Ein Handbuch für die Krisenforschung

Unsere Wahrnehmung der Welt wird seit Längerem von Krisendiagnosen geprägt. Konjunktur für die Krisenforschung also, doch keine Disziplin allein kann die komplexe Dynamik von Krisen beleuchten. Deshalb arbeitet der Leibniz-Forschungsverbund „Krisen einer globalisierten Welt“, an dem auch das IRS mitwirkt, seit 2013 an interdisziplinären Ansätzen. Das Handbuch Krisenforschung ist ein zentrales Produkt des Forschungsverbundes. Das IRS ist mit drei Beiträgen prominent in dem Sammelband vertreten.

Im Forschungsverbund arbeiten 24 Leibniz-Institute aus fast dem gesamten Disziplinenspektrum der Leibniz-Gemeinschaft zusammen, um die Mechanismen und Dynamiken von Krisen und deren wechselseitige Interdependenzen besser zu verstehen. Das 2020 erschienene Handbuch Krisenforschung arbeitet den Forschungsstand zu Krisen als politische Handlungssituationen auf und betont zugleich die enge Verbindung zur politischen Praxis, die sich in der Verwendung des Krisenbegriffs beobachten lässt. Während die Erforschung einzelner Krisenereignisse und -phänomene in vielen Disziplinen zum Tagesgeschäft gehört, sind übergreifende konzeptionelle Überlegungen zu Krisen meist auf organisatorische Aspekte des Krisenmanagements oder auf Krisendiskurse beschränkt. Daran anknüpfend und darüber hinausweisend bearbeitet das Handbuch Krisenforschung aus verschiedenen konzeptionellen und methodischen Perspektiven.

Herausgegeben wird der Band von Frank Bösch (Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam), Nicole Deitelhoff und Stefan Kroll (beide Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) aus dem Lenkungskreis des Forschungsverbunds. In seinem Einführungsbeitrag spricht Stefan Kroll sich für eine „reflexive Krisenforschung“ aus: Sie soll die realen und als Fakten nicht zu leugnenden Bedrohungen, die etwa in Umwelt- oder Wirtschaftskrisen zu zerstörerischer Entfaltung kommen, gemeinsam mit der Ebene der gesellschaftlichen Wahrnehmung krisenhafter Ereignisse, sowie der Ebene des krisenbezogenen Handelns betrachten. Damit soll der Begriff der Krise weniger als eine objektive Kategorie für bestimmte Arten von Ereignissen dienen, denn als Beobachtungsfokus für die Art wie reale Gefahren und der Umgang mit ihnen sich auf eine typische - eben krisenhafte - Weise aufeinander beziehen.

Der Band ist in vier Teile gegliedert: Teil I zu Krisenkonzepten, Teil II zu Verläufen sowie Zeitlichkeit und Räumlichkeit von Krisen, Teil III zur Spezifik verschiedener Krisenfelder und Teil IV zum Umgang mit Krisen, etwa durch Krisenmanagement. Beiträge aus dem IRS tragen zu den Teilen II und IV des Bandes bei: Im Kapitel „Zur Räumlichkeit von Krisen“ rücken Verena Brinks und Oliver Ibert den bislang eher stiefmütterlich behandelten Aspekt der Räumlichkeit von Krisen in den Vordergrund. Dabei gehen sie auf vier unterschiedliche, aber sich wechselseitig beeinflussende Perspektiven auf Räumlichkeit ein: Relationalität, Territorialität, Skalarität und Topologie. Ebenfalls in Teil II diskutiert Heiderose Kilper die Interdependenz von Krisen in einer globalisierten Welt. Während Krisen uns immer schmerzhaft an die wechselseitige Abhängigkeit verschiedener Gesellschaftsbereiche erinnern, so ihre These, kommt in einer globalisierten Welt der Aspekt der Transnationalität dazu. In ihrem Kapitel zur Krisenberatung (Teil IV) diskutieren schließlich Verena Brinks und Oliver Ibert das Wechselspiel unterschiedlicher Arten von Expertenwissen in Krisen. Mit ihrer Unterscheidung in Experten in Krisen und Experten für Krisen machen sie deutlich, dass in Krisen auf sehr unterschiedliche Weise Expertise mobilisiert wird, jede mit ihrer spezifischen Relevanz, aber auch Begrenztheit.