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Gig-Work als Abenteuer
Paper zu Working Holiday Visa-Programmen und prekärer Beschäftigung

Mit einem Working-Holiday-Visum (WHV) können junge Erwachsene zeitlich begrenzt ein Land kennenlernen und dort Geld verdienen. Doch warum landen diese Arbeitskräfte regelmäßig in den prekären Beschäftigungen der sogenannten Gig-Economy, als Bringdienst-Fahrer oder Putzkräfte? In ihrem Artikel „Forging Mobilities, Becoming Ideal Workers? Temporary Migration and the Gig Economy“ unternimmt Arbeitsmarktforscherin Barbara Orth einen Erklärungsversuch. Das Paper erschien im „Journal of Ethnic and Migration Studies“.
Working-Holiday-Visa werden zwischen Staaten bilateral geregelt und gelten typischerweise für ein Jahr. Nutzer*innen dieser Programme arbeiten auffällig oft in Tätigkeiten, die über Plattformen wie beispielsweise Lieferando oder Helpling vermittelt werden. Dort arbeiten sie meist unter hohem Druck, bei unsicherem Gehalt und ohne soziale Absicherung. Barbara Orth führte dazu Interviews mit jungen Menschen aus Chile, die mit einem WHV nach Deutschland gekommen sind. In vielen Fällen begleitete sie die Migrationsprozesse über einen längeren Zeitraum. Es zeigte sich, dass diese spezielle Gruppe von Arbeitskräften nicht in prekäre Arbeitsverhältnisse gerät, weil sie keine andere Wahl hat. Die Interviewten waren gut ausgebildet, hatten Karrieren und verstanden sich im Heimatland als Angehörige einer „weißen“ Mittelschicht. Sie trieb vielmehr der Wunsch nach persönlicher Weiterentwicklung durch internationale Migration. Die Jobs als Putzkraft oder Lieferfahrer sahen sie eher als Abenteuer.
Wie sich herausstellte, sind diese temporär Eingewanderten die idealen Arbeitskräfte für schnell wachsende Plattformunternehmen, die Aufträge an „Freelancer“ vermitteln: Sie können mit digitalen Tools kompetent umgehen, sind jung und gesund. Soziale Absicherung spielt für sie – zunächst – kaum eine Rolle, teils aus der speziellen Motivationslage heraus und teils aus Unkenntnis. Problematisch sind diese Arrangements aus Sicht von Barbara Orth besonders deshalb, weil sie die längerfristigen Kosten und Risiken für die Arbeiten verschleiern. Erst bei einem längerfristigen Aufenthalt mit verschiedenen Visaregimen werde den Betroffenen ihre Prekarität bewusst. Die arbeitsrechtliche Regulierung von Gig-Work müsse den Migrationsstatus der betroffenen stärker berücksichtigen, so Orth.