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Sammelband zu Klimakulturen in Europa und Nordamerika erschienen
Der Klimawandel wird nicht überall gleich wahrgenommen, verstanden und bewertet. Entsprechend unterscheiden sich die Praktiken des Umgangs damit erheblich. Solche klimakulturellen Unterschiede finden sich heute weniger zwischen Nationalstaaten als zwischen verschiedenen Akteursgruppen und sozio-politischen Koalitionen. Ein neuer Sammelband, der von Thorsten Heimann, Jamie Sommer, Margarethe Kusenbach und Gabriela Christmann herausgegeben wird, richtet den Blick auf solche „klimakulturellen Formationen“ sowie ihre große Vielfalt in Nordamerika und Europa: von Kulturen der Klimaanpassung in ländlichen Räumen Südeuropas und bei der indigenen Bevölkerung Nordeuropas zu kulturspezifischen Strategien für mehr Klimaschutz in deutschen Städten oder in den Südstaaten der USA.
Ende Juli 2022 erschien der Sammelband „Climate Cultures in Europe and North America. New Formations of Environmental Knowledge and Action” bei Routledge. Unter den Herausgebenden sind mit Thorsten Heimann ein ehemaliger IRS-Wissenschaftler, Referent für „Green Culture“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, und mit Gabriela Christmann eine IRS-Forschungsgruppenleiterin und Soziologieprofessorin an der Technischen Universität Berlin. Mit Margarethe Kusenbach (Professorin für Soziologie an der University of South Florida) und Jamie Sommer (Assistenzprofessorin und Umweltsoziologin ebenfalls an der USF) gehören dem Team zwei profilierte US-Forscherinnen an. Ein zentraler Bezugspunkt für den Band ist das relationale Kulturraumkonzept, das Thorsten Heimann im Rahmen seiner Dissertation für die Untersuchung von Klimakulturen entwickelt hat, die unter dem Titel „Culture, Space and Climate Change – Vulnerability and Resilience in European Coastal Areas“ ebenfalls bei Routledge veröffentlicht wurde. Heimann fragte, wie Klimakulturen, also spezifische Muster der Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung des Klimawandels, räumlich verortet werden können, wenn die vielfach zitierte These der Globalisierungstheorie zutrifft, dass Nationalstaaten ihre kulturelle Bindungskraft verloren haben. Heraus kam ein Konzept, das Akteure, Gruppen, deren geteilte Wissensbestände und bevorzugte Praktiken ins Zentrum rückt – sogenannte klimakulturelle Formationen – sowie deren räumliche Ausprägungen auf lokaler bis globaler Ebene.
Der neue Band gibt nun einen Überblick über klimakulturelle Formationen in Europa und Nordamerika. Neben drei konzeptionellen Beiträgen versammelt er sieben empirische Beiträge von Autor*innen aus den untersuchten Weltregionen, welche nicht nur die Vielfalt an Klimakulturen, sondern auch diverse methodische und disziplinäre Zugänge zeigen. So unternahmen Sarah Kessler und Henrike Rau, Geographinnen an der Ludwig-Maximilians-Universität München, eine Medienanalyse, um Klimawandeldebatten im deutschsprachigen Raum klimakulturell zu differenzieren. Klemetti Näkkäläjärvi (Kulturanthropologie), Suvi Juntunen und Jouni J. K. Jaakkola (Public Health, alle Universität Oulu) untersuchten ethnographisch Klimawahrnehmungen und Anpassungspraktiken von Saami-Gemeinschaften im nördlichen Finnland, die von Rentierzucht leben. David Zeller, Soziologe an der University of Tampa, beleuchtete auf der Basis von Online-Beobachtungen Debatten über die Bewertung von Geoengineering-Ansätzen innerhalb der amerikanischen Umweltbewegung.
Ziel des Bandes war es, die Vielfalt existierender Formationen zu erfassen – auch unter dem zu Beginn der Arbeit herrschenden Eindruck, dass sich im „Westen“ eine transnationale neurechte Front formierte, zu deren politischem Programm eine explizite Leugnung des Klimawandels gehört. Der bedrohlichen Wahrnehmung sollte fundierte Empirie gegenüber gestellt werden. Die Beiträge gehen nun zum Teil sogar über dieses Ziel hinaus. Julia Teebken, Politik- und Sozialwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin, beleuchtet etwa am Beispiel von Klimaschutzbestrebungen im südlichen US-Bundesstaat Georgia, was passiert, wenn verschiedene klimakulturelle Formationen konflikthaft aufeinander treffen. Zu den von ihr aufgezeigten Strategien von Klimaschützer*innen in der Auseinandersetzung mit dem klimaschutzfeindlichen konservativen Mehrheitsmilieu gehört beispielsweise das kommunikative Reframing des Anliegens, von „Klimaschutz“ hin zu „Innovation“ und „Technologieentwicklung“. Somit baut der Sammelband auch eine Brücke von der statischen Beschreibung von Klimakulturen zu dynamischen Aushandlungen zwischen ihnen.