14. Februar 2025 | Nachricht

„Wer im geographischen Forschungsbetrieb ambitioniert arbeitet, geht immer auch ein Risiko ein.“

Alumni-Interview mit Sören Becker

Prof. Dr. Sören Becker war von 2011 bis 2017 als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu sozialwissenschaftlichen und geographischen Energieforschungen am IRS beschäftigt. Er promovierte am Institut für Geographie an der Universität Hamburg zu Energy Transitions, Ownership and the City: Understanding Remunicipalisation in Hamburg and Berlin". Von 2017 bis 2021 war Sören Becker Postdoc am Geographischen Institut der Universität Bonn. Seit Oktober 2021 hat er eine Qualifikationsprofessur für Humangeographie mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Transformationsforschung an der Philipps-Universität Marburg.

Hallo Herr Becker. Kommen wir gleich zum Punkt. Was ist zurzeit Ihr Wirkungsumfeld?

Seit 2021 habe ich eine Qualifikationsprofessur für Humangeographie an der Philipps-Universität Marburg inne. Schwerpunktmäßig geht es um Nachhaltigkeitstransformationen in verschiedenen politischen, gesellschaftlichen und technischen Bereichen.

Worum geht es genau?

Bei uns stehen zum einen die Themen Klimaanpassung und die Wärmewende auf der Agenda. Wichtig ist für uns im Team aber auch der Themenzusammenhang von Klimawandel und Gesundheit als aufkommendes Forschungsthema.

Wie sieht Ihr Team aus?

Wir sind ein wachsendes Team mit sechs Mitarbeitenden, darunter drei Doktoranden und wissenschaftliche Hilfskräfte.

Sie haben sechs Jahre am IRS geforscht. Was ist geblieben in Richtung Teamverständnis?

Das gemeinsame Ziel ist immer wichtig. Hier hat mich das IRS mitgeprägt. Ich habe in Erkner im Team von Timothy Moss gearbeitet. Davon zehre ich bis heute. Das IRS hat meine fachliche und intellektuelle Neugier gefördert. Die gemeinsame Forschung an neuen Ideen und Themen ist wichtig gewesen in der Arbeitsgruppe, der ich damals angehört habe. Meine Doktorarbeit ist im geistigen Umfeld meiner IRS-Zeit entstanden. Ich habe über Rekommunalisierungen in der Energiewende geforscht. Die Großzügigkeit und das ehrliche Interesse des Teams am Thema, die ich damals erfahren habe, versuche ich an die heute jüngere Generation weiterzugeben. Wie das dann gelingt, ist von vielen Faktoren abhängig.

Warum so bescheiden?

Weil Forschung selbst im Team immer auch mit Unsicherheit verbunden ist, die nicht allein in meinen Händen liegt. Wir können sehen, wie sich der Arbeitsmarkt für Forschende in den letzten Jahren stark verändert hat. Wenn jemand ein gesellschaftlich hoch relevantes Thema beforscht, heißt das nicht automatisch, dass man darüber nachher ein gutes Einkommen oder Reputation hat. Wer im geographischen Forschungsbetrieb ambitioniert arbeitet, geht immer auch ein Risiko ein. Das muss man wollen und wissen. Vermutlich wird es deshalb zunehmend schwierig, hervorragende Leute für den Forschungsbetrieb zu bekommen. Das spreche ich offen mit jungen Leuten an. Sie müssen dann selbst entscheiden.

Was kann man jungen Forschenden denn überhaupt noch raten?

Man kann ihnen eine Perspektive geben, zum Beispiel indem man immer wieder die Frage stellt, welchen Beitrag sie mit ihrer Arbeit machen wollen, sowohl für die Wissenschaft als auch für die Praxis. Wir müssen Pläne und Vorstellungen im Verlauf von Forschungsprojekten flexibel anpassen können. Darüber gilt es, in Kontakt mit der Gesellschaft zu bleiben. Da finde ich es auch wichtig, dass man lernt, mit Akteuren aus der Praxis auf Augenhöhe zu agieren. Man findet dann bessere Kommunikationskanäle und kann eigene Soft Skills schon früh stärken und sukzessive ausbauen.

Haben Sie noch Kontakt zum IRS?

In der Tat. Mit Wolfgang Haupt und Kristine Kern stehe ich in gutem Austausch. Das IRS gibt mir mit seiner fachlichen Aufstellung nach wie vor Impulse, die mir helfen, geographische Energieforschungen mit Fragen etwa zu raumbezogener Innovationsforschung zu verbinden. Zudem wird am IRS Wissenstransfer frühzeitig in die Projektdesigns eingebaut. Diesen Ansatz teile ich.

Wo geht die Reise hin, wenn wir über Wissenstransfer reden?

Der demographische Umbruch bietet aus meiner Sicht auch gute Möglichkeiten für persönlichen Transfer. Unsere Absolvent*innen können in den nächsten Jahren entscheidende Positionen in Verwaltungen und Einrichtungen der Raumplanung übernehmen. Diese Institutionen brauchen zudem wissenschaftliche Politikberatung, um zukunftsfähig bleiben zu können. Ein Problem ist die Möglichkeit, länger an Themen dranzubleiben, wenn sich, wie aktuell, viele Krisen überlagern. Für die geographische Energie- und Nachhaltigkeitsforschung muss das vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Verschiebungen im Auge behalten werden.

Wie gelingen diese Zugänge?

Es geht um Augenhöhe und auch ein bisschen um das persönliche Standing, das man vor Ort hat. Marburg zum Beispiel bietet nach meinen Erfahrungen gute Voraussetzungen. Wir sind ein relativ großes geographisches Institut. Und Marburg ist eine Stadt der kurzen Wege. Es gibt hier ein engagiertes Umfeld in Richtung Klima-Governance. Mit Teilen der Stadtverwaltung bin ich im Gespräch, auch ein Treffen mit dem Oberbürgermeister hat bereits stattgefunden.

Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Marburger Stadtgesellschaft?

Forschung bringt neues Wissen. Als Forschender kann ich mit meinem Team Dynamiken anstoßen und durch wissenschaftliche Begleitung bisherige Erfolge in Richtung Klimapolitik absichern, oder zu neu entstehenden Konflikten beraten. Das ist ein schöner Beitrag, finde ich.

Haben Sie Dank für das Gespräch, Herr Becker

Das Interview führte Gerhard Mahnken.

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