10. März | 2022

Geht digital auch regional? Handlungsansätze zur Gestaltung von regionalen digitalen Plattformen

IRS Dialog 3 | 2022

Im Zuge des vielschichtigen und globalen Prozesses der zunehmenden Digitalisierung verknüpfen sich wachsende Hoffnungen im Feld der Stadt- und Regionalpolitik mit regionalen Online-Plattformen. Mit ihnen ist das Versprechen verbunden, das soziale Leben zu bereichern, den Zugang zu Dienstleistungen und Informationen zu verbessern und nicht zuletzt auch neue wirtschaftliche Entwicklungen zu unterstützen und zu ermöglichen. Eine räumliche Fokussierung läuft der Logik von Online-Plattformen, deren Stärke es ja gerade ist, Menschen weltweit zu vernetzen, allerdings zuwider. Die Regionalisierung von Online-Plattformen ist mit anderen Worten sehr voraussetzungsvoll. Genau diese komplexen und vielschichtigen Voraussetzungen sollen in diesem Policy Paper adressiert werden und zwar in Form von sechs strategisch bedeutsamen Fragen. Es ist dabei nicht möglich, Handlungsanweisungen in der Logik geradliniger „how-to-dos“ zu geben. Vielmehr ist es notwendig, für individuelle Anwendungsfälle, zu einer Vielzahl von Gestaltungsoptionen, eine passfähige Kombination von Alternativen zu finden – oder eben auch nicht zu finden und zu dem Ergebnis zu kommen, dass eine regionale Plattform in dem konkreten Fall wohl nicht „abheben“ wird. Genau diesen Prozess soll das vorliegende Policy Paper unterstützen.
Auf einem Praxisworkshop haben wir am 1. Oktober 2021 gemeinsam mit Plattformbetreiber*innen und -nutzer*innen aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und basierend auf unseren eigenen Forschungsarbeiten sechs zentrale Fragen erarbeitet, die unseren Leser*innen dabei helfen sollen, zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen der Aufbau einer regionalen Plattform einen regionalen Mehrwert entfalten kann:

Frage 1:  Wer soll die Plattform nutzen?
Bei der Einrichtung einer regionalen Online-Plattform ist nicht festgelegt, wie viele Gruppen von Nutzer*innen angesprochen werden. Entscheidend ist, dass ihre Zahl begrenzt ist, dass die Gruppen klar umrissen und gut verstanden sind sowie jeweils spezifisch mit einer auf ihre Bedürfnisse zugeschnittenen Benutzeroberfläche angesprochen werden.

Frage 2: Wie soll der Eindruck von Regionalität erzeugt werden?
Regionale Online-Plattformen sind in der Regel nicht in jeder Hinsicht regional – sie sollten und müssen es auch gar nicht sein. Einerseits ist eine selektive, thematische, räumliche oder organisatorische Schließung notwendig, um eine klaren Fokus auf eine Region einzurichten. Andererseits kann aber auch die wohlüberlegte Öffnung auf regionsexterne Nutzer*innen die Plattform interessanter, lebendiger und somit langfristig robuster machen.

Frage 3: Wie bettet sich die Online-Plattform in bestehende Nutzungspraktiken ein?
Generell ist darauf zu achten, Konkurrenzen um die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen anderer Plattformen mit ähnlichen Funktionalitäten zu vermeiden. Anschlussfähigkeit der eigenen Plattform zu anderen Plattformen mit komplementären Funktionalitäten sollte antizipiert werden. Vor- und nachgelagerte Anschlussnutzungen sollten den Nutzer*innen auf der Plattform vereinfacht oder sogar proaktiv vorgeschlagen werden.

Frage 4: Wie bettet sich die Online-Plattform in bestehende technische Infrastrukturen ein?
Zur Beantwortung dieser Frage ist es nötig, für das eigene Projekt Wert- und Entwicklungsvorstellungen zu formulieren, etwa zu Themen wie Datenschutz oder Geschäftsmodell und daraus „rote Linien“ abzuleiten. Innerhalb dieser roten Linien ist eine Einbettung in bestehende technische Strukturen aufgrund von Effizienzvorteilen und größerer technischen Robustheit anzuraten. Werden bei der Anpassung an bestehende Technologien (zu) viele „rote Linien“ überschritten ist eine Eigenentwicklung in Erwägung zu ziehen.

Frage 5: Wie verbindet sich das Online-Angebot meiner Plattform mit Offline-Praktiken?
Online und Offline stehen zueinander in einem vielfältigen Wechselverhältnis. Regionale Plattformen haben den Nachteil einer geringeren kritischen Masse bei Netzwerkeffekten. Aufgrund des regionalen Fokus‘ besteht aber die Möglichkeit einer größeren Intensität der Überlappung von Online und Offline-Erleben, aus der sich die Chance ergibt, dass sich um die Plattform herum eine „Community“ bildet, die die Plattform mit ihrer Eigendynamik trägt.

Frage 6: Wie kann die Plattform auf Dauer funktionieren?
Regionale Plattformen haben größere Erfolgsaussichten, wenn sie nicht thematisch stark fokussieren, sondern Gruppen mit verschiedenartigen Interessen auf derselben Plattform zusammenbringen. Zudem wird es darauf ankommen, ideelle Werte zu kommunizieren, um Organisationen für die Betreiberrolle zu gewinnen und Spielräume für Kostenübernahmemodelle zu ermöglichen. Mittel- und langfristige Überlebenschancen der Plattform erhöhen sich, wenn im Umfeld Gemeinschaften existieren und es gelingt, die Plattform in deren Aktivitäten einzubinden.

Die Reflektion der individuellen Antworten auf diese Fragen bietet Ihnen eine Entscheidungshilfe, sowohl zur Frage ob eine regionale Plattform in einem konkreten Fall sinnvoll eingesetzt werden kann, als auch zur Frage, wie diese entsprechend der individuellen Situation ausgestaltet werden soll. Um eine schnelle Einschätzung Ihres Projektes zu erhalten, nutzen Sie die Darstellung der entscheidenden Fragen im Anhang.

Aus dem Inhalt

  • Globale Plattformen – Regionale Plattformen
  • Forschungsperspektiven auf (regionale) Online-Plattformen
  • Regional und Digital – worauf es ankommt
    • Wer soll die Plattform nutzen?
    • Wie soll der Eindruck von Regionalität erzeugt werden?
    • Wie bettet sich die Plattform in bestehende Nutzungsstrukturen ein?
    • Wie bettet sich die Plattform in bestehende technische Infrastrukturen ein?
    • Wie verbindet sich das Online-Angebot meiner Plattform mit bestehenden Offline-Praktiken?
    • Wie kann die Plattform auf Dauer funktionieren?
  • Regional und Digital – eine Checkliste

Autor*innen

  • Oliver Ibert
  • Anna Oechslen
  • Alica Repenning
  • Suntje Schmidt