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Internationaler Workshop zu Mediatisierungsprozessen in der Stadtplanung
Der Wandel und vor allem die Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien auf nahezu alle sozialen Sphären gehören längst zum Panorama gesellschaftlicher Gegenwartsbeschreibungen. Mit dem theoretischen Konzept der „Mediatisierung“ (Lundby 2009, Hepp 2012, Hjavard 2013, Knoblauch 2013) werden die gesellschaftlichen und kulturellen Wechselwirkungen umschrieben, die nicht nur auf materielle Veränderungen, sondern auch auf einen Wandel der Aneignungs- und Umgangsweisen von und mit Medien – und umfassender: von kommunikativen Prozessen – zielten. Gerade Planungsprozesse in der Stadtentwicklung sind stark „mediatisiert“. Der Gebrauch aufwendig erzeugter Visualisierungen gewinnt dabei ebenso an Bedeutung wie die Etablierung (neuer) Formen digitaler Bürgerbeteiligung. Über das Ausmaß und die Bedeutung mediatisierter Stadtplanung ist jedoch bisher wenig bekannt. Diese Beobachtungen und Befunde waren der Anlass für einen zweitägigen, internationalen Workshop mit dem Titel „Mediatisation, Visualisation and Participation in Urban Planning: Theoretical Approaches and Methodological Challenges“, den das IRS im Rahmen des durch die Leibniz-Gemeinschaft geförderten Projektes „Mediatisierungsprozesse in der städtebaulichen Planung und Veränderungen der öffentlichen Sphäre (MedPlan)“ gemeinsam mit dem DFG-Sonderforschungsbereich „Re-Figuration von Räumen“ am 5. und 6. März 2018 an der Technischen Universität Berlin ausgerichtet hat. Aus historischer, planerischer und soziologischer Perspektive wurden methodologische und theoretische Zugänge und Möglichkeiten ausgelotet, um gewachsene, gegenwärtige und auch zukünftige Planungsprozesse in ihren verschiedenen Erscheinungsformen auch und gerade unter den Bedingungen von Mediatisierung und Digitalisierung untersuchbar zu machen. In den Sonderforschungsbereich einführend hob Prof. Dr. Hubert Knoblauch (TU Berlin) in seinem Eingangsvortrag „Mediatisation, Visualization and the Re-Figuration of Space“ die enge Verbindung zwischen Digitalisierung und neuen visuellen Formen der Kommunikation hervor. Im Zuge von Mediatisierungsprozessen und durch die breite Verfügbarkeit von Kommunikationstechnologien sei die Herstellung und der Umgang mit Medien bzw. visuelle Kommunikationsformaten nicht mehr nur exklusiver Bestandteil professioneller Tätigkeitsfelder, sondern längst integriert in viele Alltagshandlungen. Im Anschluss daran stellte Prof. Dr. Andreas Hepp (Universität Bremen), einer der zentralen Akteure im Mediatisierungsdiskurs, mit seiner Keynote „Figurations of Deep Mediatization: Understanding the Media-Related Transformation of Social Domains” eine Weiterentwicklung des Konzeptes vor. Dabei beschreibt „Deep Mediatization“ eine weitere Phase im Mediatisierungsprozess, der nunmehr die Verbindung aller Elemente der sozialen Welt mit Medien und ihren Infrastrukturen herausstreicht. Dieser medien- und kommunikationswissenschaftlichen Lesart zufolge lässt sich die soziale Welt kaum noch ohne Medien denken. Dies liegt nicht nur in deren Omnipräsenz und der starken Ausdifferenzierung, sondern auch in der fortschreitenden Weiterentwicklung neuer Medien und der massenhaften und kaum zu überblickenden Produktion von Daten begründet, an die sich weitere soziale Handlungsformen anschließen und verändern. Dies kulminiert in den wechselseitigen Beziehungen verschiedener Medien, die die Gesellschaft und damit jegliche sozialen Handlungen durchziehen und strukturell verändern.Die erste Session „Mediatisation in Planning and the Urban Sphere in Historical Perspective“ thematisierte die Relevanz von Medien und Visualisierungen in Planungsprozessen aus medienkommunikations- sowie stadthistorischer Perspektive. Den Auftakt machte Thomas Birkner (Universität Münster) mit seinem themenübergreifenden Vortrag „Historical Perspective in Mediatisation Research“. Ausgehend von unterschiedlichen Mediatisierungsverständnissen zeichnete er die historischen Phasen der Mediatisierung nach und veranschaulichte die mediale Durchdringung verschiedener Lebensbereiche und Sphären exemplarisch an Veränderungen des privaten ‚Zuhauses‘ (home), des Hochleistungssports und schließlich der Politik. Den stadtplanerischen Bezug zu Medienprozessen und der Öffentlichkeit stellte Prof. Dr. Adelheid von Saldern (Universität Hannover) in ihrem Vortrag „The Media, Urban Planning and Public Spheres“ her, indem sie Konflikte zwischen Planung, Partizipation und öffentlichen Entscheidungssphären in medialer Vermittlung darstellte. Einen Beitrag über das Zusammenwirken von Medienwandel, Planung und öffentlicher Planungskommunikation in historischen Transformationsprozessen leistete Kathrin Meißner (IRS) in ihrem Vortrag „Media, Urban Planning and the Public in 20th Century Berlin“. Ausgehend von der Frage, welche Bedeutung Visualisierungen in den öffentlichen Debatten zu städtischer Planung in Berlin im 20. Jahrhundert aufwiesen, stellte sie ausgewählte Fallstudien vor, die nicht nur die Mannigfaltigkeit des visuellen Quellenfundus in Form von Fotos, Plänen, Skizzen und Modellen hervorhoben, sondern auch, wie diese in Verbindung zu jüngeren Ansätzen der Visual History und einer historiographischen Medienanalyse gesetzt werden. Im Spannungsfeld zwischen digitaler und analoger Planung und der Bedeutungszunahme von Visualisierungen bewegte sich die zweite Session „(E)Participation and Visualisation. Consequences for Collaborative Planning Practices and the Public Sphere”. Eine interessante Perspektive eröffnen dabei Beteiligungsprozesse mit Jugendlichen. Wenngleich digitale Planung mit Heranwachsenden zunimmt, zeigte Prof. Dr. Angela Million (TU Berlin) in ihrem Vortrag „Impact of Digitalisation in Participatory Planning with Youth“ auf, dass die materiell-haptische Erfahrung in der praktischen Anfertigung von Modellen und anderen nicht-digitalen Werkzeugen immer noch eine wesentliche Rolle in Beteiligungsverfahren mit Kindern und Jugendlichen spielt. Hier ist die digitale Planung noch wenig präsent. Die Verwendung unterschiedlicher Visualisierungsformate weist ebenfalls Ambivalenzen auf. Nadine Kuhla von Bergmann (creative climate cities) rekonstruierte in ihrem Beitrag „The Role of Maps in Citizen and Stakeholder Activation Processes“ die vieldeutigen und zum Teil problematischen Wahrnehmungen und Interpretationen von Visualisierungen durch (betroffene) Bürger/-innen und Mitwirkende anderer Professionen in Beteiligungsprozessen. Dadurch eröffnete sie einen reflexiven Blick auf die Planungspraxis. Die Bedeutung von Visualisierungen innerhalb verschiedener kommunikativer Formate der Stadtplanung und Partizipation genauer zu untersuchen, bildete den Ausgangspunkt des Vortrags „Communication, Visualisation and Imagination in Collaborative Planning Processes“ von Dr. des. Ajit Singh (IRS). Neben der Herausforderung, Planungsprozesse soziologisch-konzeptionell „greif“- und „beschreibbar“ zu machen, konzentrierte sich der Vortrag auf die Entwicklung einer visuellen Methodologie, die auf die Rekonstruktion der Wissensbestände der beteiligten Akteure wie auch der kommunikativen Umgangsweisen mit Visualisierungen zielt. In der dritten Session „Monitoring and Imaging: Forms of Digital Planningin the Present and their Consequences for Inclusive and Integrative Urban Design“ wurde Stadtplanung und deren Kommunikation am Beispiel von Ägypten und der Türkei thematisiert. Ein zentraler Aspekt der Session war der Kampf um die Deutungshoheit urbaner Prozesse (Daten) und deren Kommunikation zwischen staatlichen Institutionen und Aktivisten. Yahia Shawkat (10Tooba, Kairo) erläuterte in seinem Beitrag „Unseeing like the State; Re/Presenting Data for Spatial Justice“ die Aufarbeitung, Hinterfragung sowie Visualisierung von staatlichen Statistiken und Datenmaterial zum bewussten und kritischen Umgang der Öffentlichkeit bei der Herstellung räumlicher Diskurse. Die Zugänglichkeit und Nutzung sozialer, digitaler Medien zum einen als Gegengewicht zu staatlich manipulierten Medien, zum anderen als neue Form gesellschaftlich-kritischer Beteiligung stand bei Yaşar Adnan Adanalis (Center for Spatial Justice, Istanbul) Vortrag zu „Uses and Abuses of Digital Media in Urban Planning“ im Mittelpunkt. Im abschließenden Beitrag von Mennatullah Hendawy (TU Berlin) zu „Knowledge as Power. Communication of Urban Planning in the Age of Mediatisation“ wurde die Relevanz digitaler Tools in der universitären Ausbildung von Planern und Planerinnen diskutiert. Einer großen Mehrheit an staatlicher Planung teilhabenden Lehrenden steht eine geringere Anzahl kritisch Forschender gegenüber, welche ein jeweils anderes Bild der Stadt produzieren. Hendawy betonte die Bedeutung der medialen Instrumente für die Herstellung räumlicher Gerechtigkeit, für die Etablierung wirkmächtiger Gegenöffentlichkeiten und darüber schließlich für die Demokratisierung.Der Workshop eröffnete damit einerseits Ein- und Ausblicke auf ein breites Spektrum an (inter-)kulturellen, disziplinären und empirischen Zuschnitten einer Mediatisierungsforschung im Kontext von Stadtplanungs- und Beteiligungsprozessen und verwies andererseits auf viele offene Fragen und Forschungsdesiderate. Diese betreffen nicht nur theoretisch-konzeptionelle Diskussionen um Mediatisierung, die, wie Andreas Hepp aufzeigte, ebenfalls voranschreitet und nunmehr auch auf Entitäten verweist, die noch tiefgreifendere Veränderungen (bspw. Big-Data) unseres Alltags ins Auge fassen. Deutlich wurde in den Diskussionen auch, dass es lohnt, die begriffliche Auseinandersetzung empirisch am jeweiligen Gegenstand, im Besonderen auch anhand von Planungsprozessen in der Stadtentwicklung, zu schärfen und weiterzuverfolgen.