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Neues DFG-Projekt zu Architekturkollektiven in der DDR
Die marxistisch-leninistische Staatsideologie der DDR postulierte, dass der einzelne Mensch seine Fähigkeiten nur in der Gemeinschaft des Kollektivs vollumfänglich entfalten könne. Dieser Grundsatz des sozialistischen Arbeitens wurde auch auf die Architektur und Stadtplanung in der DDR übertragen. Aber wie haben sich diese Architekturkollektive organisiert? Wie waren die Arbeitsstrukturen gesetzlich geregelt und politisch geprägt? Welche Auswirkungen hatte das kollektive Arbeiten auf die Kreativität der Entwurfsarchitektinnen und -architekten? Aus der Sicht der planungsgeschichtlichen Forschung der ehemaligen Historischen Forschungsstelle des IRS sind diese Fragen hoch relevant. In einem neuen DFG-Projekt werden sie untersucht.
Das Projekt trägt den Titel „Architektur- und Planungskollektive der DDR. Institutionelle Strukturen und kreative Prozesse in der sozialistischen Architekturproduktion.“ Es startete im April 2019 und hat eine Laufzeit von 30 Monaten bis September 2021. Die ehemalige Historische Forschungsstelle kooperiert darin mit dem Arbeitsbereich Denkmalpflege des Kompetenzzentrums Denkmalwissenschaften und Denkmaltechnologien (KDWT) Bamberg. Die Projektleitung liegt bei Harald Engler (IRS), die Architekturhistorikerin Stefanie Brünenberg wurde als Projektbearbeiterin eingestellt.
Die weitgehende Abschaffung privater Architekturbüros und die Übertragung der Arbeit auf Architektur- und Planungskollektive seit Anfang der 1950er Jahre in der DDR hatten weitreichende Folgen sowohl für das bis dahin tradierte Berufsbild des Architekten, als auch für das praktische Arbeiten in der Architektur. Dem Institutionensystem der DDR entsprechend waren die Planungskollektive in volkseigenen Betrieben organisiert. Es gab zwar einige sogenannte Stararchitekten wie Hermann Henselmann, Richard Paulick oder Josef Kaiser, doch auch die von ihnen projektierten Bauten wurden in den jeweiligen Kollektiven umgesetzt.
Das Projekt erforscht diese Planungskollektive aus zwei Perspektiven: der administrativen Einbettung und Funktionsweise im politischen System der DDR einerseits und in Hinblick auf die künstlerischen Produktionsweisen und das Selbstverständnis der Architektinnen und Architekten im Kollektiv andererseits. Die ehemalige Historische Forschungsstelle widmet sich vor allem dem erstgenannten Aspekt. Sie betrachtet die Arbeitsorganisation an sich, die personelle Struktur sowie die politische Institutionalisierung der Kollektive. Arbeitsabläufe, Hierarchien und auch Konflikte in ihnen und um sie sollen sichtbar werden. Das KDWT folgt Fragen nach Entwurfsprozessen und -praktiken in den Kollektiven sowie nach der entstandenen Architektur. Dabei geht es darum, das künstlerische Schaffen als eine gemeinschaftliche Aufgabe zu denken, die historisch auch jenseits eines autonom arbeitenden „Genies“ verortet werden kann.
Damit leistet das Projekt einerseits einen fundierten Beitrag zur Erforschung des Kollektivwesens in der DDR und wird damit die (kunst)geschichtliche Bedeutung von Architektinnen, Architekten und ihrem Werk in der DDR mit einer größeren Differenziertheit analysieren. Andererseits wird das Projekt historisch und empirisch fundierte Forschungen zum kollektiven künstlerischen Arbeiten im 20. Jahrhundert durchführen, das seit den 1920er Jahren in verschiedenen Kontexten praktiziert wurde und auch heute wieder an Attraktivität gewinnt.