.
Arbeitsräume zwischen online und offline Interaktionen
Organisieren, kreativ sein, mit Textilien arbeiten, Netzwerken, Bilder auf Instagram teilen, den Online-shop aufsetzen – so lassen sich einige Elemente der Arbeit von Modedesigner*innen in Berlin zusammenfassen. Dabei sind online und offline Räume, Praktiken und Interaktionen oft nur noch schwierig auseinander zu halten.
Unter dem Titel „Workspaces of Mediation” schlägt Alica Repenning deshalb eine Brücke zwischen der Literatur zu Geographien des Digitalen und den Forschungen zur Arbeit in der Kreativindustrie. Das Konzept der „Räumlichen Mediation“ („spatial mediation“) erweist sich hierbei als besonders fruchtbar, um zu verstehen, wie online und offline Räume und Interaktionen im Alltag zusammenkommen, sich wechselseitig beeinflussen und überlagern. Das Beispiel von Berliner Modedesigner*innen zeigt, dass viele alltägliche Prozesse des Modedesigns eng mit den digitalen Oberflächen von Plattformen verzahnt sind. Hier orchestrieren und zirkulieren die globalen Plattformkonzerne Informationen von vernetzten Personen und Unternehmen. Die dadurch entstehende, erweiterte digitale Arbeitsumgebung von Modedesigner*innen beeinflusst Arbeitspraktiken, Arbeitsräume und Arbeitsorte.
Entlang dieser drei Dimensionen sind online und offline Sphären eng miteinander verwoben. Deshalb setzt das Papier methodisch auf eine Kombination von online und offline Beobachtungen, die im Tandem mit qualitativen Interviews durchgeführt wurden. Interviewt wurden Modedesigner*innen in Berlin und weiteren Personen der Modebranche. Bei den ersten neun Interviews war auch Repennings Kollegin Anna Oechslen dabei. Eines der Interviews wurde zu dritt, gemeinsam mit der Dissertationsbetreuerin Suntje Schmidt durchgeführt. Neben offline Beobachtungen auf Modewochen, Märkten oder in Designstudios wurden vor allem online Beobachtungen auf der Plattform Instagram, auf Webseiten und in Onlineshops vorgenommen. Anhand des qualitativen Daten-Mixes konnte ein detailliertes Bild über die Praktiken, Orte und Räume von Modedesigner*innen in Berlin gewonnen werden.
Digitale Komponenten des Studios, der Stadt, der Designerin und ihrer Arbeit
Die Inspirationssuche, beispielsweise, verläuft längst nicht mehr nur offline, sondern wird auch auf online Räume verlagert. Die Designer*innen müssen sich hierbei jedoch immer wieder aktiv von den Informationen auf der Plattform lösen, damit sie Ideen umsetzen können, die neu und kreativ sind, anstatt Vorhandenes zu replizieren. Auch die Reputation der Marke und des Designs werden in einer Verzahnung von online und offline Interaktionen und Indikatoren aufgebaut. Die Designer*innen beschreiben, wie die Plattform dabei hilft, um sich zu präsentieren und eine Marke aufzubauen, aber gleichzeitig auch Tücken hat, da viel Arbeit für die Schaffung einer digitalen Reputation aufgewendet wird, deren Ergebnisse nur schwer vorherzusehen und nachzuvollziehen sind.
Auch die Arbeitsräume von Modedesigner*innen haben durch die Plattform Instagram eine digitale Erweiterung erfahren. Das Studio, die Stadt, und der Stadtteil der Marke erhalten eine digitale Komponente, die gepflegt und gezielt, oder auch nebenbei, in Szene gesetzt wird. GPS-Referenzen und Bilder vom Studio oder der Stadt sind Beispiele dieser digitalen Raumreferenzen. Dabei entscheiden die Designer*innen bewusst, welche Referenzen zu Berlin oder ihrem Stadtteil sie einsetzen, oder ob sie vermehrt Bilder aus Paris oder Mailand zeigen, um ein internationales Image der Marke aufzubauen und so eine gewisse Professionalität zu signalisieren. Auch eine Vielzahl von Interaktionen auf lokalen oder internationalen Modewochen sind anhand von Videos oder Bildern sofort über die Plattform mitzuerleben.
Die Interaktion über die digitale Plattform haben zudem zu einer Erweiterung der Arbeitsorte geführt. Ein Designer beschreibt, wie er am Sonntagmorgen im Bett einen Instagram-Beitrag vorbereitet. Dieses Beispiel zeigt, dass die digitalen Räume oft eng mit Alltagshandlungen und Orten verknüpft sind und zu einer vermehrten Vermischung von Arbeit und Alltag führen. Auch wenn beispielsweise eine Designerin mit einer Freundin spazieren geht und ein Bild von einer städtischen Atmosphäre aufnimmt, das sie dann auf Instagram teilt, wird der Ort im weiteren Sinne zu einem Arbeitsort. Gleichzeitig wird dieser Eindruck der Stadt Berlin mit einem internationalen Netzwerk geteilt und steht in einer engen atmosphärischen Verbindung zu der Designerin und ihrer Kleidung. Ein weiterer Designer beschreibt, dass er immer wieder zwischendurch schaut, wer auf seine Beiträge reagiert hat, sie angesehen hat, oder einen Kommentar hinterlassen hat, sodass er oft zu seinem Handy greift, um diese Informationen abzurufen – wo auch immer er sich gerade befindet. Außerdem kann man sich zu jeder Zeit und zu jedem Ort über aktuelle Geschehnisse in seinem persönlichen und beruflichen Netzwerk informieren.
Die Forschung für diese Publikation führte Alica Repenning im Rahmen des Leitprojekts „Plattform-Ökologie: Kreative Zusammenarbeit im Spannungsfeld zwischen virtuellen und konkreten Räumen am Beispiel von Modedesign“ gemeinsam mit Oliver Ibert, Suntje Schmidt und Anna Oechslen in der Forschungsgruppe „Kreativität und Arbeit“ durch. Es handelt sich den ersten von drei geplanten Artikeln im Rahmen von Repennings kumulativer Dissertation im Fachbereich der Wirtschaftsgeographie an der Humboldt Universität Berlin. Das zweite Paper wird beleuchten, welche Friktionen entstehen, wenn ein Teil des Arbeitsraumes von globalen Digitalkonzernen strukturiert wird, die nach ganz bestimmten Unternehmenslogiken, Praktiken von Nutzenden steuern. In einer weiteren Publikation werden die on/offline Strategien von einzelnen Kreativunternehmer*innen näher unter die Lupe genommen, um Plattform-basierte unternehmerischen Praktiken genauer zu verstehen und neue digitale Abhängigkeiten aufzudecken.
Repenning, Alica (2022): Workspaces of Mediation: How Digital Platforms Shape Practices, Spaces and Places of Creative Work. Tijdschrift voor Economische en Sociale Geografie, 113 (2), 211-224.