26. Juli | 2021

„Es geht um Machtkonflikte, nicht um Stadt-Land-Konflikte“

Interview mit Eva Eichenauer und Manfred Kühn

Die postfossile Transformation erfordert massive Investitionen in Infrastrukturen und neue Produk­tions­kapazitäten. Oft treffen solche Investitionsprojekte auf Widerstände. Die so entstehenden Konflikte müssen im Rahmen von Planungsverfahren bearbeitet werden. Die Soziologin Eva Eichenauer und der Stadtplaner Manfred Kühn erforschen am IRS – mit unterschiedlichen Schwerpunkten – Planungskonflikte rund um transformative Projekte. Im Gespräch mit IRS aktuell diskutieren sie, wie mit Konflikten produktiv umgegangen werden kann und welche räumlichen Dimensionen Planungs­konflikte haben.
Sie beide erforschen Planungskonflikte.

Was interessiert Sie daran? Und warum?

Eva Eichenauer: Ich untersuche Konflikte im Kontext der Energiewende, also vor allem beim Ausbau von Infrastrukturen für erneuerbare Energien, wie Windkraftanlagen und Flächenphotovoltaik. Wir untersuchen Konflikte, die auf der Ebene der Regionalplanung ausgetragen werden, bis hin zu Konflikten in Genehmigungs- und Beteiligungsverfahren. Solche Konflikte können den Ausbau von erneuerbaren Energien behindern. Sie führen zu Verzögerung, Verteuerung bis hin zum Abbruch von Projekten. Wenn man aber Klimaschutz ernst nimmt, müssen Erneuerbare ausgebaut werden. Da ist es wichtig, sich Konflikte genau anzuschauen, zu verstehen warum sie entstehen, was da genau passiert und wie man einen demokratischen Weg des Umgangs damit findet. Und zwar einerseits, ohne Widerstände klein zu machen oder wegzuwischen, aber andererseits auch, ohne dass man sich von bestimmten Minderheiten Dinge diktieren lässt.

Manfred Kühn: Ich komme mehr aus der Stadtforschung und wir haben uns bislang Konflikte in der Stadtplanung und Stadtpolitik angeschaut, und zwar in den letzten Jahren hauptsächlich bei den Themen Zuwanderung, Umgang mit Geflüchteten und der rechtspopulistischen Mobilisierung gegen Einwanderung. Seit kurzem konzentrieren wir uns nun auf Konflikte rund um Großprojekte. Solche Konflikte haben eine gewisse Tradition, wenn man etwa an Stuttgart 21, die Elbphilharmonie oder den BER denkt. Wir greifen die neue Tesla-Gigafactory in Grünheide als Untersuchungsfall heraus. Sie steht beispielhaft für ein Grunddilemma, das es bei allen Großprojekten gibt: Auf einer höheren Ebene werden Vorentscheidungen getroffen, die typischerweise mit Gemeinwohlzielen und auch mit Sachzwängen begründet werden. Auf der lokalen Ebene, dort, wo ein Projekt realisiert wird, gibt es dann für eine demokratische Beteiligung nur noch wenig Spielraum und kaum echte Alternativen. Und das kann großen Frust erzeugen. Sogenannte Wutbürger, die Eskalation von Protesten bis hin zu gewalttätigen Auseinandersetzungen – das gibt es vor allem im Umfeld von Großprojekten. Im jüngsten Bundestagswahlkampf haben alle Parteien in ihre Programme geschrieben, dass Planungsverfahren für die Energiewende beschleunigt werden sollen. Die Frage ist, ob das ohne Abbau demokratischer Ansprüche und Beteiligungsmöglichkeiten geht.

Eva Eichenauer: Tatsächlich zeigt sich bei der Energiewende, dass mehr Beteiligung Projekte auch beschleunigen kann. Energiewendeprojekte entstehen ja ganz kleinteilig und auf viele Orte verteilt – anders als ein singuläres Großprojekt wie Tesla. Deswegen gibt es immer lokal spezifische Konfliktkonstellationen, die für die Projektträger kaum vorhersehbar sind. Sie haben deshalb oft Angst davor, „schlafende Hunde“ zu wecken und vermeiden eine frühe Beteiligung. Wenn man aber tatsächlich früh in eine Gemeinde schaut, nach Ansprechpersonen und Kooperationsmöglichkeiten sucht, wenn man Mitbestimmungsmöglichkeiten schafft und auf lokale Wünsche und Bedürfnisse eingeht, dann hilft das. Gräben, die unüberbrückbar erscheinen, können so verschwinden. Das zeigt, dass es gar nicht darum gehen kann, Mitbestimmung und zivilgesellschaftliche Kontrolle einzuschränken. Das ist in einer demokratischen Gesellschaft auch überhaupt nicht wünschenswert.

Manfred Kühn: In der Stadtplanung wird darüber auch diskutiert. Der neue Tenor ist hier aber, dass mehr Beteiligung nicht automatisch zur Lösung von Konflikten führt. Lange galt die Annahme, dass man Beteiligungsverfahren ausbauen muss, um Konflikte zu verhindern. Aber man sollte kritisch reflektieren, ob es um mehr Beteiligung geht oder um neue Formen von Beteiligung. Einfach nur mehr Beteiligung kann Konflikte auch verschärfen.

Eva Eichenauer: Ja, es kommt auf die Qualität an. Vieles, was als Beteiligung bezeichnet wird, bedeutet ja nicht, dass man tatsächlich etwas bewirken kann. Man bekommt Information, man kann eine Frage stellen, bekommt eine Antwort und das war es. Beteiligung ohne echten Entscheidungsspielraum weckt falsche Erwartungen. Ein weiteres Problem, das in Konflikten um Energiewendeprojekte auftaucht, ist, dass über Beteiligung geredet wird, aber die politische Richtung überhaupt nicht klar ist. Eigentlich müssten die politisch Verantwortlichen auf Bundes- und Landesebene sagen: „Das ist das Ziel, das ist der Weg dahin, und in der Beteiligung können wir uns darüber unterhalten, wie wir ihn gehen. Aber nicht, ob wir vielleicht einen ganz anderen gehen“. Energiepolitisch gibt es auf der Bundes- und Landesebene einen Schlingerkurs. Ähnlich ist es, vermute ich, bei Konflikten um Flüchtlingsunterkünfte. Die Kommunen müssen dann, ohne Rückendeckung, mit Konflikten umgehen, die eigentlich nicht auf diese Ebene gehören. Es fehlt Klarheit darüber, welcher Weg verbindlich beschritten wird und wo die lokalen Gestaltungsspielräume sind.

Manfred Kühn: Wobei das jetzt eine widersprüchliche Aussage ist. Einerseits soll es echte Entscheidungsmöglichkeiten geben. Das ist richtig, denn wenn Beteiligung in den Verdacht gerät, nur ein Alibi zu sein, ruft das Zorn hervor und zerstört Vertrauen. Auf der anderen Seite gibt es übergeordnete Ziele und es soll einen klaren Kurs geben. Da beißen sich zwei Rationalitäten, die schwer zu vereinbaren sind.

Eva Eichenauer: Ich halte das nicht für einen Widerspruch. Es geht um die Ebenen, auf denen etwas besprochen wird. Das eine sind politische Richtungsentscheidungen, die auf Bundes- oder Landesebene gemacht und nicht in jedem Gemeinderat besprochen werden. Das andere ist die Frage, wie Kommunen damit umgehen: wie sie politische Entscheidungen ihren Bedürfnissen und Interessen gemäß auslegen und wie sie Planungen umsetzen. Das ist im Mehrebenensystem so angelegt. Wenn die politische Richtung in sich widersprüchlich ist, fördert das Konflikte. Ein Argument, das ich in Gesprächen mit Windkraftkritiker*innen oft höre, ist: „Wir sollen für den Klimaschutz akzeptieren, dass uns noch mehr Windräder vor die Nase gestellt werden, aber der Kohleausstieg kommt nicht in die Pötte. Das wollen wir nicht.“

Manfred Kühn: Ja, die Mehrebenenproblematik ist ein wichtiger Punkt. Tesla ist ein Prestigeprojekt von überregionaler Bedeutung. Das Land Brandenburg ist in der Politik der Hauptbefürworter des Projekts. Auf dieser Ebene wird auch das Ziel einer wirtschaftlichen und technologischen Transformation hin zur Elektromobilität verfolgt, das letztlich auch die Fördermittel in Milliardenhöhe legitimiert. Dazu kommt Tesla als Global Player, der die letzte Fabrik in Shanghai gebaut hat und jetzt in Grünheide einschwebt. Die Rolle der Region, der Kommune und der Bürger ist im Vergleich dazu sehr begrenzt./p>

Nehmen Planungskonflikte denn nachweislich zu?

Eva Eichenauer: Beim Thema erneuerbare Energien ist es vor allem so, dass sich im Lauf der letzten zehn Jahre der Widerstand stark professionalisiert hat. Waren es am Anfang einzelne Initiativen, so gibt es mittlerweile bundesweite Initiativen. Brandenburg ist ganz vorne mit der Initiative „Rettet Brandenburg“, die eine Bündelungsfunktion hat: Sie stellt Netzwerke, auch Expertennetzwerke und Argumentationshilfen bereit. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es sogar eine eigene Partei gegen Windräder. Hier gibt es Netzwerkexpertise und Personen, die wortgewaltig auftreten können. Mit Hilfe solcher Kanäle kann man sich einbringen und gegen neue Anlagen arbeiten, auch in Nachbargemeinden, wo man gar nicht selbst betroffen ist.

Manfred Kühn: Ja, die Professionalisierung von Protest zeigt sich auch in Bürgerbegehren und Volksentscheiden, etwa in Berlin. Kleinere Bewegungen werden so vereint und es finden auch radikalere Ziele Eingang in politische Entscheidungsprozesse. Was die Zahl von Konflikten angeht, die ist beispielsweise für die Stadtentwicklung untersucht worden. Und für Großstädte lässt sich ganz klar belegen, dass es in den letzten Jahren eine Zunahme von Protesten und Bürger*inneninitiativen gab. Allein durch die Krise am Wohnungsmarkt nehmen Proteste zu, denn überall entstehen Zielkonflikte zwischen Wachstums- und Bebauungsdruck einerseits und dem Erhalt von Freiräumen und Lebensqualität andererseits.

Worum geht es eigentlich in diesen Konflikten – um Geld, um politische Ziele, um Ängste, um Identität, um Lebens­qualität?

Manfred Kühn: Ich glaube, oberflächlich betrachtet liegen hier klassische Interessenkonflikte vor – im Fall von Tesla etwa zwischen Wirtschaft und Umwelt, zwischen Arbeitsplätzen und Investitionen einerseits und andererseits den Wasserproblemen und der Verkehrsbelastung. Aber dahinter stecken meist auch Verfahrens- und letztendlich Machtfragen, die bewirken, dass Konflikte eskalieren: das Gefühl nicht ernst genommen zu werden, übergangen zu werden, nur zum Schein beteiligt zu werden. Die Eskalation rund um Stuttgart 21 kann man nicht nur damit erklären, dass dort der Hauptbahnhof umgebaut wird. Da hat sich ein tieferer Vertrauensverlust gegenüber der politischen Elite artikuliert. Das ist der Hintergrund für viele schwerere Konflikte.

Eva Eichenauer: Ich sehe das ähnlich. Allerdings ist das Setting beim Thema Windenergie wieder speziell. Wer vom Dorf kommt, kennt das: Vielfach spielen zwischenmenschliche Konflikte mit hinein, und der Streit um ein Projekt kann auch zum Stellvertreterkonflikt für etwas werden, das ohnehin schon im Argen lag; etwa, wenn jemand sich bei der Flurbereinigung übergangen fühlte. Dann geht es aber durchaus auch um Identität. Menschen fühlen sich mit ihrer Heimat verbunden und sind nicht unbedingt begeistert, wenn sie „transformiert“ wird. Vielfach geht es auch um Verteilungsfragen, aber immer in Verbindung mit Fragen des Verfahrens: „Die Vorhabenträger stellen die Dinger hin, und wir werden nicht nur nicht gefragt, wir bekommen auch nichts ab“, heißt es oft. Es spricht sich schnell herum, wie viel Geld man mit Windkraftanlagen verdienen kann, und das ist wirklich sehr viel Geld. Die Frage, wer die Lasten trägt und wer den Nutzen hat, ist in diesem Feld sehr prominent. Allerdings versucht man in der Gesetzgebung zunehmend, diese Frage zu adressieren und eben auch den Nutzen breiter zu verteilen, zum Beispiel über das Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz in Mecklenburg-Vorpommern.

Manfred Kühn: Diese Verteilungskonflikte haben eine starke räumliche Komponente. Man könnte sie auch als Standortkonflikte bezeichnen, denn viele Fragen der Lasten- und Nutzenverteilung hängen ja von der Standortwahl ab. Und eigentlich ist es gerade die Aufgabe von Planung, durch Eignungsgebiete, Vorranggebiete, Abstandsregeln und ähnliches dafür zu sorgen, dass allzu massive Nutzungskonflikte vermieden werden.

Hilft die Formel „Stadt gegen Land“, um die räumliche Verteilung von Kosten und Nutzen zu verstehen?

Eva Eichenauer: Mit Blick auf die Energiewende taucht die Stadt-Land-Frage oft auf. Als Ende 2019 bundesweit der Mindestabstand von einem Kilometer für neue Windkraftanlagen festgelegt wurde, hat Angela Merkel sich in einem FAZ-Interview in diese Richtung geäußert: Weil das Land die erneuerbare Energie produziere, die in der Stadt konsumiert würde, müsse man jetzt etwas Gutes für das Land tun, um Stadt-Land-Konflikte zu verhindern. Dazu diene die Abstandsregelung. Auch in unserem Forschungsprojekt „ReGerecht“ gingen wir zunächst von der Prämisse aus, dass es bei Windkraft um einen Stadt-Land-Konflikt geht. Das hat sich in unseren Interviews aber nicht bestätigt, im Gegenteil. Ich habe auch mit sehr windkraftkritischen Bürgermeister*innen gesprochen, und alle fanden dieses Argument absolut unsinnig. Aus Sicht der involvierten Gemeinden ist das kein Stadt-Land-Konflikt. Dass Windräder nicht in der Großstadt gebaut werden können, ist vollkommen unstrittig.

Manfred Kühn: Wir beobachten Konflikte um Bauprojekte sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Ich bezweifle, dass es hilfreich ist, Stadt und Land gegeneinander auszuspielen. Überall gibt es mehr Engagement von Bürgerinnen und Bürgern und mehr kritischen Umgang mit neuen Projekten, so dass es schwerer wird sie durchzusetzen, wenn man nicht neue Wege findet, die Leute zu beteiligen. Deswegen würde ich nicht so pauschal über Stadt und Land sprechen. Man muss sich wirklich die politischen Felder anschauen. Beim Streitthema Migration haben wir eine Häufung von Rechtsextremismus in den strukturschwachen Räumen, wo Menschen sich abgehängt fühlen, und das sind häufig ländliche Räume, aber auch Klein- und Mittelstädte. Hier gibt es schon eine Häufung von Konflikten, weil Neuankömmlinge teils als soziale Konkurrenten gesehen werden. Auch das Wahlverhalten im ländlichen Brandenburg ist anders als in Berlin und Potsdam. Aber als genereller Gegensatz wird der Stadt-Land-Unterschied stark überspitzt. Die viel wichtigere räumliche Dimension für Planungskonflikte ist die der Ebenen: Auf einer höheren Ebene werden Ziele formuliert und Vorentscheidungen getroffen und lokal, am ausgewählten Standort, müssen die Menschen mit den Konsequenzen leben und haben wenig Einflussmöglichkeiten.

In der Diskussion fällt häufig das Wort „NIMBY“, kurz für „Not In My Back Yard“. Es bezeichnet eine Haltung, in der man neue Bauprojekte zwar grundsätzlich unterstützt, aber nicht, wenn sie vor der eigenen Tür stattfinden. Geht es bei den Widerständen, die Sie beobachten, um diese Art von Verhinderungsdenken?

Manfred Kühn: Mit dem Wort „Nimby“ sollte man sehr vorsichtig sein. Es kann leicht dazu benutzt werden, Protestierende und Initiativen zu verunglimpfen. Hier wird ja unterstellt, dass Protest nur von Partikularinteressen motiviert wird, die sich gegen das Allgemeinwohl richten. Aber es ist doch vollkommen legitim, dass die Betroffenen eines Vorhabens protestieren. Wer sollte das sonst tun? Entscheidend ist, dass dieser Protest aus Betroffenheit allein meist nicht reicht, um ein Projekt zu kippen. Die Protestierenden werden aber nur Erfolg haben, wenn sie noch andere mobilisieren. Sie müssen dazu weitergehende Argumente hervorbringen. Bei Tesla ist das etwa das Thema Grund- und Trinkwasserschutz, das weit über reine Abwehr hinausgeht. Es ist auch ein Gemeinwohlthema und ein wichtiger Aspekt der Auseinandersetzung. Das Nimby-Argument kann aber dazu verwendet werden, solche berechtigten Einwände zu diskreditieren.

Eva Eichenauer: Ich sehe es auch so, dass das Nimby-Argument häufig zur Delegitimierung von Protest benutzt wird. Da werden einfache Aussagen gestrickt wie „Nur weil ihr nicht wollt, dass euch die Aussicht verstellt wird, klappt es mit der Energiewende nicht“. In letzter Konsequenz entsteht daraus der Kurzschluss „Ihr seid schuld am Klimawandel“. Das ist vollkommen fehlgeleitet. Es ist doch legitim, dass man sich eine Meinung bildet und in eine Kontraposition zu Entwicklungen im Nahbereich geht, die einem nicht passen. Und es gibt auch wirklich gewichtige Gründe dafür. Es ist in Ordnung, dass Betroffene eine Belastung nicht akzeptieren wollen, die sie als unverhältnismäßig empfinden, gerade wenn sich der Eindruck aufdrängt, dass übergeordnete Gemeinwohlziele nicht überall gleich ernst genommen werden. Und es ist richtig, dass jemand prüft, ob beispielsweise wirklich alle Vogelschutzrichtlinien eingehalten werden. Mit der Nimby-Argumentation kann man Protesten die Legitimationsgrundlage entziehen. Es ist durchaus eine Strategie zu sagen: „Die wollen eben nicht, die sind irrational und deswegen müssen wir uns mit ihren Argumenten nicht befassen.“

Haben Konflikte auch etwas Produktives?

Eva Eichenauer: Im Prinzip ist es ja gut, dass sich wieder mehr Leute beteiligen. Die Konflikte zeigen, dass Leute sich engagieren, dass sie sich Gedanken machen um das, was um sie herum passiert. Und dieses Ausprobieren von Wirkmächtigkeit ist erst einmal sehr wünschenswert. Allerdings muss man politische Beteiligung und demokratische Konfliktaustragung auch erstmal lernen: Wie gehe ich mit so einem Konflikt um, wie gehe ich um mit Aushandlungsprozessen, wie damit, dass ich auch mal den Kürzeren ziehe? Die Erfahrung, die Politisierung über Konflikte ist zunächst einmal wünschenswert. Wichtig ist aber, dass man Strukturen schafft, die Menschen so „demokratiefest“ machen, dass sie nicht in eine antidemokratische Richtung abdriften.

Manfred Kühn: Ich beschäftige mich viel mit neuen „agonistischen“, also konfliktorientierten Planungs- und Politiktheorien. Dieser Ansatz besagt, dass Konflikte notwendig sind, um die Demokratie lebendig zu halten. Das Gegenteil der Demokratie ist Autokratie wie in China, wo Entwicklungs­programme und Projekte von oben durchgesetzt werden und die Bürger wenig mitzusprechen haben. Insofern ist Demokratie das Hauptargument dafür, Proteste und Widerstände ernst zu nehmen. Vor nicht allzu langer Zeit waren noch die Diagnosen von „Postpolitik“ und „Postdemokratie“ weit verbreitet. Sie lauteten, es gäbe formal noch Demokratie, aber im Prinzip hätten die Bürgerinnen und Bürger nichts mehr zu sagen. Hier hat sich der Wind gedreht, und die Lebendigkeit der Auseinandersetzung und die Bedeutung von Wahlen haben wieder zugenommen. In den neuen Denkansätzen in der Planungsforschung drückt sich aber auch Kritik an älteren, „kommunikativen“ Ansätzen aus, die über 20 Jahre hinweg im Prinzip gesagt haben: Es muss nur genug kommuniziert und partizipiert werden, damit alle Planungsprobleme im Konsens und kooperativ gelöst werden können. Das hat sich als falsch herausgestellt. Es gibt Antagonismen, die im Konflikt ausgetragen werden müssen und die man bestenfalls etwas zähmen kann. Ich sehe das durchaus positiv. Die Frage ist aber immer, wo die Grenzen der demokratischen Auseinandersetzung liegen, und wo Gewalt anfängt.

Wie lassen sich Konflikte planerisch bearbeiten? Wie geht man richtig mit ihnen um?

Eva Eichenauer: Das ist die Gretchenfrage, auf die wohl jeder und jede gern eine Antwort hätte. Ein Punkt, den ich schon angesprochen habe, ist: Es hilft, wenn die übergeordneten Ziele klar sind und damit der Rahmen steht, innerhalb dessen man Planungskonflikte, die ja Umsetzungskonflikte sind, verhandeln kann. Sobald grundsätzliche politische Fragen in Planungsverfahren einfließen, kommt man konkret vor Ort nicht mehr weiter. Man braucht auch Personen, die das entsprechend kanalisieren können und beispielsweise klarstellen, dass nicht darüber verhandelt wird, ob die Grenzen wieder dichtgemacht werden, oder darüber, ob es den Klimawandel gibt, sondern konkret darüber, wo Windkrafteignungsgebiete oder Unterkünfte hinkommen, und wie lokale Interessen dabei eingebracht werden. Ich war bei vielen Beteiligungsveranstaltungen dabei, und auch wenn es platt klingt: Man braucht jemanden, der auf den Tisch haut und sagt „Leute, so geht es nicht“. Man kann unterschiedlicher Meinung sein, aber man muss sich trotzdem respektvoll gegenübertreten, mit Anstand, in einem guten, wohlwollenden Miteinander. So wichtig es ist, Beteiligung zu fördern, so wichtig ist es auch sicherzustellen, dass die Auseinandersetzung nicht in Diffamierung und Gewalt abgleitet. Entsprechend klar müssen die Grenzen sein und auch durchgesetzt werden. Es kann nicht sein, dass Regionalversammlungen unter Polizeischutz stattfinden müssen. Eigentlich sind das „Kinderstubensachen“, aber sie sind essenziell.

Manfred Kühn: Es ist wichtig die Regeln offenzulegen, nach denen ent­schieden wird, und natürlich auch, worüber überhaupt entschieden werden kann, welche Spielräume und Alternativen es gibt. Oder aber, der Fall ist schon vorab entschieden, dann muss auch das kommuniziert werden. Solche Fragen müssen vor Verfahrensbeginn geklärt werden, um keine falschen Erwartungen zu wecken und keine Enttäuschungen zu produzieren. Es gibt aber auf die Frage nicht die eine richtige Antwort. Es gibt keinen Königsweg.

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