11. Juli 2018 | Veranstaltung

„Breaking the Rules!“ – Erste internationale Konferenz des Leibniz-Forschungsverbundes Energiewende

Die internationale Forschung zu Energiewenden ist so vielfältig wie das Phänomen selbst. So wie sich die Herausforderungen und Konflikte in den jeweiligen Energiewenden unterscheiden, so unterscheiden sich die sie analysierenden Forschungsperspektiven. Und trotzdem oder gerade deshalb – so lautet das durchweg positive Fazit der ersten internationalen Konferenz des Leibniz-Forschungsverbundes Energiewende (LVE) – sind die Diskussionen über Fragestellungen und empirische Gegenstände in einem internationalen Setting besonders fruchtbar. Unter dem Titel „Breaking the Rules! Energy Transitions as Social Innovations“ fanden sich am 14. und 15. Juni 2018 etwa 180 Wissenschaftler/-innen im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) ein, um ihre Sichtweisen auf die Energiewenden, ihre Forschungsergebnisse oder Projektideen zu präsentieren und miteinander zu diskutieren. Schwerpunkt der Konferenz war die soziale Dimension der Energiewende und ihrer gesellschaftlichen Erfolgsfaktoren.

Eingeleitet wurden die beiden Konferenztage jeweils durch eine Keynote. So rekapitulierte Maarten Wolsink (Assoziierter Professor an der Universität Amsterdam) die Forschung zur sozialen Akzeptanz von erneuerbaren Energien und diskutierte Möglichkeiten dezentraler Energieproduktion (prosumer-Ansätze). Prof. Elizabeth Shove (Direktorin des DEMAND Centres der Lancaster University) betonte in ihrem Vortrag die Notwendigkeit neuer Perspektiven in der Energiewendeforschung, indem sie aufzeigte, wie scheinbar nicht energiebezogene Policy-Maßnahmen einen großen Einfluss auf soziale Praktiken und Alltagsroutinen – und damit beispielsweise auf Energieverbräuche – haben.

Das IRS brachte sich auf verschiedenen Ebenen in die Konferenz ein. Dr. Ludger Gailing war als Lenkungskreismitglied des LVE mitverantwortlich für die Ausrichtung und Organisation der Konferenz. Weiterhin hatte das IRS durch die Durchführung von fünf (der insgesamt 16) Sessions einen maßgeblichen Anteil an der inhaltlichen Gestaltung.

Dr. Ludger Gailing leitete eine Doppelsession zum Thema "Theorizing Social Energy Innovations". Dabei wurde deutlich, dass theoretisch-konzeptionelle Perspektiven auf soziale Innovationen im Feld der sozialwissenschaftlichen Forschung zu Energiewenden keinesfalls auf die Innovationsforschung im engeren Sinne beschränkt sind. Diese bietet zwar relevante Perspektiven, zum Beispiel zum Zusammenhang von institutionellem Wandel im Energiesystem mit dem Wandel der Praktiken oder zur Rolle von Nischen in grundlegenden Transitionsprozessen; einige Forscher/-innen gingen jedoch darüber hinaus, indem sie etwa versuchen, den historischen Wandel von Innovationen in Infrastruktursystemen zu verstehen und dabei Ansätze der Pfadtheorie oder der Assemblage-Forschung einbeziehen. Andere fokussierten auf die Rolle von Akteurstypen (wie Intermediären) oder auf die Rolle politischer Interventionen bei Neuerungen im Energiesystem.

In der von Prof. Dr. Kristine Kern geleiteten Session zum Thema „Governing Urban Innovations in Energy and Climate Governance: Closing the Gap Between Leaders and Laggards“  ging es vor allem um die unterschiedlichen Dimensionen der Ausbreitung sozialer und politischer Innovationen zwischen Städten, sowie um die Möglichkeiten, lokale Experimente an unterschiedliche Kontexte anzupassen und die Lücke zwischen Vorreitern und Nachzüglern zu schließen. Diskutiert wurden in dieser Session nicht nur konzeptionelle Ansätze zu diesen Fragen, sondern auch angewandte Projekte wie z.B. die Anwendung einer Smartphone-App in der Stadt Bellinzona (Schweiz) zur Erfassung und Veränderung von Mobilitätsmustern, die gemeinsam mit den Bürgern im Rahmen eines Reallabors entwickelt wurde. Neben dieser Einzelfallstudie wurde eine international vergleichende Studie zur nachhaltigen Stadtentwicklung und eine Analyse der energiepolitischen Vorreiter und Nachzügler in Großbritannien vorgestellt. Dabei zeigen sich divergierende Entwicklungspfade, z. B. zwischen englischen und schottischen Städten.

Dr. Timmo Krüger leitete die Doppel-Session „Politicizing Energy Transitions“, in der Energiewende-Konflikte vor dem Hintergrund von Potenzialen und Hemmnissen umfassender Transformationsprozesse diskutiert wurden. Auf konzeptioneller Ebene stand die Erforschung von Machtfragen und (Ent-)Politisierungsstrategien im Fokus, während auf empirischer Ebene Auseinandersetzungen um die Energiewende – sowohl auf der Ebene von Regierungspolitik als auch auf der Ebene von Graswurzel-Initiativen – in Lateinamerika und Europa in den Blick genommen wurden. Die Frage nach der Bedeutung sozialer Innovationen in Energiewenden ist im großen Maße – das wurde in den Vorträgen dieser Doppel-Session deutlich – eine Frage der ungleichen Verteilung von Macht in Form von Ressourcen und Deutungshoheit.

Insgesamt bot die Konferenz eine lebhafte Plattform für Austausch – auch über Disziplingrenzen hinweg. So resümierte Dr. habil. Weert Canzler, Sprecher des LVE, in seinem Abschluss-Statement, dass ein großer Verdienst der Tagung sei, dass hier Personen, die sich vorher nicht kannten, miteinander ins Gespräch kamen und intensiv über Fragen der Energiewende(-Forschung) diskutierten. Dieser konstruktive Austauschprozess soll nun in Form von drei Special Issues, die ausgearbeitete Konferenzbeiträge versammeln, vertieft werden. Unter anderem wird Dr. Timmo Krüger, gemeinsam mit Victoria Pellicer-Sifres  (Universitat Politècnica de València) als guest editor ein Heft herausgeben, dessen Schwerpunkt auf Konflikte und (Ent-)Politisierungsstrategien in den Energiewenden liegen wird

Weitere Informationen

Forschungsschwerpunkte
Forschungsthemen
Innovationsprozesse in raum-zeitlicher Perspektive
Neue soziale Praktiken
Räumliche Pfadentwicklung und institutioneller Wandel
Krisen und Resilienzen im Mehrebenensystem