19. Dezember | 2022

„Am wichtigsten war mir am IRS das Thema ‚sozialräumliche Transformation‘“

Interview mit Anika Noack

Dr. Anika Noack war von 2009 bis 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der ehemaligen IRS-Forschungsabteilung "Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum". Sie leitet heute das Referat FWD 6 „Transformation“ im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), das dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) zugeordnet ist. Ihr Referat hat die Aufgabe, die vom Strukturwandel betroffenen Braunkohleregionen im Lausitzer, im Rheinischen und im Mitteldeutschen Revier durch Forschung, Analysen und Beratung bei der Gestaltung eines vorbildhaften Transformationsprozesses hin zu mehr Klimaschutz und einer modernen Wirtschaftsstruktur zu begleiten. Dabei gilt es zunächst, die Ausgangssituationen der Braunkohlereviere bezüglich ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede auch im internationalen Vergleich anhand systematischer Kriterienkataloge zu erfassen.

Frau Noack, wo sind Sie zurzeit tätig und welche Aufgaben haben Sie heute auf dem Tisch, nachdem Sie das IRS vor fünf Jahren verlassen haben?

Seit Oktober 2021 leite ich im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung das Referat „Transformation“ am neuen Standort in Cottbus.

Wieso neu?

Es gab bisher die Standorte Bonn und Berlin. Mit dem neuen Standort Cottbus zeigt der Bund, wie wichtig es ist, mit eigenen Behörden und Einrichtungen in strukturschwachen Räumen und hier speziell im Transformationsraum Lausitz präsent zu sein.

Wie sind Sie aufstellt und worum geht es konkret?

Wir sind hier zurzeit mit 20 Beschäftigten tätig. Bis Ende 2023 werden bei uns insgesamt 56 Stellen besetzt. Es geht um die mittel- und langfristige Umgestaltung der traditionsreichen Braunhohle-Bergbauregionen in der Lausitz, im Mitteldeutschen und im Rheinischen Revier. Mein Fokus im BBSR liegt im Referat „Transformation“ auf sozialräumlichen Herausforderungen, die der Strukturwandel mit sich bringt. Es geht um die Frage, was der Wandel mit den Menschen in der Region macht und wie der soziale Zusammenhalt in den Revieren gestärkt werden kann. Da spielt zum Beispiel die Stärkung zivilgesellschaftlichen Engagements eine wichtige Rolle. Welche Rolle kommt dabei älteren Menschen zu, die die Erfahrung einer doppelten Transformation mitbringen? Welche Konflikte tauchen beim Thema Ressourcennutzung, beispielsweise dem knappen Gut Wasser, oder bei der Gestaltung neuer, digitaler Arbeitswelten auf? Das sind Baustellen, die uns hier in den kommenden Jahren ganz konkret beschäftigen werden.

Verbindet der Bund hier nicht überhöhte Erwartungen mit dem neuen Standort in der Lausitz?

Wir sind bei der Politik in der Tat zunehmend mit unserer wissenschaftlichen Expertise im Spannungsfeld Braunkohlepolitik und regenerative Energiepolitik nachgefragt. Natürlich nicht nur auf Bundesebene. Wir sind auch für die betroffenen Bundesländer, Landkreise und Kommunen in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen ein Partner im Feld der wissensgestützten Politikberatung. Es gibt jede Menge Kommunikations- und Beratungsbedarf und auch jede Menge Fragen. Wie können sich die Braunkohleausstiegsregionen künftig mit den regionalen Gegebenheiten des ehemaligen Tagesbaus neu aufstellen? Wie können die im Entstehen befindlichen Tagebauseen für schwimmende Photovoltaik genutzt werden? Auch das Thema Windkraft auf ehemaligen Tagebaurestflächen wird an Bedeutung gewinnen. Es gilt, möglichst zügig viel neu zu gestalten. Die Planungspraxis muss hier aus meiner Sicht schneller werden. Vieles ist zum Teil stark überreguliert und kostet damit zu viel Zeit. Auf jeden Fall wollen sich die Reviere und Deutschland insgesamt energieautarker aufstellen und unabhängiger werden. Das ist eine zentrale Erwartung in der Politik.          

Das klingt nach einer langfristigen Agenda und nach einem anspruchsvollen Anforderungsprofil für Ihr Aufgabenspektrum. Was konnten Sie dazu aus dem IRS mitnehmen?

Am wichtigsten war mir am IRS in den Forschungsprojekten, an denen ich beteiligt war, schon immer das Thema sozialräumliche Transformation. Der Umgang in Politik, Verwaltung und Zivilgesellschaft mit gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Strukturwandel, das ist ein Erkenntnisinteresse, was mich am IRS in meinen Forschungen antrieb. Das ging von der intensiven Beforschung eines transformativen Stadtquartiers mit sozialen Brennpunkten bis hin zur Bereitstellung forschungsbasierter Politikempfehlungen im ländlichen Bildungsbereich. Diese besondere Ausrichtung des IRS auf Transformationsprozesse, die wird meines Erachtens von außen ganz stark wahrgenommen.

Lassen Sie uns noch einmal auf Cottbus zu sprechen kommen. Wie wollen Sie mit dem Lausitz-Standort künftig qualifiziertes Personal rekrutieren?

Wir sind ja mit unserem Referat, wie gesagt, ganz bewusst in der Lausitz verortet, um die Strukturentwicklung jenseits der Metropolregion Berlin/Brandenburg voranzubringen, wenn man so will. Bei uns liegt der enorme Standortvorteil aber ganz klar darin, dass wir thematisch anspruchsvolle, gestaltungsorientierte und nicht zuletzt auch unbefristete Arbeitsplätze anbieten können. Die Entfaltungsmöglichkeiten bei uns sind interessant für Absolventinnen und Absolventen aus der Region und genauso für qualifizierte Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Interessant finde ich aber auch, wie wir hier in letzter Zeit zunehmend bundesweite Bewerbungen bekommen, weil das enorme Gestaltungspotential in der Begleitung der Transformation der Braunkohlereviere erkannt wird. Erfreulicherweise haben wir ja inzwischen mit Gala Nettelbladt sogar Verstärkung aus dem IRS bekommen. Ein Problem sehe ich inzwischen nur darin, Personal mit quantitativer Methodenkompetenz zu rekrutieren. Diese Kompetenzen sind im akademischen Arbeitsmarkt nach meiner Beobachtung gerade recht rar gesät.

Stichwort Arbeitsmarkt. Wie sehen Sie die wissenschaftliche Ausbildung am IRS heute?

Das IRS macht eine gute Nachwuchsförderung, finde ich. Es wird breit ausgebildet. Einen Schwerpunkt sehe ich allerdings tatsächlich in der Ausrichtung auf akademische Karrieren. Hier gibt es aber bekanntlich wenige Dauerstellen. Es macht für mich deshalb Sinn, in der Ausbildung am IRS auch die Möglichkeiten in praktischen Feldern des Arbeitsmarkts früh mit in den Blick zu nehmen, die jungen Menschen mehr Planungssicherheit im beruflichen und privaten Leben ermöglichen. Das funktioniert nach meiner eigenen Erfahrung am IRS sehr gut über die Einbindung in Drittmittelprojekte. Auch die Alumni-Arbeit ermöglicht einen frühen Blick in die Praxis. Ich finde es total gut, wie das IRS ehemalige Doktorandinnen und Doktoranden mit dem heutigen wissenschaftlichen Nachwuchs zusammenbringt. Wo die Älteren dann von ihren Erfahrungen berichten können. Im Frühjahr war ich als ehemalige Mitarbeiterin von Gabriela Christmann zu einem solchen Austausch ans IRS nach Erkner eingeladen. Und dabei habe ich in den Gesprächen auch selbst wieder neue Ideen bekommen.

Vielen Dank für das Gespräch, Anika Noack!

 

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