23. Februar 2023 | Nachricht

Kurzstudie

Soziale Effekte einer möglichen Vergesellschaftung von Wohnungen in Berlin

Die Forderung einer Vergesellschaftung von Wohnungen privater Großvermieter erregt in Berlin zunehmend die Gemüter. Vor allem deswegen, weil damit die Aussicht verbunden wird, dass man finanzmarktorientierte Spekulanten aus der deutschen Hauptstadt verdrängen könnte. In Berlin ist für viele Bewohner*innen und für Zuziehende bezahlbarer Wohnraum zur Mangelware geraten. Mit einer Vergesellschaftung ist indes die Hoffnung verbunden, sich endlich wieder eine Wohnung oder einen Umzug in die Spreemetropole leisten zu können. Ob sich diese Hoffnung erfüllt, ist umstritten. Eine gemeinsam vom Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner und der Humboldt Universität zu Berlin (HUB) verfasste Kurzstudie gibt Antworten.

Einigen sehr großen Wohnungskonzernen gehören in Berlin mittlerweile über 350.000 Wohnungen. In einem 2021 durchgeführten Volksentscheid entfielen 59,1 Prozent der gültigen Stimmen auf die Beschlussvorlage der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen, die eine Überführung dieser Wohnungsbestände in eine Anstalt des öffentlichen Rechts (Vergesellschaftung) vorsieht. Es gibt aber auch Gegenstimmen. Sie zweifeln die rechtliche Zulässigkeit sowie die finanzielle Tragbarkeit und damit letztendlich die Sinnhaftigkeit einer Vergesellschaftung an. Sie behaupten außerdem, die Vergesellschaftung habe keinen positiven Effekt auf die Entspannung des Wohnungsmarkts und auch nicht auf die Verfügbarkeit bezahlbarer Wohnungen. 

Eine Anfang 2023 von Matthias Bernt (IRS) und Andrej Holm (HUB) vorgelegte Studie widerlegt jetzt diese Behauptung. Ihre Untersuchung zeigt: Die Vergesellschaftung von Wohnungen kann für mehr als 200.000 Berliner Haushalte eine erhebliche Mietminderung bringen. Die beiden Wissenschaftler gehen von einer monatlichen Absenkung von 45 bis 160 Euro aus, was eine Verringerung um ca. 16 Prozent bedeuten würde. „Alternativ könnte man die Mieten aber auch einfrieren“, sagt Matthias Bernt. Der Experte für Stadtentwicklung ist überzeugt, dass sich der Mietanstieg in Berlin damit auf längere Frist deutlich abbremsen lässt.

Eine Vergesellschaftung von Wohnungen würde darüber hinaus mehr Suchende mit einer finanziell leistbaren Wohnung versorgen können, gerade diejenigen mit einem geringen oder mittleren Einkommen. Hierzu zählen etwa Suchende mit einem Wohnberechtigungsschein (WBS). Der „soziale Versorgungseffekt“ wäre dabei deutlich höher als der angestrebte Neubau von geförderten Wohnungen.

Die Vergesellschaftung von Wohnungen könne zudem der sozialräumlichen Spaltung der Stadt entgegenwirken. Das Angebot an bezahlbaren Wohnungen würde nämlich auch dort ausgeweitet werden können, wo sie am meisten gebraucht werden. Dadurch würden auf Dauer die „Gentrifizierungsprozesse“ verlangsamt.

Matthias Bernt arbeitet als Seniorwissenschaftler und als kommissarischer Leiter des Forschungsschwerpunkts Politik und Planung am Leibniz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung (IRS) in Erkner sowie als Privatdozent am Institut für Sozialwissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. Sein besonderes Forschungsinteresse gilt der politischen Steuerung von Stadtentwicklungsprozessen.

Andrej Holm ist Sozialwissenschaftler an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Gentrification und Wohnungspolitik. Er engagiert sich darüber hinaus in Berlin für das Recht auf Wohnen und ist in zahlreichen stadtpolitischen Initiativen aktiv.

Hinweis: In einer vorherigen Fassung dieses Beitrags hieß es, 59,1 Prozent aller Wähler*innen in Berlin hätten sich im Volksentscheid 2021 für eine Vergesellschaftung ausgesprochen. In Wahrheit waren es 59,1 Prozent der gütigen abgegebenen Stimmen. Der Fehler wurde korrigiert.